Gute Industriepolitik ist Klimaschutz




CHEManager: Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier veröffentlichte im Februar eine „Nationale Industriestrategie“, strategische Leitlinien für eine deutsche und europäische Industriepolitik. Verfolgt er mit seinen Ansätzen den richtigen Weg? Was macht eine gute Industriepolitik aus?
Kerstin Andreae: Zunächst einmal ist es positiv, dass wir überhaupt über Industriepolitik reden. Der Begriff war lange Zeit verpönt. „Der Markt wird es schon richten“ war das Leitbild unserer Wirtschaftspolitik und eine Strategie dahinter nie wirklich erkennbar.
Utz Tillmann: Auch wir begrüßen es, dass durch den Beitrag von Herrn Altmaier eine Diskussion zur Industriepolitik entstanden ist – ein Thema, das lange Zeit nicht auf der Top-Agenda der Bundesregierung stand. Ziel darf jedoch keine nationale Strategie sein. Eine Industriestrategie muss breit aufgestellt sein und Europa mitdenken.
K. Andreae: Wie alle Branchen muss aber auch die Industrie den Anforderungen von Klima- und Umweltfragen in einer globalisierten Welt gerecht werden. Eine gute Industriepolitik holt daher die Ökologie ins Zentrum der Ökonomie. Sie findet Lösungen, damit unsere Industrie wettbewerbs- und zukunftsfähig bleibt und dabei gleichzeitig dem Kampf gegen die Klimakrise und umweltpolitischen Herausforderungen gerecht wird.
Mit dem Klimaschutz und der Energiewende sprechen Sie zwei zentrale industriepolitische Themen an, die eng miteinander verknüpft sind. Was kann die Chemiebranche dazu beitragen, das wir die nationalen Klimaschutzziele erreichen?
U. Tillmann: Im Grunde genommen gibt es drei Stellschrauben, an denen wir drehen können. Das eine ist die Emissionsminderung bei den Prozessen, das heißt, eine Reduktion des CO2-Ausstoßes der Produktionsanlagen. Der zweite Punkt ist der Ersatz fossiler Rohstoffe wie Öl oder Gas durch alternative Rohstoffe. Und der dritte Ansatzpunkt sind unsere Produkte selbst, die dazu eingesetzt werden können, CO2-Emissionen einzusparen.
Wie lässt sich dieser Umbau finanzieren?
K. Andreae: Unsere Wunschvorstellung wäre ein internationaler CO2-Preis, über den die alte Stromwelt die neue Stromwelt finanziert. Wir bräuchten einen sicher kalkulierbaren Preis für CO2, der sukzessive steigt, so dass wir vom Abgabensystem des EEGs wegkommen. Die generierten Mittel müssten dazu verwandt werden, Umstellungsprozesse im Produktionsablauf zu unterstützen. Das wären Anschubfinanzierungen, aus denen Leuchtturmprojekte hervorgehen können.
Das deckt ungefähr die Hälfte der Emissionen in der EU ab. Die Frage ist: Wie geht man mit dem Non-ETS-Bereich um?
U. Tillmann: Diese Einschätzung kann ich nicht nachvollziehen: Der EU-Emissionshandel funktioniert besser als jedes andere klimapolitische Instrument. Das System hat bisher seine gesetzten Reduktionsziele sogar übererfüllt.
Eine CO2-Besteuerung alleine wird den Klimawandel nicht stoppen. Hierzu bedarf es, wie eingangs erwähnt, vor allem technologischer Innovationen. Welchen Beitrag kann der Staat leisten, diese zu fördern?
K. Andreae: Wichtiger als jede Restriktion ist ein aktivierender Staat, der Wettbewerb entfacht, Anreize für Innovation schafft und auch tatsächlich ins Risiko geht, also Finanzierungsmöglichkeiten bietet und an Stellen investiert, wo das Risiko für Unternehmen zu hoch ist.
U. Tillmann: Wir kämpfen seit langer Zeit für eine steuerliche Forschungsförderung. Sie ist ein wichtiges Instrument für mehr Innovationen, deren Einführung in Deutschland überfällig ist. Die chemische Industrie investiert bereits über 10 Mrd. EUR pro Jahr in Forschung und Entwicklung. Um das von der Bundesregierung gesteckte Ziel von 3,5 % F&E-Anteil am Bruttoinlandsprodukt zu erreichen, müssten die Unternehmen noch weitere 4 Mrd. EUR draufpacken. Das werden sie ohne eine steuerliche Forschungsförderung in Deutschland aus eigener Motivation nicht tun. Erste Unternehmen investieren bereits in Österreich, weil es dort die besseren steuerlichen Rahmenbedingungen gibt.
Der von Bundesfinanzminister Olaf Scholz vorgelegte Gesetzesentwurf zur steuerlichen Forschungsförderung sieht eine Förderung von 5 Mrd. EUR über die nächsten vier Jahre vor. Wie bewerten Sie den Entwurf?
U. Tillmann: Es ist ein Einstieg, der dazu beitragen kann mit dem Instrument umzugehen. Das Volumen halte ich für zu niedrig. Wirklich gute Effekte wird man erst erzielen, wenn noch mehr in die steuerliche Forschungsförderung investiert wird und diese nicht zeitlich begrenzt ist.
U. Tillmann: Und gerade deshalb halten wir eine steuerliche Forschungsförderung auch für große Unternehmen für wichtig. Sie schafft ein Level Playing Field auf internationaler Ebene in der Forschung, mit Standortbedingungen, unter denen auch große Unternehmen in Deutschland weiter forschen werden.
Warum kommen wir trotz einer innovationsstarken Industrie bei der Energiewende oder dem Klimaschutz in Deutschland nicht schneller voran? Wo sehen Sie hier wesentliche Hürden?
U. Tillmann: Für Fragestellungen von hoher wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Relevanz, wie der Energiewende oder den Klimaschutz, fehlt es in Deutschland an der richtigen politischen Governance. Hier sind einzelne Ministerien für sich tätig. Es fehlt eine Governance-Struktur über diesen Ministerien. Das beobachten wir zum Beispiel gerade wieder bei der aktuellen Diskussion des Klimaschutzgesetzes. Hier gibt keine Koordination für die Gesamtfragestellung.
K. Andreae: Theoretisch ist diese Koordination bereits heute möglich. Wir haben eine Kanzlerin, die im Rahmen ihrer Richtlinienkompetenz klare Vorgaben bezüglich des Klimaschutzes machen könnte. Stattdessen werden die Vorschläge von Umweltministerin Svenja Schulze durch andere Ministerien abgeschwächt. Nur mit einem neuen Klimakabinett dürfte es nicht getan sein. Aus Sicht der Grünen müsste das Thema nicht nur ganz oben angesiedelt sein, sondern auch entsprechend durchgesetzt werden. Klimaschutz ist nicht „nice to have“, sondern zwingend nötig.
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