Hedging ist keine Allzweckwaffe




Die deutsche Chemieindustrie kauft nach einer aktuellen Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IDW) 14,3 % aller in Deutschland im Unternehmensbereich verwendeten Rohstoffe. Durch die Verflechtungen in der Wertschöpfungskette kommen nochmals 0,6 % hinzu, so dass die Branche direkt oder indirekt 14,9 % aller mineralischen oder metallischen Rohstoffe in ihren Produktionsprozessen einsetzt. Der Rohstoffeinsatz an den gesamten Vorleistungsbezügen beträgt das Dreifache der gesamtwirtschaftlichen Durchschnittsquote. Welche Auswirkungen Kostensteigerungen haben können, zeigt eine einfache Rechnung. Beträgt der Anteil des betreffenden Rohstoffs am Produkt 20 % und erhöht sich sein Preis um 30 %, so wird der Einkauf um insgesamt 6 % teurer.
Große Firmen ‚hedgen' diese Risiken mit Bankprodukten. Sie erwerben Kaufoptionen, die sie später zu festgelegten Terminen innerhalb eines bestimmten Preiskorridors ausüben oder verfallen lassen. Oder aber sie versuchen den finanziellen Schaden steigender Kosten zu begrenzen, indem sie auf ebendiese mit Futures und Swaps in entgegengesetzter Richtung spekulieren. Aber: Hedging ist eine Wette. Es besteht das Risiko, wie bei jeder Spekulation, viel Geld zu verlieren.
„Für die Mehrheit der Rohstoffe in der Chemieindustrie besteht entweder kein oder nur ein illiquider Terminmarkt. Der Einsatz von derivaten Sicherungsinstrumenten ist somit nur eingeschränkt möglich und gegebenenfalls teuer, da die Marktenge zu erheblichen Kursausschlägen führt", so die Rohstoffexperten der Pricewaterhouse Coopers Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (PWC).
Für kleinere Firmen mit dünner Kapitaldecke seien solche Finanzprodukte oft zu risikoreich und zu teuer, befindet Gerd Hochberg, Partner von Expense Reduction Analysts, einer Beratungsgesellschaft für Kostenmanagement. Laut Andreas Rathgeber, Professor am Institut of Materials Resource Management der Universität Augsburg „sind die meisten Banken-Produkte ohnehin nur auf größere Unternehmen zugeschnitten". Der Mittelständler müsse erst einmal teures Fachpersonal einstellen, um selbst Hedging betreiben zu können. Vor dem besonderen ‚systemischen' Risiko der Chemieindustrie bietet es ohnehin keinen Schutz. „Hedging sichert nicht die Versorgung mit dem Rohstoff und kann auch nicht vor sehr langfristigen Preisanstiegen schützen", betont das IDW seiner Studie.
Es gibt aber auch ‚nicht spekulative' Absicherungsinstrumente, die hoch effizient sind, bisher aber kaum genutzt werden. Eine davon sind Einkaufsgemeinschaften. Allein durch die Volumenbündelung lassen sich deutlich günstigere Konditionen erzielen. Natürlich ist es nicht einfach, den richtigen Partner zu finden. Die Produkte sind zwar identisch. Aufgrund unterschiedlicher Abnahmemengen sind die Umlageschlüssel für Preisvorteile oder die Kosten des Lieferanten- und Reklamationsmanagements nicht selten kompliziert, so dass schnell ein ‚juristisches Großprojekt' entsteht.
Eine weitere Möglichkeit ist die Zusammenarbeit mit einem Beschaffungsdienstleister als neutraler dritter Partei. „Dabei wird wie in einer Einkaufsgemeinschaft das Volumen gebündelt - allerdings virtuell und nicht physisch. Es bestehen weiterhin einzelvertragliche Kunden-Lieferanten-Beziehungen", so Gerd Hochberg. Neben Einsparungen beim Rohstoffpreis können mithilfe der externen Expertise die Einkaufsorganisationen und -prozesse insgesamt verbessert werden. Eine höhere Effizienz und Kostentransparenz führen ebenfalls zu mehr Wertschöpfung. Eine optimierte Verteilung der Spot buy-Geschäfte und der Indexgebundenen Beschaffung ist häufig hilfreich. Die Beispiele zeigen: es gibt Konstellationen ‚jenseits des Hedgings' mit denen sich die Vorteile der Mengenbündelung mit einer weiteren Professionalisierung des Einkaufs verbinden lassen. „Das Ergebnis sind Einsparungen von nicht selten sechs Prozent", so Hochberg von Expense Reduction Analysts. Bei einem Hedging dagegen stehe - insbesondere bei starken Marktschwankungen wie zurzeit - das Verlustrisiko im Raum.
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