Mikro-Kontamination von Oberflächen
Oberflächenanalytik kontra Materialanalytik
Der vorliegende Aufsatz ist eine Zusammenfassung unserer Erkenntnisse über die Verunreinigungs-Spuren von Objektoberflächen durch das wischende Reinigen mit Reinraum-Gestricke-Tüchern. Wir beschäftigen uns mit den unerwünschten Nebenwirkungen wischender Reinigungsprozeduren und deren analytischer Erfassung. Dazu werden Oberfläche-bezogene Prüfmethoden vorgeschlagen und die Ergebnisse erläutert. Auf den textilen Werkstoff bezogene Prüfmethoden werden infrage gestellt. Im Fokus der Betrachtung steht allein der Zustand der Objektoberfläche nach einer Reinigungsprozedur.
Für Reinigungsaufgaben mit erhöhter Reinheits-Erfordernis werden bei den Techniken des Reinen Arbeitens zumeist Gestricke-Tücher eingesetzt. Aus diesen gelangen beim Reinigen vergleichsweise wenige Partikel in die Umgebung hinein und sie haben eine hohe Reinigungsleistung. Andererseits enthalten sie aus den Prozessen ihrer Herstellung Spuren organischer Rückstände wie Tenside, Spinnöle, Stricköle und Wachse. So verbleiben nach dem Reinigen mit Gestricke-Tüchern auf den Objekt-Oberflächen dünne, für das Auge unsichtbare Filme und Schlieren. Diese sind für manche Fertigungsprozesse inakzeptabel. Dies gilt insbesondere für die Produktionsvorbereitung von Klebeprozessen, für die Nachhaltigkeit von Lackaufträgen, für die Funktionalität optischer Messgeräte, Laser-Spiegel, Prismen, für die Systeme der Sauerstoff-Produktion und nicht zuletzt und hochbristant: für die Endreinigung und Verpackung von Hüft- und Knie-Implantaten so wie Herzschrittmachern.
Für derart kritische Reinigungsaufgaben muss die Herstellung von Reinigungstüchern einer strikten Qualitätsüberwachung unterliegen. Dazu bedarf es genauer Kenntnisse der Physik des wischenden Reinigens, verständlich formulierter Prüfvorschriften und hochempfindlicher analytischer Geräte.
Zur Bestimmung der Gebrauchstüchtigkeit von Reinraumtüchern aber auch anderer Hilfsmittel der Reintechnik sind in der Literatur diverse Prüfmethoden beschrieben. Sie sind bisher jedoch wesentlich auf die Materialreinheit der Tücher bezogen. Das Ziel von Reinigungsarbeiten ist hingegen die Herbeiführung von Oberflächen-Reinheit. Diese Widersprüchlichkeit zwischen Anwendungszweck und Bewertungs-Parameter führt naturgemäß zu schwerwiegenden Bewertungsfehlern. [2] Als Ursache lässt sich die Prüfmethode IEST-RP-CC 4.3 „Evaluating wiping materials used in Cleanrooms and other Controlled Environments" bzw. einige von deren Unterabschnitten ausmachen. Die Methode stammt aus der Feder des US-amerikanischen „Institute for Environmental Science and Technology" und wurde erstmals in den 80er Jahren formuliert.
In der Frühphase der Reinraumtechnik war die Messtechnik für Oberflächen-Verunreinigungen im Spurenbereich noch wenig entwickelt. Auch stand die Datentechnik erst in ihren Anfängen. In der Reinraumtechnik war man zudem in diesen Jahren vordringlich mit der Aufarbeitung der Partikelproblematik beschäftigt. Wahrscheinlich waren es diese Gründe, welche den Anlass dafür gaben, dass die amerikanischen Mentoren der ersten Prüfmethoden für Reinraumtücher (IEST - working group 4.3) die Materialreinheit des Verbrauchsmaterials und nicht die Reinheit der gereinigten Objektoberflächen zum Schlüsselparameter der Gebrauchseignung von Reinraumtüchern zu bestimmen. So bleibt es bis heute dem Anwender überlassen, auf imaginäre Weise von der Textilreinheit eines Reinraumtuchs auf die damit erzielbare Oberflächenreinheit zu schließen.
Der amerikanische Technologe Steve Paley, ehemals Vorstand der amerikanischen Texwipe Inc. - bis heute weltweit größter Hersteller von Reinraumtüchern - schreibt denn auch bereits im Jahr 1996 in seinem Aufsatz: [4]
„Während die meisten Reinigungstücher Flüssigkeiten gut absorbieren oder sich mit ihrer Hilfe nasse Oberflächen gut trocken wischen lassen, liegt der wesentliche Unterschied zwischen den diversen Fabrikaten in der Masse der Kontamination, die sie beim Wischvorgang auf den Oberflächen hinterlassen. Von Tüchern, die große Massen an Fremdstoffen enthalten, werden beim Wischvorgang zwangsläufig Spuren davon auf den gereinigten Oberflächen verbleiben."
Wege zur Oberflächenanalytik
Die Frage ist, welche Gründe dafür stehen, dass sich nun knapp zwanzig Jahre nach Paleys Feststellung an der zweifelhaften Bewertungs-Systematik für Reinraumtücher kaum etwas geändert hat. Fest steht, dass die Reinraum-Verbrauchsmaterial-Industrie selbst bisher keinen nennenswerten Ehrgeiz gezeigt hat, um die Unterlassungssünden der Vergangenheit aufzuarbeiten. Vielmehr hat sie neuerlich Verwirrung geschaffen, indem sie nun nahezu einhellig behauptet, ihre Produkte ließen sich anwendungs-orientiert bestimmten Reinraumklassen entsprechend der Norm ISO 14644-1 zuordnen. Das ist natürlich bedenklich, denn die ISO 14644-1 ist eine Norm für die partikuläre Luftreinheit und Reinraumtücher beeinträchtigen nicht den Partikelgehalt der Reinraumluf. Dies gilt prinzipiell auch für Papier, Handschuhe, Swabs und anderes Reinraum-Verbrauchsmaterial.
Es stellt sich also die Frage, durch welche Maßnahmen sich ein Paradigmenwechsel von der Materialanalytik hin zur Oberflächenanalytik unterstützen lässt. Erst wenn ein solcher vollzogen ist, werden wir in der Lage sein, die technologischen Grenzen wischender Reinigungsprozeduren auf breiter Basis zu erforschen. Mehr Reinheit bedeutet im Umkehrschluss aber auch weniger Verunreinigung und erfordert demzufolge immer höher empfindliche Mess-Systeme.
Informationsbedarf bei Herstellern, Anwendern und Verkäufern
Angesichts des wachsenden Gefährdungs-Potenzials durch die Übertragung Tuch-inhärenter Kontaminationen auf kritische Objektoberflächen, besteht ein erweiterter Informationsbedarf bei Tuchherstellern und Anwendern betreffend die spezifischen Gefährdungsszenarien, etwa im Hinblick auf die Biokompatibilität der Tücher und insbesondere der aus diesen frei gesetzten Kontaminationen. Dieser lässt sich wie folgt beschreiben:
Wieviel Verunreinigungsmasse ist auf der Objektoberflächeohne Gefährdung des Fertigungsziels gerade noch akzeptabel?
Wie hoch ist der wrksame, partikuläre, mikrobielle bzw. chemische Reinheitszustand der Objektoberfläche nach einer wischenden Reinigungsprozedur?
Welcher Zeitaufwand ist mit einem bestimmten Reinigungsprodukt notwendig, um den erforderlichen Reinheitszustand herbeizuführen?
Zur Lösung der Messaufgabe existieren nach gegenwärtigem Stand der Technik unterschiedliche indikative, quantitative und qualitative Messmethoden, die nachstehend kurz beschrieben und mit erläuternden Diagrammen bzw. Bildern versehen sind. (siehe Tab. 1)
Indikatorplatte (Pat.)[18]:
Auf eine reine, mit einer Antireflexschicht bedampfte, dunkel gefärbte Glasplatte einer Lichtreflexion von < 1,5 % wird ein Tuchabschnitt der Abmessungen von z. B. 35 x 35 mm gelegt. Auf den Tuchabschnitt werden mittels Glaspipette mehrere Tropfen eines analytisch reinen Lösungsmittels (Aceton, Isopropanol, nHexan etc.) gegeben, bis derselbe vollends getränkt ist. Die aufgegebene Lösungsmittel-Menge sollte so bemessen sein, dass sie sich nicht über die Tuchkanten hinaus ausbreitet. Nach Verdampfen des Lösungsmittels bildet sich auf der Indikatorplatte vor allem in den Randbereichen des Tuchabschnitts ein Feststoff-Rückstand ab, der sich bei Schräglichtbeleuchtung visuell vom dunklen Hintergrund der Platte unterscheidet. Ist die Indikatorplatte auf der Bühne eines geeigneten Stereo-Mikroskops befestigt, so kann der Feststoff-Rückstand fotografiert und mit einiger Erfahrung grob der Menge nach bestimmt werden.
Die Indikatorplatte ist eines der vielseitigsten, preiswertesten und leichtesten Prüfmittel für die Sichtbarmachung von sowohl Partikelanlagerungen als auch organischen Oberflächenbelägen poröser Flächengebilde. Zudem lässt sie sich für die schnelle Beurteilung der Reinheit von Lösungsmitteln aber auch der Reinigungseffizienz diverser Reinigungsmittel einsetzen.
Lichtmikroskopie (DIC)
Mit der Mikroskopie organischer Schichten im Auflicht-Differenzial-Interferenz-Kontrast DIC steht eine Methode zur Verfügung, die es erlaubt, feinste Höhenunterschiede in Schlieren von Öl- und Tensidschichten auf Oberflächen quasi-drei-dimensional abzubilden. Mit dem Verfahren lassen sich Substrat und Präparat besonders gut differenzieren. Zudem wird dem Verfahren eine erhöhte Auflösung zugesprochen. (Abb. 2 u. 3).
Tropfenkonturanalyse.
Bekanntes analytisches Verfahren zur Ermittlung der Reinheit von Objektoberflächen durch vergleichende Messung des Randwinkels am liegenden DI-Wasser-Tropfen. Es zeigte sich, dass der Kontaktwinkel von Oberflächen auf denen zuvor ein trockener Wischvorgang mit einen Gestricketuch stattgefunden hatte, um etwa 3° geringer war als der Kontaktwinkel reiner Oberflächen. Dies lässt sich als Hinweis auf die Übertragung von z. B. Tensidspuren der Gestricke auf die Prüfoberflächen deuten. Bei feucht gewischten Oberflächen betrug die Kontaktwinkel-Differenz durchschnittlich sogar 4,6°.
Laserfluoreszenz - Dickenmessung
Relativ-Messverfahren für die quantitative Bestimmung der Dicke fluoreszierender Schichten auf Oberflächen. Bei deren Beleuchtung mit UV-Licht einer bestimmten Wellenlänge kommt es zur Fluoreszenz, deren Intensität sowohl von der eingestrahlten Lichtintensität als auch von der Schichtdicke abhängig ist. Für dieses Messverfahren liegen bereits Erfahrungswerte mit fluoreszierenden Ölschichten vor. Als neue Erkenntnis haben wir Anhaltspunkte dafür, dass es für Reinraum-Gestricke eine Produkt-spezifische, kritische Verunreinigungs-Masse gibt, die sich mit dem betreffenden Tuch bei einer Reinigungsprozedur nicht weiter reduzieren lässt.
Piezoelektrische Gravimetrie
Die vergleichende Gewichtsmessung der Oberflächenbeläge durch wischende Reinigungs-Prozeduren erfolgt hierbei mittels eines piezoelektrischen Resonators, dessen Resonanzfrequenz sich als Funktion der daran angelagerten Masse ändert und somit eine Gewichtsbestimmung bis in den ng-Bereich hinein zulässt. Dabei hatten wir unsere Aufgabe auf die Messung der Übertragung von Kontaminationen organischer Stoffe - besonders Öle, Tenside und Wachse auf Objektoberflächen aus den Tüchern begrenzt.
Infrarot-Spektroskopie (FT-IR)
Das Verfahren gestattet es, auch bei geringen Massen, beispielsweise bei Kontaminationen die molekulare Struktur organischer Verbindungen im mg-Bereich bis hinunter zu einigen Moleküllagen qualitativ zu identifizieren. Dies geschieht durch den datentechnisch gestützten Vergleich mit Referenz-Substanzen. Die Messdauer ist gering. Mit Hilfe der DialPath-Technologie beim Agilent Spektrometer Agilent 630 ist es möglich innerhalb von Sekunden Flüssigkeitstropfen, die aus einem Tuchabschnitt gewonnen wurden zu analysieren. Bei der FTIR-Analyse des organischen Soxhlet-Extrakts von Gestricke-Tüchern, die mittels Aceton-Soxhlettierung erhalten wurden, zeigten sich im Spektrum prinzipiell die gleichen Bestandteile wie bei der ToF/SIMS-Analyse. Die Übertragung von Erucamid aus der Verpackungsfolie auf die Tuchoberfläche konnten wir mit diesem Verfahren hingegen nicht bestimmen. In Abb. 13 ist die Veränderung eines reinen Lösungsmittels nach Immersion eines Reinraumtuchs als vergleichendes Spektren-Diagramm dargestellt.
ToF/SIMS Sekundärionen-Massenspektrometrie
Die Flugzeit-Sekundärionen-Massenspektrometrie ist eine Analysenmethode zur hochaufgelösten chemischen Charakterisierung von Festkörper - Oberflächen. Die Methode erlaubt die Analyse von Zuständen der drei oberen Moleküllagen und dient somit u.a. der Identifizierung von Oberflächen-Kontamination. Es wurden die Reinraum-Tücher (RRT) mit den Bezeichnungen RRT 1, RRT 3 und RRT 4 in den Tränkungs-Zuständen trocken, Aceton-feucht und 2-Propanol-feucht über jeweils eine reine Aluminium-Oberfläche von geringer Oberflächenrauigkeit gewischt. Danach konnten bei allen neun analysierten Substraten Rückstände aus der Polyestermatrix nachgewiesen werden und bei solchen Tüchern, die in Kontakt mit der Verpackungsfolie aus Polyethylen gekommen waren, zeigten sich auf dem betreffenden Aluminium-Substrat nach dem Wischvorgang zusätzlich Erucamid-Spuren (13-Docosenamide) auf der Aluminiumoberfläche. Die Substanz gehört in die Gruppe der Wachse, die oft als Gleitmittel bei der Folienherstellung eingesetzt werden. Zudem wurden bei dem Tuch RRT 1 Sulfatspuren wie Dodecyl-Benzol-Sulfonat gefunden. Ölspuren konnten hingegen nicht gefunden werden. Eine quantitative Beurteilung der etwaigen Kontaminationen ist mit der Methode beschränkt möglich. Die Tabelle 2 zeigt das Ergebnis der ToF/SIMS-Analyse in der Übersicht.
Zusammenfassung und Ausblick
• Die Reinheit funktionaler Oberflächen gewinnt bei den Life-Science- und HiTech-Industrien an Bedeutung. Wischende Reinigungs-Prozeduren sind dabei Teil einer modernen Fertigungskultur. Bei vielen, insbesondere bei mobilen Reinigungsaufgaben sind sie unverzichtbar.
• Es existiert heute ein ausreichendes Spektrum analytischer Instrumente und Methoden, um die Übertragung chemischer Stoffe aus Reinigungstüchern auf die Objektoberflächen qualitativ und quantitativ zu bestimmen. Das gleiche gilt für partikuläre und bioaktive Verunreinigungen.
• Auf das textile Gebilde bezogene analytische Verfahren sind zur Bestimmung der durch Reinraumtücher erzielbaren funktionellen Reinheit der Objektoberflächen ungeeignet. Sie eignen sich jedoch gelegentlich als willkommene Ergänzungs-Information zu den Ergebnissen der Oberflächen-Analytik.
• Die Industrie ist gefordert, preisgünstige Instrumente und Vorrichtungen für die Bestimmung von Oberflächenreinheit vorzustellen. Ein Beispiel dafür ist die C&C-Indikatorplatte. (18)
• Dieser Aufsatz ist ausschließlich der Übertragung chemischer Inhaltsstoffe aus Wischmitteln auf die Objektoberflächen gewidmet. Weitere Aufsätze betreffend die Übertragung partikulärer und bioaktiver Verunreinigung aus Reinraumtüchern sollen diese Schrift zu einem späteren Zeitpunkt ergänzen.
Dank den Mitarbeitern der Tascon GmbH in Münster für die ausgezeichnete Zusammenarbeit bei der ToF/SIMS-Analytik, Herrn Dr. Peter Ehrler für seine Unverzagtheit, sich seit dreißig Jahren auf kontroverse Diskussionen mit dem Autor einzulassen, aber auch Herrn Martin Gerstmann von Clear & Clean für die engagierte analytische Arbeit und die Aufbereitung der Daten.
Literaturverzeichnis auf Anfrage vom Autoren erhältlich.
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