Bekämpfung von Arzneimittelfälschungen



Nachdem sich im Dezember 2010 Vertreter des Europäischen Parlaments, der Kommission und des Ministerrats auf einen Kompromiss für eine Richtlinie mit dem Ziel der Verhinderung des Eindringens von gefälschten Arzneimitteln in die legale Lieferkette verständigt haben, wurde nunmehr eine weitere wichtige Hürde zur Bekämpfung von Arzneimittelfälschungen genommen: Im Februar 2011 hat das Europäische Parlament den Richtlinienentwurf in erster Lesung angenommen. Die wichtigsten zu erwartenden Neuerungen für die Branche werden nachfolgend im Überblick dargestellt.
Noch bis zur Annahme des Richtlinienvorschlags durch das Europäische Parlament war offen, ob das Aufbringen von Sicherheitsmerkmalen sowohl für verschreibungspflichtige als auch für freiverkäufliche Arzneimittel bindend werden soll. Ein „Listenverfahren" dient jetzt als Kompromiss: Erfasst sind zunächst alle verschreibungspflichtigen Arzneimittel. Deren Verpackungen müssen zukünftig grundsätzlich die Sicherheitsmerkmale aufweisen; Verpackungen von nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimitteln hingegen in der Regel nicht. Die Europäische Kommission kann jedoch, unter Berücksichtigung von den mit einzelnen Arzneimitteln verbundenen Gefahren der Fälschung, für beide Arzneimittelkategorien Ausnahmen in einer Liste festsetzen. Darüber hinaus können nationale Behörden der Kommission nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel, die nach ihrer Auffassung fälschungsgefährdet sind, mitteilen. Ob die Gefahr der Fälschung für ein bestimmtes Arzneimittel besteht, ist anhand bestimmter Kriterien zu beurteilen, u. a. nach Preis und Absatzvolumen sowie spezifischen Merkmalen des Arzneimittels, Zahl und Häufigkeit von in der Vergangenheit eingetretenen gemeldeten Fällen von Fälschungen sowie sonstigen möglichen Gefahren für die öffentliche Gesundheit. Zudem sind zwei weitere Ausnahmemöglichkeiten vorgesehen: Die individuellen Erkennungsmerkmale können durch die Mitgliedsstaaten für Zwecke der Kostenerstattung oder Pharmakovigilanz sowie dann, wenn es im Interesse der Sicherheit der Patienten gerechtfertigt ist, auf alle verschreibungspflichtigen bzw. erstattungsfähigen Arzneimittel ausgedehnt werden. Hierdurch wird den Mitgliedsstaaten ein breiter Spielraum für die Ausdehnung der Verpflichtung zur Aufbringung von Sicherheitsmerkmalen eingeräumt.^
Welche Technologie?
Der Europäischen Kommission steht allerdings noch ein hartes Stück Arbeit bevor: Sie muss die Eigenschaften und Spezifikationen der Erkennungsmerkmale für die Sicherheitsmerkmale im Einzelnen festlegen. Hierbei hat sie das Kosten-Nutzen-Verhältnis gebührend zu berücksichtigen. Es kommen etwa Radiofrequenzidentifikation (RFID) oder Strichcodekennzeichnung in Betracht. Bei letzterer Variante wird ein eindimensionaler Strichcode, wie er z. B. derzeit in Belgien verwendet wird, nicht ausreichen, da von ihm weder Losnummer noch Verfallsdatum erfasst werden. Eine Datamatrix-Kennzeichnung könnte hier Abhilfe schaffen. Serialisierungsnummern ermöglichen es, erstmalig den Weg eines jeden Arzneimittels von den Herstellern über Großhändler und Zwischenhändler bis hin zum einzelnen Patienten nachzuverfolgen. Es werden jedoch weder der 2D-Code noch RFID im Richtlinien-Entwurf genannt.
Welche Daten?
Seitens der Kommission ist ebenso zu klären, welche Daten von wem zwecks Überwachung der Lieferketten zur Verfügung gestellt werden müssen. Das sog. „End-to-end"-Modell, bei dem nur die Angaben von Hersteller und Apotheker miteinander abgeglichen werden müssten, ist wohl „vom Tisch". Die Richtlinie geht über dieses Modell weit hinaus und bindet den gesamten Bereich des Zwischenhandels ein. So sollen zukünftig Hersteller, Großhändler, Apotheker und alle Personen, die die Genehmigung oder Erlaubnis zur Abgabe von Arzneimitteln an die Öffentlichkeit haben, und selbstverständlich auch die zuständigen Behörden die Sicherheitsmerkmale überprüfen. Dieses Modell ist konsequent und sachgerecht, um den beim „End-to-End"-Modell auf der Stufe des Zwischenhandels ansonsten entstehenden Graubereich abzudecken. Bei der Frage, wer welche Daten im Einzelnen zu liefern hat, sollten aber auch datenschutzrechtliche Belange nicht zu kurz kommen. Entsprechend sieht die Richtlinie vor, dass „das Eigentum an den durch Verwendung der Sicherheitsmerkmale erzeugten Daten und deren Vertraulichkeit" angemessen berücksichtigt werden müssen.
Die kommenden Schritte
Der Europäische Rat muss der vom Parlament angenommenen Richtlinie zustimmen. Wegen des Ende letzten Jahres unter Beteiligung des Ministerrats gefundenen Kompromisses ist jedoch damit zu rechnen, dass der Ministerrat der vom Parlament angenommenen Richtlinie zur Bekämpfung von Arzneimittelfälschungen auch förmlich zustimmen wird. Dies könnte bereits im Sommer 2011 geschehen. Nach Veröffentlichung der Richtlinie haben die Mitgliedsstaaten diese vorliegend binnen 18 Monaten umzusetzen - also bis spätestens Ende 2012, wenn der Ministerrat im Sommer 2011 zustimmt. Daher könnte mit einem nationalen Referentenentwurf für Deutschland in der zweiten Jahreshälfte 2011 gerechnet werden. Zu Beginn des Jahres 2013 könnten die Sicherheitsmaßnahmen für die Marktteilnehmer daher Realität werden. Bis dahin müssen aber die wesentlichen Fragen zum Thema Datenschutz und zur Ausgestaltung der Sicherheitsmerkmale abschließend geklärt sein. Antworten hierauf bleibt die Kommission leider bislang schuldig. Es ist zu befürchten, dass sich die Kommission angesichts der in diesem Bereich weit fortgeschrittenen Technologien schwertun wird, sich zeitnah für eine Alternative zu entscheiden. So kann der den Herstellern, Großhändlern und Apotheken sowie anderen an der Lieferkette beteiligten Institutionen momentan noch großzügig erscheinende Zeitraum, um sich auf den neuen Rechtsrahmen einzustellen, rasch vorübergehen. Es bleibt also spannend, wie im Detail die Patientensicherheit durch Sicherheitsmerkmale und Kontrollmechanismen europaweit erhöht werden wird.
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