Anlagenbau & Prozesstechnik

Explosionsschutz bei Altanlagen

Zeitliche und finanzielle Schwierigkeiten beim Explosionsschutz am Beispiel eines Mehrzweckbetriebs

13.07.2017 -

Der Explosionsschutz in der DACH-Region (Deutschland, Österreich und die Schweiz) ist in den drei Ländern gleich aufgebaut und basiert auf den ATEX-Richtlinien: ATEX-Produktrichtlinie 2014/34/EU (vormals 94/9/EG) und ATEX-Betriebsrichtlinie 1999/92/EG der Europäischen Union).

Für die Schweiz sind dabei nachfolgende Verordnungen maßgeblich:

  • 2014/34/EU (ATEX 95) umgesetzt in der Verordnung über Geräte und Schutzsysteme zur Verwendung in explosionsgefährdeten Bereichen (VGSEB 2017).
  • 1999/92/EG (ATEX 137) umgesetzt in der Verordnung über die Verhütung von Unfällen und Berufskrankheiten (VUV 2016) sowie im SUVA-Merkblatt 2153 Explosionsschutz – Grundsätze, Mindestvorschriften, Zonen.

Das oberste Ziel des Explosionsschutzes ist der Schutz der Menschen vor den Auswirkungen von Explosionen. Hierfür ist ein Explosionsschutzkonzept zu entwickeln, welches sich folgender Maßnahmen bedient:

  1. Die Vermeidung und Einschränkung des Vorhandenseins von explosionsfähigen Gemischen durch Inertisierung, Abmischung durch erhöhten Luftwechsel usw. (primärer Explosionsschutz).
  2. Verhinderung von wirksamen Zündquellen (sekundärer Explosionsschutz).
  3. Beherrschung von Explosionen durch konstruktive Maßnahmen, wenn die zuvor genannten Maßnahmen zu aufwendig sind oder nicht sicher greifen (konstruktiver Explosionsschutz).

Die Basis des Explosionsschutzkonzeptes ist eine Gefährdungsbeurteilung, die ermittelt, ob explosionsfähige Gemische im Normalbetrieb und bei betriebsüblichen Störungen auftreten können und ob sie in gefahrdrohenden Mengen vorhanden sind. Hieraus leitet sich die Zoneneinteilung unter Berücksichtigung der Maßnahmen des primären Explosionsschutzes sowie deren regelungstechnischen Überwachungsmaßnahmen ab.

Falls trotz der Maßnahmen des primären und sekundären Explosionsschutzes eine Explosion nicht sicher verhindert werden kann, sind konstruktive Maßnahmen erforderlich. Ganzheitlich ergibt sich, aus der Gefährdungsbeurteilung sowie mit der daraus abgeleiteten Zoneneinteilung und den ergriffenen Maßnahmen, das Schutzkonzept für die  explosionsgefährdete Anlage. Dieses Schutzkonzept ist schließlich die Basis des Explosionsschutzdokumentes, welches gemäß der jeweiligen nationalen Verordnung zur Umsetzung der RL 1999/92/EG zu erstellen ist.

Nicht-elektrische Altgeräte, die vor dem 30. Juni 2003 in Betrieb genommen wurden, haben häufig kein Konformitätsbewertungsverfahren nach 2014/34/EU bzw. 94/9/EG durchlaufen, so dass der Nachweis der Eignung zum Einsatz in explosionsgefährdeten Bereichen fehlt. Zudem sind in Altanlagen zum Teil Rohrleitungen aus nicht ableitfähigem Material verbaut worden, die nach heutigem Stand der Technik aus leitfähigem bzw. ableitfähigem Material ausgeführt wären. In Bestandsgebäuden, die über mehrere Jahrzehnte gewachsene Strukturen aufweisen, gestalten sich Umbaumaßnahmen oft zeitlich und damit finanziell schwierig. In diesen Fällen macht es Sinn, genauer zu untersuchen, ob evtl. ein Austausch aus explosionsschutztechnischer Sicht tatsächlich nötig ist (und wenn ja, an welchen Stellen).

Praxisbeispiel: Mehrzweck-Synthesebetrieb in der Schweiz

Die explosionsschutztechnische Beurteilung der bestehenden Abgassammelsysteme eines Mehrzweck-Synthesebetriebs in der Schweiz soll dies verdeutlichen. Vor der detaillierten Betrachtung lag ein Konzept für den Austausch der Abluftleitungen mit Kosten in Höhe von mehreren Millionen CHF vor.

Aufgrund der Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer zündfähigen Atmosphäre wurde für das Innere der Abluftleitungen eine Zone 1 definiert, d.h., gelegentlich ist mit dem Auftreten von gefährlicher explosionsfähiger Atmosphäre zu rechnen. Die Abluftleitungen des in den 1960er Jahren errichteten Betriebes bestehen größtenteils aus elektrisch isolierendem Polypropylen. Gemäß des sicherheitstechnischen Regelwerks (Stand der Technik) müssten die Abluftleitungen gegen solche aus einem ableitfähigem Werkstoff ausgetauscht werden, wenn elektrostatische Aufladungen bis zur Durchschlagsfeldstärke nicht ausgeschlossen werden können. Eine solche elektrostatische Aufladung ist die Folge der Reibung von Partikeln mit der isolierenden Rohrleitungsoberfläche. Bei einer hinreichend hohen Aufladung kommt es dann zu Büschelentladungen beim Erreichen der Durchschlagsfeldstärke, welche eine Energie von ca. 5 mJ haben und daher fast alle explosionsfähigen Gas/Dampf-Luft-Gemische entzünden können. Durch Büschelentladungen nicht entzündbare Stoffe sind z.B. Ammoniak und Dichlormethan.

Der Eintrag von Partikeln in das Abluftsystem ist auf Basis rein theoretischer Überlegungen oft nicht abschließend beurteilbar und ist ggfs. durch Messungen zu ergänzen. Die Messungen dienen der Erfassung der durch eventuell vorhandene Partikel hervorgerufenen elektrischen Felder infolge der elektrostatischen Aufladung. Im vorliegenden Fall wurde die Beurteilung der Zündgefahren im Rohr durch elektrostatische Aufladung infolge einer Partikelströmung durch Messungen der elektrischen Feldstärke in den isolierenden Abluftrohren durchgeführt. Die Messungen gaben darüber Aufschluss, ob in den betreffenden Teilbereichen des Abluftsystems durch eventuell vorhandene Partikel unter definierten Betriebsbedingungen ein gefährliches elektrisches Potential aufgebaut werden kann. Aufgrund der Zoneneinteilung (Zone 1 innen, Zone 2 außen) wurde bei der Betrachtung der Explosionsrisiken der Normalbetrieb einschließlich der üblichen Betriebsstörungen berücksichtigt. Während der Aufnahme der Messreihen wurde zu keinem Zeitpunkt und an keinem Ort der Anlage eine signifikant erhöhte elektrische Feldstärke gemessen.

Dies lässt den Schluss zu, dass:

  1. die Strömungsgeschwindigkeiten in den Rohrleitungen ausreichend niedrig sind,
  2. Feststoffpartikel in Filtern ausreichend abgeschieden werden,
  3. Flüssigkeitströpfchen nicht in signifikanter Menge entstehen oder zumindest ausreichend durch Beruhigungszonen abgeschieden werden sowie
  4. die nicht explizit als ableitfähig gekennzeichneten Bereiche des Abluftsystems über eine ausreichende Ableitfähigkeit verfügen, um elektrostatische Aufladungen zu vermeiden.

Daher muss im vorliegenden Fall im Normalbetrieb einschließlich der gelegentlich auftretenden Betriebsstörungen nicht mit dem Auftreten von Büschelentladungen gerechnet werden. Ein Austausch der als nicht ableitfähig gekennzeichneten Rohre außerhalb des Verkehrsbereiches wurde daher nicht als zwingend nötig befunden, so dass die Investitionen eingespart werden konnten.

Grundsätzlich gilt der Bestandsschutz. Das bedeutet, es besteht keine generelle Verpflichtung der Nachrüstung. Jedoch ist der Betreiber nach Art. 29 VUV verpflichtet, Zündquellen zu vermeiden, d.h. seine Arbeitsmittel in Bezug auf die sichere Verwendung in explosionsgefährdeten Bereichen zu beurteilen und Maßnahmen gegen elektrostatische Aufladungen zu treffen. In der Regel erfolgt dies über eine Gefährdungsbeurteilung.

In der Schweiz wird viel Gewicht auf die Eigenverantwortung der Betreiber gelegt, dennoch werden auch im Rahmen von Neu- oder Umbaubauten von Anlagen von Behördenseite entsprechende Nachweise verlangt.

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