14.12.2010 • NewsChemieChemiekonjunkturEnergie

Werte, Wissen, Wachstum

Das Jahr 2010 ist gekennzeichnet durch eine positive Wirtschaftsentwicklung. Für manche ist die Krise schon so gut wie überwunden. Doch zu Euphorie besteht kein Anlass. .Vor uns liegen harte Zeiten. Unsere Gesellschaft steht vor großen Herausforderungen. Die Politik hat eine schwierige Balance zu schaffen: Sie muss konsolidieren, ohne den beginnenden Aufschwung abzuwürgen, sie muss die Sozialsysteme nachhaltig stellen und die Innovationen antreiben.

Die Wirtschaft kämpft trotz besserer Zahlen immer noch mit unzureichenden Kapazitätsauslastungen; sie hat Entlassungen vermieden, für sichere Arbeitsplätze allerdings kann sie keine uneingeschränkten Garantien geben; sie hat auf den tiefen Sturz mit Sparmaßnahmen und Restrukturierungen entschlossen reagiert, doch auch sie kann keineswegs zu einem einfachen „Weiter so" zurückkehren. Gefragt sind jetzt Tatkraft und Führungsstärke. Neues Wachstum wird auch davon abhängen, wieweit Unternehmensführer bereit sind, mutig und entschlossen neue Wege zu gehen, um die Chancen zu nutzen. ...

Die Krise ist nicht nur eine Delle in der wirtschaftlichen Entwicklung, nicht nur ein Ereignis, das uns ein paar Jahre zurückwirft; die Krise ist vielmehr eine Zäsur. Sie gibt die Möglichkeit, Fehlentwicklungen der vergangenen Jahre zu korrigieren und die Kräfte neu zu bündeln.

  • Wir brauchen einen neuen wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Konsens.
  • Wir brauchen eine Politik in gesamtgesellschaftlicher Verantwortung und keine Klientelpolitik.
  • Wir brauchen mehr Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft.

Wohlstand ist kein Stand. Wohlstand muss immer neu erarbeitet werden. Damit wir auch 2020 im Wohlstand leben können, müssen wir jetzt gemeinsam die Weichen richtig stellen.

Notwendig ist eine klare Wachstumsstrategie

Die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise hat in Deutschland zur tiefsten Rezession der Nachkriegszeit geführt. Nach wie vor sind besondere Anstrengungen erforderlich, um diese außergewöhnlich schwierige Lage zu bewältigen.
Dass der Staat rettend eingegriffen hat, war nötig und richtig. Genauso nötig und richtig aber ist, dass er auch eine Exit-Strategie verfolgt und sich so bald wie möglich wieder auf seine ursprüngliche Aufgabe besinnt, nämlich die Ordnungsrahmen zu setzen.

Die Wirtschaftskrise hat besonders auch die Industrie getroffen. Damit sie zu ihrer alten Stärke zurückfinden kann, braucht sie dringender denn je wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen. Hierzu fehlt jedoch ein industriepolitisches Gesamtkonzept, das langfristig und nachhaltig stärkt.
Deutschland muss auch in Zukunft einer der wettbewerbsfähigsten Industriestandorte der Welt sein.
Um das sicherzustellen, brauchen wir eine Industriepolitik, die nachhaltig ist, also ausgewogen ökonomische, ökologische und soziale Ziele berücksichtigt, ordnungspolitischen Grundsätzen folgt und technologieoffen ist.

Industriepolitik ist eine Querschnittsaufgabe. Besser aufeinander abgestimmte Ressortpolitiken in Deutschland und Europa sind unabdingbar für eine Erholung der deutschen Industrie. Wichtiger sind bessere Forschungsbedingungen, die Ausbildung von qualifiziertem Nachwuchs, eine wettbewerbsfähige Energie- und Rohstoffversorgung, der Ausbau der Infrastruktur und die weitere Abschaffung von Handelshemmnissen im In- und Ausland.
Der Wettbewerb soll über Marktchancen entscheiden, und nicht der Staat. Wenn sich Innovationen am Markt dauerhaft bewähren, tragen sie zu mehr Wachstum, Beschäftigung und Umweltschutz bei.

Zugleich muss sich die Wirtschaft wieder stärker auf ihre Verantwortung für die Gesellschaft besinnen. Sie muss alle Stakeholder in den Blick nehmen und ein neues Verhältnis zur Zeit gewinnen. Nicht mehr die kurzfristige Kurspflege, sondern der langfristige Erfolg muss Richtschnur des Denkens und Handelns sein. Wir brauchen ein neues Performance-Verständnis. Die Erwartungen an die Unternehmen waren vielfach überzogen.

Die soziale Marktwirtschaft muss unser Kompass bleiben

Deutschlands Wirtschaftssystem ist die soziale Marktwirtschaft. Sie hat uns in den zurückliegenden Jahrzehnten Wachstum, Wohlstand, Innovationen, Freiheit und sozialen Frieden gebracht.
Die soziale Marktwirtschaft ist anderen Wirtschaftsordnungen überlegen. Die dirigistische staatliche Lenkung der Wirtschaft ist ebenso gescheitert wie das angelsächsische Modell einer Marktwirtschaft mit gering regulierten Märkten.

Dennoch waren die letzten Jahre durch eine schleichende Abkehr vom Leitbild einer sozialen Marktwirtschaft gekennzeichnet. Aufgrund eines zunehmenden Einflusses einzelner Gruppen auf die Politik haben einerseits interventionistische und dirigistische Eingriffe in die Wirtschaft zugenommen. Die Regelungsdichte in Deutschland ist hoch. Andererseits war die gestaltende Funktion von Staat und Politik zunehmenden Angriffen ausgesetzt. Das hat zu - durchaus vermeidbaren - Problemen geführt: Das Wachstum war lange niedriger als in anderen Industrieländern, das Wohlstandsgefälle in Deutschland ist größer geworden, und die - in Teilen - unregulierten Finanzmärkte löste eine tiefe Wirtschaftskreise aus.
Wir müssen konstatieren: Unsere Gesellschaft driftet auseinander. Das widerspricht dem Versprechen der sozialen Marktwirtschaft. Wir haben Bedarf an sozialer Gerechtigkeit.

Die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft leiten sich unmittelbar aus den Werten ab, die Grundlage der marktwirtschaftlichen Ordnung sind. Der Gründervater Walter Eucken lässt schon auf der ersten Seite seiner „Grundsätze der Wirtschaftspolitik" keinen Zweifel daran, worum es 1949 ging und 2010 weiterhin in der sozialen Marktwirtschaft geht: „Soziale Sicherheit und soziale Gerechtigkeit sind die großen Anliegen der Zeit."
Die soziale Marktwirtschaft hat in Deutschland in der Bevölkerung eine seit Jahren sinkende Akzeptanz.

Heute sind nur noch 17 % der Befragten nach einer aktuellen TNS-Infratest-Umfrage für den Verband der Chemischen Industrie davon überzeugt, dass die soziale Markwirtschaft gut funktioniert. Die überwiegende Mehrheit (62 %) verbindet mit der sozialen Marktwirtschaft vor allem eines: Schwächen. Unverändert hoch ist aber das Bedürfnis nach sozialer Gerechtigkeit. 48 % der Befragten sind sogar der Meinung, dass es in Deutschland eher ungerecht zugeht.

Die Finanz- und Wirtschaftskrise sorgt für Kritik an Teilen der Marktwirtschaft: Manager und Banken haben an Ansehen verloren, es gibt einen Vertrauensverlust. Dem müssen wir begegnen, nicht indem wir die soziale Marktwirtschaft immer wieder neu beschwören, sondern sie konkret leben. ...

Wir wollen das Industrieland Deutschland stärken

Wir arbeiten dafür, dass Deutschland im Jahr 2020 noch immer ein starkes Industrieland ist. Die deutsche Industrie bietet 6 Mio. Menschen überdurchschnittlich gut bezahlte Arbeitsplätze und erbringt rund ein Viertel der Wirtschaftsleistung. In den vergangenen Jahren ist die Industrie für unser Land sogar noch wichtiger geworden, während ihr Anteil in den meisten anderen Industrieländern rückläufig ist.

Die Industrie ist und bleibt das Rückgrat der deutschen Wirtschaftskraft und zugleich der Motor des Fortschritts. Mit ihren Innovationen macht sie das Leben einfacher, komfortabler und ökologischer. Sie erzeugt Lebensqualität und entwickelt Lösungen für die Herausforderungen der Zukunft in den Bereichen Energie, Klimaschutz, Mobilität, Gesundheit und demografischer Wandel. Die deutsche Industrie hat die Produkte für die Herausforderungen der globalen Megatrends. Das macht unser Land zukunftsfähig.

 


Auszug aus: „Werte Wissen Wachstum - Was Deutschland tun muss", Herausgeber K. Engel, M. Vassiliadis, Hoffmann und Campe, 304. S., 2010

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