27.09.2011 • Themen

Industrielle Kristallisation- vom Molekül bis zur Anlage

CITplus - Für eine erfolgreiche industrielle Kristallisation ist es erforderlich, dass die einzelnen Prozessschritte, beginnend mit dem Bedarf eines bestimmten Kristallisationsgutes bis hin zur Berechnung der benötigten Anlage, optimal aufeinander abgestimmt sind. Mit welchen Aspekten zu dieser Thematik sich die Arbeitsgruppe Thermische Verfahrenstechnik (TVT) vom Zentrum für Ingenieurswissenschaften der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg befasst und wie sie die einzelnen Schritte und deren Interaktion untersucht, berichtet dieser Beitrag.

Bei der interdisziplinären Arbeitsweise ist es von Vorteil, dass die Mitarbeiter der TVT unterschiedliche wissenschaftliche Hintergründe aufweisen. Es findet eine enge Zusammenarbeit zwischen Ingenieurswissenschaftlern und Naturwissenschaftlern, dabei auch Ernährungswissenschaftler, Pharmazeuten und Lebensmittelchemiker, statt.
In der Forschung für die industrielle Kristallisation ist es besonders wichtig, sich an den Bedürfnissen der Industrie zu orientieren. Aus diesem Grund werden Verfahren entwickelt, die den größtmöglichen wirtschaftlichen Nutzen aufweisen und zusätzlich ein optimales Produkt hervorbringen.

Molekular Modelling
In der industriellen Kristallisation wäre es vorteilhaft, vorab über Aussagen zu einem zu erwartenden Kristallwachstum (Geschwindigkeit und Morphologie) zu verfügen. Solche Vorhersagen werden heutzutage verstärkt am Rechner über Molekular Modelling erzeugt. Mit Hilfe eines solchen Vorgehens kann aus den fundamentalen Daten des reinen Kristalls des jeweiligen Stoffes und den unterschiedlich simulierten Kristallisatiosbedingungen der resultierende Kristall berechnet werden. Diese Berechnungen bieten die Möglichkeit von Beginn an die Verfahrenstechnik auf einen Kristallisationsprozess abzustimmen. Die daraus entstehenden Vorteile (Laborzeitersparnis, Ressourcenschonung) verhelfen dieser „Vorhersagemethode" immer mehr zu einer Entwicklung weg vom „Spielzeug der Wissenschaft" hin zum „Handwerkszeug der Industrie". Die Qualität einer Molekular Modelling Simulation im Vergleich mit einem experimentell gewachsenen Benzoesäurekristalls ist in Abb. 1 zu sehen. Im eigenen Haus wird zu dieser Thematik seit Jahren der Teil der Software entwickelt, der in kommerziell erhältlichen Software Paketen nicht enthalten ist.

Messtechnik
Die Kinetik eines Kristallisationsprozesses ist nach wie vor nicht vorausberechenbar und hängt entscheidend von den vorherrschenden Umgebungsbedingungen ab. Daher ist es besonders wichtig, die „richtigen" Messtechniken einzusetzen. Dabei sollte nicht nur die Flüssigkeitsphase (Konzentration und metastabiler Bereich) in-/online überwacht werden, sondern auch die feste, kristalline Phase (Suspensionsdichte von ca. 15 - 35 Vol % sowie mittlere Kristallgröße bzw. Kristallgrößenverteilung). Denn bei der Durchführung einer Kristallisation ist es essentiell, den Prozessverlauf adäquat kontrollieren zu können, um das bestmögliche Produkt zu erhalten. Dafür kommen unterschiedliche akustische (z. B. Ultraschall) und optische Messtechniken (Laserlichtrückstreuung) zum Einsatz. Mit diesen Messtechniken werden Keimbildung, Kristallwachstum und das Auflöseverhalten von Kristallen beobachtet, um so Aussagen über den Verlauf des Kristallisationsprozesses treffen zu können. In Abb. 2 ist exemplarisch die während einer Kristallisation von Harnstoff mittels der Ultraschallmesstechnik inline gemessenen Suspensionsdichte und mittleren Kristallgröße dargestellt. Erfreulicher Weise zeigen die Laserlichtrückstreuungstechniken vergleichbare Ergebnisse mit zusätzlicher Aufschlüsselung der Größenverteilung. Mit den durch die Messtechniken gewonnenen Informationen kann eine zielgerichtete Optimierung und eine Automatisierung des Kristallisationsprozesses ermöglicht werden.

Produktdesign
Im Laufe der letzten Jahre hat sich das Aufgabenfeld der Kristallisation erweitert. Zusätzlich zu einer erfolgreichen, effizienten industriellen Durchführung steht immer mehr auch die Funktion des Produktes mit im Vordergrund. Die Kristallisation wird zunehmend als „Werkzeug" für das Produktdesign eingesetzt. Neben der chemischen sind es insbesondere die pharmazeutische und die Lebensmittelindustrie, in denen diese Ansätze genutzt werden. Durch die vielseitigen Anwendungsbereiche der Kristallisation als „Werkzeug" für das Produktdesign liegt ein wesentlicher Schwerpunkt der Forschung der TVT in diesem Bereich. Ein Beispiel für Produktdesign in der pharmazeutischen Industrie ist die Herstellung von hohlen Nadeln (Abb. 3). Diese könnten zukünftig z. B. als sogenannte „Container" für Medikamente zum Einsatz kommen. In einem solchen Fall wird der Hohlraum der Kristalle mit pharmazeutischen Wirkstoffen befüllt, die dann sukzessive durch die Auflösung des Kristalles als Medikation in den menschlichen Körper abgegeben werden. Eine weitere Facette des Produktdesigns sind die Auswirkungen von Fremdstoffen und Additiven, die während des Kristallisationsprozesses eingesetzt werden bzw. ungewollt im Prozess vorhanden sind. Sie wirken sich neben der Reinheit der Kristalle auf deren Morphologie aus, was wiederum Einfluss auf das downstream Handling, wie Filtrierbarkeit, aber auch Fließfähigkeit und Beschichtbarkeit hat.

Proteinkristallisation
Ein weiteres zukunftsträchtiges Anwendungsfeld der industriellen Kristallisation ist die Proteinkristallisation. Bei der Kristallisation von Proteinen ist es besonders wichtig, stabile und enzymatisch aktive Produkte mit einer großen Ausbeute in einem zeitlich vertretbaren Rahmen aufzureinigen bzw. aus Gemischen abzutrennen. Aus diesem Grund ist es zwingend erforderlich den Prozess genau zu kennen, da Proteine ein sehr empfindliches Kristallisationsgut sind. Häufig fehlen die Phasendiagramme und die Zielproteine müssen erst noch charakterisiert werden, bevor das Optimieren bezüglich Ausbeute, Reinheit (bei Erhalt der Aktivität) erfolgen kann. Mit neuen Verfahren wird hier erfolgreich die Kristallisation in technisch interessanten Zeiten von Stunden und nicht von Tagen durchgeführt. In Abb. 4 ist ein unter den oben genannten Bedingungen hergestellter Lysozymkristall abgebildet.
Die Forschungsarbeiten der Mitarbeiter der Arbeitsgruppe Thermische Verfahrenstechnik mit dem Schwerpunkt Kristallisation werden neben der Förderung durch öffentliche Mittelgeber auch durch Partner aus der Industrie unterstützt. Die Praxisnähe wird hierdurch zum Nutzen beider Seiten immer aktuell gehalten und stellt für die Mitarbeiter einen hohen Motivationsschub dar.

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