Chemiekonjunktur – US-Chemiegeschäft unter unsicheren Vorzeichen

Im Jahr 2024 wuchs die Chemie- und Pharmaproduktion in den USA um 2,1 %.

65 Mrd. EUR erwirtschaften deutsche Chemie- und Pharmaunternehmen im vergangenen Jahr in den USA und die Branche baut ihre Investitionen vor Ort stetig aus – doch die aktuelle konjunkturelle Entwicklung ist ungewiss.

Autor: Henrik Meincke, Chefvolkswirt, Verband der Chemischen Industrie e.V.

Rund 15 % der deutschen Chemie- und Pharmaexporte gehen derzeit in die...
Rund 15 % der deutschen Chemie- und Pharmaexporte gehen derzeit in die Vereinigten Staaten, bei Pharmazeutika ist der Anteil mit rund 24 % noch einmal deutlich höher.
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Im Jahr 2024 zeigte sich die US-Wirtschaft robust. Das Wirtschaftswachstum blieb trotz leichter Abschwächung hoch. Die Inflation hatte zuletzt weiter nachgelassen. Die Fiskalpolitik konnte daher die geldpolitischen Zügel etwas lockern. Der Arbeitsmarkt entwickelte sich stabil und steigende Löhne stützen den privaten Konsum. Wachstumsbremsend wirkte hingegen das Auslaufen staatlicher Programme aus dem Jahr 2021. In Summe konnte das Brutto­inlandsprodukt (BIP) der USA um 2,8 % gegenüber dem Vorjahr zulegen.

In der Industrie war das vergangene Jahr jedoch überwiegend durch Unsicherheiten und Herausforderungen geprägt. Erst im letzten Quartal konnte sich die US-Industrie aus der Wachstumsschwäche befreien. Im Gesamtjahr 2024 blieb die Entwicklung aber negativ (-0,5 %). Die Automobilindustrie, die im Vorjahr noch ein kräftiges Plus verzeichnete, schrumpfte um 1,6 %. Auch im wichtigen Maschinenbau war die Entwicklung rückläufig (-2,3 %). Zu den wenigen Branchen, die ein Produktionsplus verbuchen konnten, gehörten die Hersteller von Elek­trogeräten (+4,5 %). Die Nachfrage nach chemischen Erzeugnissen entwickelte sich wegen der sinkenden Industrieproduktion schwach. Das Chemiegeschäft konnte in diesem Umfeld im Gesamtjahr aber immerhin ein leichtes Plus von 0,5 % verbuchen. Deutlich positiver entwickelte sich das Pharmageschäft. Hier stand ein kräftiges Plus von 4,3 % in den Büchern. Die Gesamtbranche (Chemie & Pharma) konnte im Jahr 2024 somit um 2,1 % wachsen (Grafik 1).

US-Chemiegeschäft (noch) auf Erholungskurs

Der Start ins Jahr 2024 gestaltete sich zunächst herausfordernd. Im ersten Quartal war die Produk­tionsentwicklung noch einmal rückläufig. Allerdings erholte sich die Konjunktur in den Folgequartalen und die Nachfragesituation besserte sich trotz Schwierigkeiten in der Industrie rasch. Hier dürften positive Impulse aus der Bauindustrie eine Rolle gespielt haben. Im letzten Quartal legte die Chemieproduktion sogar beschleunigt zu. Anfang 2025 konnte diese Dynamik jedoch nicht gehalten werden. Der Branchenoutput stieg nur noch leicht (Grafik 2).
Ein Blick auf die Spartenentwicklung zeigt, dass die Bremswirkung wie schon im Vorjahr vor allem aus den industrienahen Sparten kam. In der Fein- und Spezialchemie war die Produktion im Jahresverlauf rückläufig. Im Gesamtjahr verbuchte diese Sparte ein Minus von 1,9 %. Auch in der Grundstoffchemie lief es – mit Ausnahme bei den Polymeren – nicht rund. Hier dürften erneut Wettereinflüsse eine Rolle gespielt haben. Einzelne Anlagen wurden Ende Januar temporär abgeschaltet, um kältebedingte Schäden zu vermeiden. Deutlich besser lief es hingegen für die Hersteller von Konsumchemikalien und Pharmazeutika. Beide Sparten konnten ein kräftiges Plus verbuchen (Grafik 3).

Umsatzplus trotz Preisdruck

Als Folge der globalen Lieferkettenprobleme und der Energiekrise waren auch in den USA die Chemikalienpreise seit 2020 kräftig gestiegen. Mitte 2022 kam der Preisauftrieb auf hohem Niveau zum Erliegen. Im Folgejahr sanken die Preise in der Branche leicht. Dieser Trend setze sich im Jahr 2024 nicht fort. Die Chemikalienpreise konnten im Jahresverlauf sogar wieder leicht zulegen. Gesunkene Rohstoffkosten, eine weiterhin schwache globale Nachfrage und Konkurrenz aus Übersee begrenzten aber den Spielraum für Preiserhöhungen. Im Gesamtjahr 2024 lagen die Preise dennoch um 1,2 % niedriger als ein Jahr zuvor. Zu Jahresbeginn 2025 legten die Erzeugerpreise im Vorjahres- und Vorquartalsvergleich zu (Grafik 4). Während in den Grundstoffsparten die Preise unter Druck blieben, weil die Unternehmen – trotz günstigem Shale-Gas – einer wachsenden ausländischen Konkurrenz ausgesetzt sind, stiegen die Preise für Fein- und Spezialchemikalien (+0,5 %) sowie Konsumchemikalien (+1,4 %) leicht.
Die Umsätze entwickelten sich dank gestiegener Produktionsmengen trotz sinkender Preise positiv. Im Jahr 2024 legte der Branchenumsatz (Chemie inkl. Pharma) um 4,1 % zu. Hieran hatte vor allem das Pharmageschäft einen großen Anteil. Die Umsätze in dieser Sparte stiegen um satte 9 %. Anfang 2025 setzte sich dieser Trend fort.

USA: wichtiger Markt für die deutsche Chemie

Die Vereinigten Staaten sind für die deutsche Chemie- und Pharma­industrie ein bedeutender Markt. Dies gilt sowohl für die Exporte wie auch für die Investitionen vor Ort. Rund 15 % der deutschen Chemie- und Pharmaexporte gehen derzeit in die Vereinigten Staaten, bei Pharmazeutika ist der Anteil mit rund 24 % noch einmal deutlich höher. Gleichzeitig erwirtschaften die Unternehmen rund 65 Mrd. EUR Umsatz vor Ort. Und die Branche baut ihr Engagement vor Ort stetig aus. Dabei stehen vor allem die Markterschließung und günstige Energiepreise im Vordergrund – losgelöst von Forderungen der aktuellen US-Regierung, im Land zu investieren.



CHEManager Grafiken: Chemiekonjunktur

Ausblick: Unsicherheiten dominieren

Der Start ins Jahr 2025 verlief hoffnungsvoll. Sowohl Industrieproduktion wie auch Chemieproduktion befanden sich im ersten Quartal auf moderatem Wachstumskurs. Auch andere für die US-Wirtschaft wichtige Komponenten liefen in den ersten Monaten des Jahres rund. Der private Konsum, mit rund 70 % Anteil am BIP der wichtigste Faktor, entwickelte sich dank de facto Vollbeschäftigung und steigender Löhne erneut positiv. Der Inflationsdruck lies zuletzt ebenfalls weiter nach. Auch die Weltwirtschaft befand sich auf moderatem Erholungskurs. In normalen Zeiten stünde dies für eine stabile und nachhaltige konjunkturelle Entwicklung der US-Wirtschaft.

Anfang April 2025 kam diese Hoffnung jedoch zum Erliegen. Die Ankündigung von umfassenden und faktisch alle Handelspartner betreffenden Zollerhöhungen durch die US-Regierung führte zu Schockwellen, die auf der ganzen Welt zu spüren waren. Die Ankündigungen führten zu massiven Kursverlusten an den Börsen weltweit. US-Staatsanleihen erlebten im April mächtige Turbulenzen. Marktakteure verkauften US-Staatsanleihen im großen Stil, die Renditen stiegen teils kräftig. Eine kritische Situation, denn die Aktivitäten am Markt deuteten darauf hin, dass die Funktion des US-Dollars als sicheren Hafen in Frage gestellt wurde. Einige Finanzmarktexperten sprachen davon, dass die Welt kurz vor einer neuen Finanzkrise stand. Im Zuge dieser Entwicklungen verkündete die US-Regierung eine 90-tägige Zollpause. Dies beruhigte die Märkte etwas, allerdings dürfte dieser Zick-Zack-Kurs nicht zu einer grundsätzlichen Stärkung des Vertrauens in die US-Politik geführt haben.

Rund 15 % der deutschen Chemie- und Pharmaexporte gehen derzeit in die Vereinigten Staaten, bei Pharmazeutika ist der Anteil mit
rund 24 % noch einmal deutlich höher.

Henrik Meincke, Chefvolkswirt, Verband der Chemischen Industrie e.V.

Das hohe Niveau der Unsicherheit ist messbar. Bereits Maßnahmen der ersten Trump-Regierung führten zu Irritationen, die aktuellen Maßnahmen treiben den Economic-Policy-Uncertainty-Index für die USA in die Höhe. Dies gilt insbesondere für die handelspolitische Unsicherheit. Diese hatte bereits in der ersten Amtszeit von Trump deutlich zugenommen. Damals hatten die Handelsstreitigkeiten jedoch kaum Auswirkungen auf die Verunsicherung der Wirtschaft insgesamt. Dies ist aktuell anders (Grafik 5). Denn auch innenpolitisch führen die Aktivitäten zu Verwerfungen. Das Verbrauchvertrauen fällt rasant. Viele Amerikaner machen sich mittlerweile Sorge um ihren Arbeitsplatz. Durch den Crash an den Aktienmärkten ist zudem ein Großteil der Bevölkerung deutlich ärmer geworden, da die Mehrheit der Amerikaner Aktien für die Altersvorsorge besitzen. Auch die Inflationserwartungen sind zuletzt massiv gestiegen. All diese Faktoren führen dazu, dass die Risiken wachsen, den wichtigen Konsummotor der USA abzuwürgen.

Experten gehen derzeit davon aus, dass sich das Wachstum in den USA deutlich abschwächen wird. Die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft sind aufgrund der Schnelllebigkeit und der hohen Taktung der Maßnahmen und Gegenmaßnahmen im Detail aber noch unklar. Sicher ist, dass sie sich negativ auf die eingesetzte konjunkturelle Erholung auswirken werden. Zuletzt senkte auch der Internationale Währungsfonds (IWF) seine Prognose für alle wichtigen Wirtschaftsregionen. Die Verwerfungen auf den Weltmärkten sowie die Neuordnung von Handels- und Produktionsströmen werden auch das US-Chemiegeschäft erfassen. Für das Jahr 2025 dürften damit die negativen Effekte dominieren.

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Henrik Meincke ist Chefvolkswirt beim Verband der Chemischen Industrie. Er ist seit dem Jahr 2000 für den Branchenverband tätig. Meincke begann seine berufliche Laufbahn am Freiburger Materialforschungszentrum. Der promovierte Chemiker und Diplom-Volkswirt studierte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg.

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