SCIP: Kritikpunkte an eine neue Datenbank

SCIP steht für „Substances of Concern in Products“ und ist eine neue Datenbank, die von der Europäischen Chemikalienbehörde (ECHA) eingerichtet und in allen Mitgliedstaaten zugänglich sein wird.

Ziel der Datenbank SCIP ist letztendlich, gefährliche Stoffe aus dem...
Ziel der Datenbank SCIP ist letztendlich, gefährliche Stoffe aus dem Wirtschaftskreislauf auszuschleusen und damit dem EU-Kommissionsziel „Tox-Free-Environment“ ein Stück weit näher zu kommen. © Pixabay

Es ist geplant, diese ab ­Januar 2021 mit zahlreichen Informationen über „bedenkliche Stoffe“ in Produkten zu füttern. Diese Informationen sollen den Entsorgungsunternehmen zur Verfügung stehen, die dann Kenntnis darüber haben werden, in welchen Abfällen besorgniserregende Stoffe sind. Ziel der Datenbank ist letztendlich, solche gefährlichen Stoffe endgültig aus dem Wirtschaftskreislauf auszuschleusen und damit dem EU-Kommissionsziel „Tox-Free-Environment“ ein Stück weit näher zu kommen. 

Das Ansinnen der EU-Kommission, den Recycling- und Entsorgungsunternehmen mehr Informationen über bedenkliche Stoffe zu Verfügung zu stellen, ist richtig. In den meisten Fällen wissen Entsorgungsbetriebe heute nicht, ob – und wenn ja welche – besorgniserregende Stoffe in den zu entsorgenden Abfällen enthalten sind, wenn diese in der Verwertung ankommen. Sollen bestimmte Teile in die stoffliche Verwertung gebracht werden, sind dann chemische Analysen notwendig. Dem Informationsdefizit auf der Seite der Abfallwirtschaft will die EU-Kommission mit SCIP nun begegnen. 
Unternehmen, die Erzeugnisse mit besorgniserregenden Stoffen (SVHC – Substances of very high Concern) in einer Konzentration von mehr als 0,1 Gew.- % (w/w) auf dem EU-Markt liefern, müssen der ECHA ab dem 5. Januar 2021 Informationen zu diesen Erzeugnissen vorlegen. Ein „Erzeugnis“ ist ein Gegenstand, der bei der Herstellung eine spezifische Form, Oberfläche oder Gestalt erhält. Diese Definition findet sich in Art. 3 der ­REACh-Verordnung. Betroffen von der Berichtspflicht sind demnächst auch „komplexe Objekte“, also Produkte aus mehr als einem Erzeugnis.
Die SCIP-Datenbank ist nur dann anwendbar, wenn sich eine hohe Anzahl betroffener Hersteller beteiligt. SCIP sieht vor, dass bspw. Informationen über das gesetzliche Maß hinausgehend einzugeben sind. So sind nicht nur Informationen über besonders besorgniserregende Stoffe, sondern auch „Substances of Concern“ einzugeben, damit sind Stoffe gemeint, die in Produkten durch andere Vorschriften als REACh beschränkt sind. Die Informationen in der Datenbank werden dann Abfallentsorgern und Verbrauchern zur Verfügung gestellt. 

Hauptkritikpunkte
Die Anwendung der neuen Datenbank wird enorme Schwierigkeiten bereiten. Zunächst ist es von herausragender Bedeutung, alle betroffenen Unternehmen auf ihre Verpflichtungen hinzuweisen. Es ist aus heutiger Sicht mehr als fraglich, ob dies in absehbarer Zeit angesichts aktueller Wirtschaftskrise und langjährigen Erfahrungen mit REACh gelingt. In den nächsten Monaten müssten zahlreiche Veranstaltungen angeboten werden, um auf SCIP aufmerksam zu machen und die Nutzung des Prototyps vorzustellen. 
In einem Marktüberwachungsprogramm wurde bspw. die seit 2007 bestehende Pflicht zur Anwendung des Art. 33 überprüft, die bereits die Informationspflicht über besorgnis­erregende Stoffe in der Lieferkette enthält. Bei einer Untersuchung zur Einhaltung der Informationspflicht der Erzeugnishersteller wurde eine Verstoßrate von über 80 % entdeckt.  Deshalb muss an dieser Stelle bezweifelt werden, dass Daten für SCIP in ausreichendem Umfang berichtet werden. Die Handhabung wird zudem wesentlich komplexer und undurchsichtiger sein als die bisher geltende Informationspflicht innerhalb der Lieferkette.
Die Nutzung der SCIP-Datenbank durch die Recycler ist ebenfalls mehr als fraglich. Auch wenn das Ansinnen richtig ist, mehr Transparenz in Stoffströme zu bringen, wird SCIP aus heutiger Sicht nicht dazu beitragen können, „mehr Licht ins Dunkel der Schadstoffe in Abfällen“ zu bringen. Recyclingunternehmen arbeiten im Tonnenmaßstab (z. B. Altfahrzeugaufbereitung, Elektronikschrottverwertung), der Input in die Aufbereitungsanlagen wird gespeist durch viele verschiedene Modelle unterschiedlicher Hersteller. Selbst bei einem etwas einfacheren Stoffstrom wie Verpackungen haben es die Recycler nicht viel einfacher. Zudem werden Artikelbezeichnungen nicht an den Entsorger weiter kommuniziert. Eine Sortieranlage für Verpackungen bspw. ist nicht darauf ausgerichtet, nach Artikelnummern zu sortieren, sondern nach Farbe, Kunststoffart etc. Der Verwerter wird in der Regel also keine Zeit haben, sich um weitergehende Informationen zu kümmern, wenn er in kurzer Zeit Umsätze generieren muss.

Mögliche Alternativen
Um den Zielen der EU-Kommission im Bereich Klimaschutz und Ressourcenschonung gerecht zu werden, sind mehr Recycling und ein höherer Einsatz von Recyclingrohstoffen alternativlos. Die Anwendung der heute bereits existierenden Regelungen wird schrittweise dazu führen, dass immer weniger besorgniserregende Stoffe auch in der Abfallwirtschaft ankommen. Schon heute gibt es kaum Fälle, in denen verwertete Abfälle zu einem Schadstoffproblem in der Produk­tion geführt haben.  Die viel größere Herausforderung ist, mehr Abfälle in ein hochwertiges Recycling zu bringen, um mehr vor allem nicht erneuerbare Ressourcen einzusparen. Im schlimmsten Fall wird SCIP dazu führen, dass noch mehr Schadstoffausschleusung im Recycling gefordert wird, was dann zu noch mehr Beseitigung von Abfallströmen führt. Damit gehen hohe Mengen an wertvollen Ressourcen verloren, die auch für einen erfolgreichen Klimaschutz notwendig wären.
Deshalb muss sich die EU davon verabschieden, eine komplett schadstofffreie Recyclingwirtschaft zu haben und ein „Tox-Free-Environment“ weiter zu verfolgen. Bereits heute finden wir in allen Umweltmedien ubiquitär vorkommende Schadstoffe, die die sog. Hintergrundbelastung darstellen. Diese Belastungen entstanden durch jahrzehntelange Gewässerverschmutzung, Emissionen aus Industrie, Verkehr, Landwirtschaft etc. Wir haben aber bereits durch eine strenge Umwelt- und Produktgesetzgebung viel erreicht. Gerade heute in Zeiten von absehbarer massiver Wirtschafts- und Rohstoffkrise sowie drohender Klimakatastrophe ist es nicht angebracht, Milliarden von Euro in eine neue, voraussichtlich nicht funktionierende Datenbank zu stecken. Vielmehr muss mit viel Augenmaß zukünftig abgewogen werden, wie Klimagasreduktion und Ressourcenschonung innerhalb der EU geregelt werden können.

Blick in die Zukunft
Im Februar 2020 hat die ECHA einen Datenbank-Prototyp veröffentlicht (https://echa.europa.eu/de/scip-database). Im Jahresverlauf soll die Vollversion eingerichtet werden. Hersteller oder Lieferanten von SVHC-haltigen Erzeugnissen sind ab Januar 2021 zur Übermittlung von Informationen in die SCIP-Datenbank verpflichtet. Hierzu ist die Software IUCLID 6 notwendig, die bereits für die Registrierung von Stoffen genutzt werden musste und über die ECHA-Homepage kostenfrei zu beziehen ist.  Die ECHA hat bereits angekündigt, Webinare zur Nutzung der SCIP-Datenbank für betroffene Unternehmen durchzuführen. Konkrete Aspekte zur rechtlichen Durchsetzung der SCIP-Datenbank müssen die EU-Mitgliedstaaten nun bis zum Sommer 2021 im nationalen Recht etablieren.

Beate Kummer ist seit 2005 als geschäftsführende Gesellschafterin der Kummer...
Beate Kummer ist seit 2005 als geschäftsführende Gesellschafterin der Kummer Umweltkommunikation tätig und arbeitet zusätzlich als Lehrbeauftragte an Universitäten und Hochschulen. Nach dem Studium der Chemie und Toxikologie hat Kummer im Fach Biochemie promoviert und zunächst Forschungsarbeiten in den USA getätigt. Nach ihrer Rückkehr wurde sie 1995 Geschäftsführerin des Bundesverbands Sekundärrohstoffe und Entsorgung und übernahm 2002 die Position der Niederlassungsleiterin und Prokuristin bei Haase & Naundorf Umweltconsulting.

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