Chemiker in der Halbleiterforschung – wie das?

Es fehlt es an qualifiziertem MINT-Nachwuchs. Um zur Popularisierung dieser Berufsfelder beizutragen, lassen wir in Kooperation mit dem VAA junge Wissenschaftler zu Wort kommen. Im fünften Teil der Serie berichtet David Zanders, Entwickler in der Halbleiterexperten und Maschinenbauer ASM International, über seinen Lebensweg.

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David Zanders absolvierte seine Promotion in Chemie an der Ruhr-Universität Bochum und der Carleton University in Ottawa, Kanada. Im Dezember 2022 wurde ein binationaler Doktorgrad verliehen. Heute ist er als Entwickler bei ASM in den Niederlanden tätig.
© Ruhr Universität Bochum, Marquard

MINT-Berufe, die Kompetenzen in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik erfordern, sind von entscheidender Bedeutung für unsere Zukunft. Sie bilden die Grundlage für viele wichtige Entwicklungen und Innovationen. Doch in Wissenschaft und Industrie fehlt es an qualifiziertem MINT-Nachwuchs. Um zur Popularisierung dieser Berufsfelder beizutragen, lassen wir in Kooperation mit dem VAA, der Vertretung der Fach- und Führungskräfte in Chemie und Pharma, sechs junge Wissenschaftler zu Wort kommen. Im fünften Teil der Serie berichtet David Zanders, Forscher und Entwickler bei ASM in der Halbleiterbranche, über seinen Lebensweg.

Die Natur, ihre Regeln und Phänomene begleiten uns seit unserer Geburt, denn wir stehen in einem steten Wechselspiel mit ihr. Als Kinder lassen wir uns von kleinen Dingen wie Seifenblasen, Regenbögen oder den Gezeiten am Meer verwundern und verzaubern. In der Schule lernen wir dann einiges zu verstehen, erkennen die Mathematik, Physik, Biologie oder Chemie dahinter. Aber wann fällt der Groschen? Ab wann weiß man, dass man sich mit Naturwissenschaften beschäftigen möchte? Und was kann die treibende Kraft hinter der Entscheidung für Ausbildungs-, Studien- oder Berufswahl in den MINT-Disziplinen sein? Klar, das ist erst einmal ganz individuell. Im Alter von 15, 16 Jahren habe ich angefangen, mich mit diesen Themen auseinanderzusetzen. Die Eindrücke, die ich als Teenager bis dato von Berufsbildern gesammelt hatte, überzeugten mich alle nicht so ganz. Vielleicht also irgendwas mit BWL? Da kann man nichts falsch machen? Daraus ist zu meinem Glück nichts geworden. 

Zum Ende des ersten Oberstufenschuljahrs stand für mich ein Projektpraktikum an. Dank des Engagements meiner damaligen Chemielehrerin konnte ich dieses am Max-Planck-Institut für Eisenforschung in Düsseldorf (heute MPI for Sustainable Materials) durchführen. Nicht so recht wissend, was mich erwartet, lernte ich dort ‚richtige Forscher‘ kennen und gewann Einblicke darin, wie Grundlagenforschung, Wertschöpfung und Umweltschutz ineinandergreifen. Forschung und Entwicklung in den Naturwissenschaften – etwas, das vorher abstrakt für mich war, wurde klarer und ich wollte mehr davon: Mehr Wissen, mehr Verstehen und auch wissenschaftlichen Idealismus annehmen. Das war der Moment, in dem ich den Entschluss fasste, Chemie zu studieren. Meine leichte Aversion gegenüber der Physik machte die Entscheidung für Chemie hierbei leicht. Doch wie ich bald herausfand, spielt die Physik auch in der Chemie eine nicht unerhebliche Rolle. Man könnte sagen, ein MINT-Fach kommt selten allein.

„Die Entscheidung für MINT ermöglichte mir das Arbeiten mit und das persönliche Kennenlernen von Menschen aus allen Regionen der Welt.“

Wissenschaftliche Selbstverwirklichung in einer internationalen Community

Meine Entscheidung – sie liegt nun mehr als zehn Jahre zurück – hat mir regelrecht Flügel verliehen. Schon während des Masters und später während meiner Promotion konnte ich mich wissenschaftlich selbstverwirklichen, wie ich es mir als Jugendlicher kaum erträumt habe. Durch meine Arbeit an chemischen Gasphasenabscheidungsprozessen wurde ich Teil einer weltweit aktiven und vielseitigen wissenschaftlichen Community. Die Entscheidung für MINT ermöglichte mir das Arbeiten mit und das persönliche Kennenlernen von Menschen aus allen Regionen der Welt. Das Zusammentreffen und der Austausch während wissenschaftlicher Konferenzen, sei es in Linköping, Incheon oder Seattle, gehörten zu den stimulierendsten Episoden dieses Lebensabschnitts für mich. Austauschprogramme des Fonds der Chemischen Industrie (FCI), oder Promos, das Auslandsstipendium des DAAD, erlaubten es mir zudem, längere Zeiten im Ausland zu leben und zu forschen. Über die Jahre sind so einige globale Freundschaften entstanden – eine unglaubliche Bereicherung! 

Ich glaube, dass es in den MINT-Disziplinen für jede und jeden etwas gibt, in das es sich einzutauchen lohnt. Durch das eigene Nachdenken, Experimentieren und Schlussfolgern nach und nach zur Expertin oder zum Experten zu werden, ist eine Leistung, auf die man ein Leben lang stolz sein kann. Das trifft auf ein Studium genauso wie auf eine Ausbildung im MINT-Bereich zu. Außerdem wird man Teil der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kräfte, die durch neue Ansätze und Erfindungsgeist dazu beitragen, unsere Zukunft mitzugestalten. Dies bringt mich zur Rolle der Chemie in der Halbleiterindustrie, den großen Beitrag, den beide schon geleistet haben und weiterhin leisten werden sowie meiner Arbeit in diesem Feld. 

Seit der erste Transistor, ein Schalter zwischen zwei Zuständen für das Ausführen von Rechenoperationen, demonstriert und das Prinzip der integrierten Schaltkreise in Halbleiterbauteilen eingeführt wurde, sind mehr als sechs Jahrzehnte vergangen. Während Hochleistungsmikrochips in den 1970er Jahren aus einigen Tausend Transistoren bestanden, sind es in den 2020er Jahren aber und aber Millionen. Diese Entwicklung, die uns durchdigitalisierte Menschen auf so vielfältige Weise prägt, wäre ohne die mannigfaltige Anwendung von Chemie in der Halbleiterfertigung vom Wafer zum Mikrochip nicht möglich.

„Die Grenzen des Machbaren in der Halbleiterfertigung zu verschieben und Lösungen zur Markttauglichkeit zu entwickeln, ist etwas sehr Erfüllendes.“

Chemie für die Halbleitertechnik von morgen

Ein Mikrochip besteht aus einem Stapel unterschiedlicher Schichten, teilweise wenige Angström dünn, die mittels chemischer Gasphasenabscheidung hergestellt werden können. Damit sie ihren Zweck erfüllen, müssen sie individuelle dreidimen­sionale Struktur haben. Die etablierte Methode zum Aufbau dieser Strukturen ist die Fotolithografie, bei der Fotolacke, Fotomasken und hoch­energetisches UV-Licht zum Einsatz kommen. Mit dieser Technik ist es möglich, Strukturen mit Dimensionen von nur wenigen Nanometern zu schaffen. Ein großer Verdienst der Chemie. 

Aber es gibt auch einen Haken. Diese Art der Prozessierung ist ex­trem vielschrittig, energieintensiv und zeitaufwendig, und somit auch kostspielig und umweltbelastend. Hier kommt die flächenselektive Atomlagenabscheidung ins Spiel, mein Forschungsgebiet bei ASM in Belgien. Der Ansatz macht sich die Unterschiede in der Reaktivität von chemischen Verbindungen auf Wachstums- und Nichtwachstumsoberflächen zunutze. Mit einigen Tricks gelingt es, dass ein gewünschtes Material auf die Atomlage genau auf einer Zieloberfläche wächst. So können in der Bauteilfertigung kostspielige Prozesssequenzen ersetzt werden. Das Resultat sind effektivere Herstellprozesse für die High-Tech-Produkte von morgen. Die Grenzen des Machbaren in der Halbleiterfertigung zu verschieben und Lösungen zur Markttauglichkeit zu entwickeln, ist etwas sehr Erfüllendes. Besonders dann, wenn man eine Lösung für ein Problem findet, an dem sich Wettbewerber schon lange die Zähne ausgebissen haben.

Mehr MINT in Social Media zur Nachwuchsgewinnung

Inzwischen gehöre ich zu den erfahrenen Chemikern, doch wie ist es generell um den Nachwuchs an Chemikerinnen und Chemikern bestellt? Wie die jährlich veröffentlichte Statistik der Gesellschaft Deutscher Chemiker zu den Chemiestudiengängen belegt, nimmt die Anzahl der Studienbeginnenden seit 2017 stetig ab. Ist also die Luft raus aus der Chemie? Nein, sicherlich nicht! Aber um das Interesse junger Menschen an MINT, an der Chemie zurückzugewinnen, müssen neue Wege beschritten werden. Jugendliche sind heute mit einer anderen Realität konfrontiert als ich vor 15 Jahren, denn neben altbekannten Faktoren spielen Social Media und ihr massives Informa­tionsangebot eine viel größere Rolle beim Definieren von Werten und beruflichen Rollenbildern. Es ist also essenziell, dass sich MINT im Allgemeinen und die Chemie sowie die chemische Industrie im Speziellen in diesen Medien mit einem breiten Content-Angebot erlebbarer machen als bisher. 

Nach wie vor ist aber auch das persönliche Erleben oder der persönliche Kontakt, wie es damals bei mir am MPI für Sustainable Materials der Fall war, von Wichtigkeit. Eine noch engere Zusammenarbeit von Schulen und Unternehmen bei Praktika und Exkursionen, nicht nur lokal am Unternehmensstandort, sondern auch transregional, wäre wünschenswert, wenngleich sie mit Aufwand verbunden ist. Den einen Goldstandard, um junge Menschen für MINT-Berufe zu gewinnen, gibt es sicherlich nicht. Doch wenn es gelingt, mehr Jugendlichen zu zeigen, dass die Entscheidung pro MINT Selbstverwirklichung, aber auch Sicherheit, eine gute Lebensbalance und vieles mehr bietet, dann ist viel gewonnen.

David Zanders

Senior Process Engineer, ASM International, Leuven, Belgien

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