Patientensicherheit als oberstes Leitprinzip
Ein Upgrade der Produktion für regulierte Bereiche auf GMP stellt eine umfassende Aufgabe dar
Die Summe der Regularien, welche in unterschiedlicher Ausprägung und abhängig von vielen Faktoren zur Anwendung kommen, wird unter dem Begriff „Good Manufacturing Practice“, kurz GMP, zusammengefasst.
Die häufigsten Treiber der Entscheidung, die Produktion auf GMP umzustellen, sind die Erschließung neuer Marktsegmente und die Aussicht auf höhere Wertschöpfung. Es kann aber auch das Gegenteil der Fall sein: Der drohende Verlust von Kunden, die ihre Ansprüche an das Material erhöhen – gezwungenermaßen oder aus absatztechnischen Überlegungen. Generell sehen wir in regulierten Bereichen – die Pharmazie gehört zu den hochregulierten Industriezweigen – einen kontinuierlichen Anstieg der Standardniveaus und der Anforderungen. Dies ist der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung hin zu mehr Sicherheit und Risikoreduktion geschuldet, die Hand in Hand mit dem allgemeinen Anstieg des Lebensstandards geht. In jedem Fall ist eine derartige Umstellung eine umfassende Aufgabe, die neben den verfahrens- und ablauftechnischen Aspekten tief in die Kultur des Unternehmens eingreift und daher entsprechender Planung bedarf.
Was steckt nun hinter GMP als Konzept – oder, noch allgemeiner, hinter GxP, wobei sich das x auf die unterschiedlichen Anwendungsbereiche wie Manufacturing, Laboratory, Engineering oder Development etc. bezieht? Der Grundgedanke ist so einfach, wie logisch: Die Sicherheit und Wirksamkeit von Arzneimitteln und Medizinprodukten muss gewährleistet werden. Nachdem durch Prüfung am Ende des Produktionsprozesses nie alle möglichen, aber zum Teil noch unbekannten Mängel erfasst und ausgeschlossen werden können, muss der gesamte Herstellungsprozess möglichst kontrolliert und nach genauen Regeln erfolgen. Schwankungen müssen so gering wie möglich gehalten werden und sind hinsichtlich ihrer Ursachen und Wirkungen detailliert zu erforschen. Das klingt sehr komplex und schreckt beim ersten Kontakt ab, aber wenn man die Fragestellungen systematisch analysiert, wird ersichtlich, dass die erforderliche Herangehensweise eigentlich recht einfach ist: Schritt für Schritt wird durch den Prozess gegangen und alle möglichen Einflüsse mit ihren potenziellen Auswirkungen werden erfasst. Die bestehenden Regelwerke decken dabei sehr viele Standardoperationen und Vorgänge ab und geben auch Lösungswege für nicht explizit erfasste Abläufe vor.
Dokumentation als Kernelement
Ein wichtiger Eckstein bei GMP ist die Dokumentation, die eine lückenlose Nachvollziehbarkeit garantiert. Jeder kennt die Situation, dass man – aus welchen Gründen auch immer – einen Vorgang in der Vergangenheit detailliert verstehen will und dabei bemerkt, wie schwer bzw. vielfach unmöglich dies auch nach kurzer Zeit bereits ist, weil gerade die dann notwendigen Fakten meist nicht oder nur ungenügend dokumentiert sind. Daher ist es im Pharmaumfeld unumgänglich, eine Dokumentation aufzubauen, die sowohl den Standardablauf für jede Produktionsmenge lückenlos beschreibt als auch alle Abweichungen detailliert erfasst. Damit ist jederzeit die Rekonstruktion des Herstellungsprozesses auch für nicht unmittelbar damit Beschäftigte erlaubt. Hand in Hand mit der Dokumentation geht klarerweise die oben erwähnte Standardisierung der Arbeitsschritte, um Schwankungen in der Qualität – das sind bei Arzneimitteln primär Wirksamkeit, Konzentration und Reinheit – zu verhindern.
Die Dokumentation selbst muss strengen formalen Kriterien folgen, damit auch Außenstehende mit ihrer Hilfe alle Abläufe rekonstruieren können. Dazu gehören einerseits Anforderungen an den Ersteller, wie die Lesbarkeit, Genauigkeit oder Zuordenbarkeit. Andererseits gibt es auch Anforderungen an den Verwalter, wie die Dauerhaftigkeit oder Verfügbarkeit der Dokumente.
Aus dieser Beschreibung wird schnell verständlich, warum der Schritt in die gute Herstellungspraxis neben den wahrscheinlich erforderlichen Sachinvestitionen in Anlage und Labor auch immer mit einer mehr oder weniger großen Veränderung der Arbeitskultur verbunden ist. Die nachvollziehbare Dokumentation in der erforderlichen Form kann für einzelne Arbeitnehmer abhängig von ihrer persönlichen Historie eine sehr große oder sogar zu große Herausforderung werden. Darin liegt der wesentliche Erfolgsfaktor für eine derartige Umstellung, die alle operativen Bereiche betrifft – von der Logistik bis zur Instandhaltung. Auch wenn sich in der „Hardware“ des Betriebs vielleicht nur wenig ändert, stellt die Umstellung einen tiefgreifenden Änderungsprozess dar, der professionell gesteuert und begleitet werden muss. Die Erfahrung zeigt, dass für diese Begleitung ein neutraler externer Partner erfolgsbestimmend ist.
Ohne Praxisnähe kein Erfolg
In den meisten Fällen muss ein Qualitätssystem erst aufgebaut werden. Dabei ist unter den behördlich vorgegebenen Rahmenbedingungen das Notwendige zu implementieren und nicht das Maximale anzustreben. Der Zugang von der regulatorischen Perspektive allein, ohne operative Erfahrung, führt zu überzogenen Anforderungen und unpraktikablen Abläufen – und diese fast immer zu Missachtung und Verletzung von Vorgaben. Ein praxisnaher Ansatz, verbunden mit der systematischen Analyse möglicher Risiken hilft hier, das richtige Niveau zu finden. In jeder Diskussion mit einer Behörde ist es entscheidend, dass rationale, nachvollziehbare Entscheidungen verantwortungsvoll getroffen werden. Auch wenn die Behörde eine andere Entscheidung trifft und durchsetzt, bleibt es eine Diskussion auf Augenhöhe verglichen mit einer Situation, in der weder eine Begründung noch ein Entscheidungsprozess nachgewiesen werden können. Dann nämlich entsteht sehr rasch der Eindruck, dass die Verantwortlichen nicht wissen, was und warum sie etwas tun.
Wie erwähnt, greift ein Qualitätssystem stark in viele operative Bereiche ein, neben der eigentlichen Produktion außerdem in die Logistik, das Ingenieurwesen und die Instandhaltung sowie in die Produktentwicklung und Analytik. Je nach Standortorganisation können auch Infrastrukturabteilungen betroffen sein, wenn dort relevante Medien mit Produktkontakt wie Dampf oder Prozesswasser erzeugt werden. Hier trifft die oft erforderliche weitreichende Änderung von historischen Strukturen und Abläufen erfahrungsgemäß auf mehr Widerstand als in den anderen Betriebsfeldern. Es ist daher von Beginn an ein erhöhtes Augenmerk darauf zu legen.
In jedem Fall ist der Veränderungsprozess selbst mindestens genau so entscheidend wie das eigentliche Qualitätskonzept, um die Kongruenz zwischen Soll und Ist sicherzustellen. Die Herausforderung der Implementierung neuer Abläufe und Strukturen, die Organisation, sowie die Begleitung durch den Änderungsprozess ist für die meist wenigen Schlüsselpersonen kaum zu bewältigen. Hier sollte stets für das eine oder andere eine entsprechende externe Unterstützung beigezogen werden. Wie erwähnt, sieht es die Behörde verständlicherweise ungleich kritischer, wenn eigene Vorgaben nicht eingehalten werden, als wenn die Vorgaben selbst diskussionswürdig sein mögen. GxP als Gestaltungsgrundlage ist weder mystisch noch irrational, sondern folgt dem Grundsatz der gewissenhaften naturwissenschaftlichen Überlegung und Risikobewertung mit der Patientensicherheit als oberstem Leitprinzip. Wenn dieses Verständnis in der Belegschaft nachhaltig verankert werden kann, wird die Umstellung auf GMP erfolgreich sein und den gewünschten Ertrag bringen.
Autor: Konrad Schaefer, Division Manager Operational Experts, VTU Engineering GmbH, Raaba-Grambach, Österreich
„Der Schritt in die gute Herstellungspraxis ist immer mit einer Veränderung der Arbeitskultur verbunden.“