Logistik & Supply Chain

Gigaliner, Ökokombi & Co

Mögliche Auswirkungen überlanger Lkw für die Chemie- und Pharmaindustrie

28.07.2010 -

In Zeiten rasant steigender Transportaufkommen und zunehmenden Kostendrucks wurde in den vergangenen Jahren im europäischen Straßentransport nach Lösungen gesucht, die Transporte effizienter und umweltverträglicher zu gestalten. Auf nationaler wie auf europäischer Ebene wurde neben der klassischen Verlagerung von Verkehren auf andere Verkehrsträger insbesondere die Diskussion bezüglich einer Erweiterung der Lkw-Abmaße bzw. Gewichte angestoßen.

Unabhängig von den genauen Abmessungen und Gewichtsobergrenzen liegen die Argumente der Kritiker und Befürworter auf dem Tisch: Letztere sehen in der Erweiterung des Ladevermögens von Lkw vor allem eine Chance, die Anzahl der Transporte zu reduzieren: Dies hätte eine geringere Verkehrs- und Umweltbelastung (Staus, Schadstoffausstoß, Lärm, etc.) sowie niedrigere Produktionskosten zur Folge. Die Kritiker hingegen führen die Gefahr einer Rückverlagerung von Schienenverkehren auf die Straße, höhere Instandhaltungskosten für die Infrastruktur sowie die Gefahr einer stärkeren Marktkonzentration im Straßentransportgewerbe an.
Grundlage aller Diskussionen bezüglich neuer Lkw-Abmaße bzw. -Gewichte ist die Änderung der europäischen Vorgaben bzw. der damit verbundenen Übernahme in die nationalen Verordnungen der EU-Mitgliedsstaaten. Im grenzüberschreitenden Verkehr gilt aktuell ein max. zul. Gesamtgewicht von 40 t (44 t im Kombinierten Verkehr) und eine Gesamtlänge von bis zu 18,75 m für einen konventionellen Gliederzug (Motorwagen m. Anhänger) bzw. 16,50 m für einen Sattelzug (Zugmaschine m. Sattelauflieger).
Grundsätzlich überlässt es die hierfür maßgebliche EU-Richtlinie 96/53/EG den Mitgliedsstaaten, auch längere Fahrzeugkombinationen zuzulassen. Insbesondere Schweden und Finnland nutzen bereits seit den 70er Jahren Lkw mit einer Gesamtlänge von 25,25 m und einem Gesamtgewicht von 60t.
Basierend auf dieser Richtlinie haben zahlreiche europäische Länder begonnen, im Rahmen von Feldversuchen die Auswirkungen längerer Fahrzeuge und höherer Gesamtgewichte in unterschiedlichen Kombinationen auf den Straßenverkehr zu testen (bspw. Holland seit 2000, Deutschland seit 2005). Diese Versuche sind jedoch bisher auf nationale Transporte auf vorgeschriebenen Strecken mit einer festgelegten Anzahl an Fahrzeugen beschränkt. Da die Vorteile solcher Fahrzeuge erst beim Transport großer Volumina auf Langstrecken richtig zum Tragen kommen, heißt es nun, diese Versuche zu internationalisieren bzw. in einheitliche Verordnungen auf EU-Ebene umzusetzen.

Mythos „Gigaliner"

Auf Grund der vielfältigen Diskussionen in der Vergangenheit sind von verschiedenen Interessensgruppen unterschiedliche Bezeichnungen eingeführt worden (z.B. „Eurocombi", „Long Combination Vehicle (LCV), oder „Ecocombi"), die jedoch grundsätzlich als Synonym für die im Nachgang als „GigaLiner" benannte Fahrzeuggattung zu verstehen sind.
All diese unterschiedlichen Ansätze beziehen sich dabei auf eine Fahrzeugkombination mit einer Länge von bis zu 25,25 m und einem zulässigen Gesamtgewicht von 40-60 t.
In Abhängigkeit der maximalen Nutzlast bietet der Gigaliner aus Sicht der Verlader zahlreiche Vorteile. So kann beim Einhalten des zulässigen Gesamtgewichts im Vergleich zu einem konventionellen Sattelzug/Gliederzug (Platz für 34 Europaletten) mit einem Gigaliner (52 Euro-Paletten) ca. 50% mehr Ladung transportiert werden. Bei einer Transportdistanz von bspw. 640km kann ein Kostenvorteil von ca. 22% realisiert werden wie bereits in einer Studie der Mannheimer Unternehmensberatung TIM Consult im September 2006 nachgewiesen wurde.
Aufgrund der zwischenzeitlich festgefahrenen politischen Diskussion um eine generelle Zulassung von Lkw mit 60 t und 25,25 m Länge wurde als Kompromiss eine neue Fahrzeuggattung eingebracht, die meist unter dem Begriff „Ökokombi light" zu finden ist. Im Mai dieses Jahres hat die EU-Kommission vorgeschlagen, ein solches Fahrzeug mit einer Gesamtzuglänge von 20,75 m und einem zulässigen Gesamtgewicht von 44-45t EU-weit generell zuzulassen. Dies würde immerhin eine Erhöhung der zulässigen Gesamtlänge von ca. 11% gegenüber dem heutigen Gliederzug bedeuten. Ob der angekündigte Ökokombi Light ggf. eine Zwischenlösung für den Gigaliner darstellen könnte, werden die weiteren Diskussionen zeigen.

Implikationen für die chemische Industrie

Die Vorteile der überlangen Lkw für Verlader liegen auf der Hand: Insbesondere bei Transporten mit großen Volumina über weite Distanzen macht sich die größere Ladekapazität auch kostenseitig bemerkbar. Speziell für die Chemieindustrie wäre ein Einsatz bspw. für den Transport leichter Dämmstoffe ideal, da das zusätzliche Volumen in jedem Fall voll ausgelastet werden kann. In Abhängigkeit der letztendlich zugelassenen Fahrzeuglängen und -gewichte kann es jedoch für schwere Güter zu Einschränkungen kommen. Zum Beispiel bei Granulaten in BigPacks hängt der Effizienzgewinn stark von dem zulässigen Gesamtgewicht ab.
Aufgrund der vielseitigeren Einsatzmöglichkeiten des Equipments ist zu erwarten, dass überlange Lkw im Bereich palettierter Ware zuerst im Markt anzutreffen sein werden. Je nach Transportaufkommen kann es jedoch auch vorteilhaft sein, solche Fahrzeuge gezielt für „Nischenbereiche" wie Bulk- oder Thermo-Transporte einzusetzen - insbesondere dann, wenn solches Equipment bereits aktuell im Rundlauf bzw. im Werksverkehr voll ausgelastet wird.
Eine Aufgabe für den Frachteinkauf in den Branchen Chemie und Pharma wird es sein, sich frühzeitig mit dem Nutzen überlanger Lkw für ihr Unternehmen und ihr spezifisches Transportaufkommen zu befassen, um nach erfolgter rechtlicher Weichenstellung zeitnah reagieren und von den Vorteilen profitieren zu können. Gerade bei Nischenlösungen wird es sich dabei auszahlen, frühzeitig mit den eigenen Transportdienstleistern in Kontakt zu treten und gemeinsam entsprechende Konzepte auszuarbeiten.
Der Einsatz überlanger LKW im großen Umfang wird überdies dazu führen, dass sich die Art und Weise, wie Lkw-Transporte „produziert" werden, verändert. An die Stelle von Direktverkehren Haus-Haus könnten z.B. Shuttleverkehre von überlangen Einheiten („Road Trains") mit drei statt zwei Wechselbehältern treten. An speziellen Übergabepunkten nahe dem für diese Lkw zugelassenen Fernstraßennetzes („Korridorlösung") würden Umschlagpunkte entstehen, an denen diese Einheiten zerlegt/gebildet würden. Ab hier würde die Ladung durch konventionelle Lkw die Verlade- und Entladeorten gelangen. In Folge dessen würde sich die Organisation der Transportkette verändern und logistische Funktionen (z. B. das Zwischenpuffern von Ladeeinheiten) aus den Werksstandorten an diese Umschlagpunkte verlagert werden. Klar ist, dass diese Entwicklungen - nur Beispiele sind hier genannt - auch für die Logistik der Chemie- und Pharmaindustrie neue Chancen und neue Herausforderungen bedeuten, für welche eine frühzeitige Vorbereitung und Planung von zentraler Bedeutung ist. TIM Consult steht für deren Bewertung der Zukunftschancen und ihrer Nutzung für innovative Lösungen unterstützend zur Verfügung. 

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