Biotech-Branche wieder auf Wachstumskurs
Studien des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und Ernst & Young sehen Fortschritte und Defizite
Die deutsche Biotechnologie-Branche wächst. Gleich zwei aktuelle Studien untermauern dies: Anfang April veröffentlichten sowohl das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) seine Biotechnologie-Firmenumfrage 2011 als auch die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft Ernst & Young (E&Y) ihren neuen Biotech-Report.
Fortschritte bei der Produktentwicklung
Die Biotechunternehmen liefern neuartige Produkte und effiziente Verfahren, die vor dem Hintergrund einer sich abzeichnenden energiepolitischen Wende und einem Kostendruck im Gesundheitssystem zunehmend nachgefragt werden. Das belegen ein deutlich höherer Umsatz von 2,4 Mrd. € (+ 9 %), eine Rekordfinanzierung von 700 Mio. € (+ 122 %) und eine gestiegene Zahl an Mitarbeitern in der kommerziellen Biotechnologie von rund 32.500 (+ 3 %). Nach oben ging auch die Anzahl der Firmen (538). Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung lagen 2010 bei rund 1 Mrd. €. Das sind die zentralen Ergebnisse der Biotechnologie-Firmenumfrage 2011, die das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) bereits zum sechsten Mal in Auftrag gegeben hat. „Die erfolgreiche Entwicklung der Biotechnologiebranche bestätigt unsere langjährige Förderpolitik. Mithilfe der Biotechnologie lassen sich nachhaltige Lösungen für die Gesundheitswirtschaft und die Bioökonomie entwickeln. Diese wollen wir auch künftig vorantreiben", sagte Dr. Helge Braun, Parlamentarischer Staatssekretär im BMBF. Ende 2010 hat die Bundesregierung unter Federführung des BMBF die Förderstrategien zur Bioökonomie und zur Gesundheitsforschung gestartet, deren Gesamtvolumen bei rund 8 Mrd. € liegt.
„Die Biotechnologiefirmen sind der Innovationsmotor der Pharma- und Chemieindustrie, die ihnen immer mehr frühe Forschungsprojekte überlässt", kommentierte Dr. Boris Mannhardt, Geschäftsführer von Biocom und Leiter der Studie. Vor diesem Hintergrund steigt auch das Interesse der Investoren. 2010 konnten die Unternehmen mit insgesamt 321 Mio. € so viele Finanzmittel wie nie zuvor einwerben (2009: 142 Mio. €). Weitere 335 Mio. € sind über die Börse geflossen (2009: 122 Mio. €). Der Anteil der öffentlichen Förderung an der Finanzierung lag 2010 mit 45 Mio. € bei 6,4 %. Der Umfrage zufolge erreichte der Kapitalzufluss damit erstmals 700 Mio. €. Das Geld wird vor allem zur Entwicklung neuer Medikamente genutzt: So ist die Gesamtzahl an Wirkstoffkandidaten (100) im Vergleich zum Vorjahr nahezu unverändert (2009: 102), bei vielen Projekten konnte aber die klinische Entwicklung weiter vorangebracht werden. Bis heute haben deutsche Biotechnologieunternehmen acht Therapeutika zur Zulassung gebracht.
Bei den von E&Y betrachteten deutschen Biotechunternehmen (400 Biotechunternehmen, die ihren Stammsitz in Deutschland haben) ist die Zahl der Wirkstoffe in der Medikamentenentwicklung insgesamt um 2 % auf 344 gestiegen. In der aus Wertschöpfungssicht wichtigen klinischen Prüfung - also in den Phasen I bis III - befinden sich derzeit mit 151 Wirkstoffen deutlich mehr Projekte als im Vorjahr (+ 7 %). Drei Produkte befanden sich 2010 in der Zulassungsphase (2009: 2), neue Zulassungen waren allerdings nicht zu verzeichnen, nachdem im Jahr 2009 drei neue Medikamente den Markt erreicht hatten. „Deutsche Biotechunternehmen stellen damit ihr Innovationspotenzial unter Beweis", kommentiert Siegfried Bialojan, Leiter des Life Science Industriezentrums bei Ernst & Young (E&Y) und Autor der E&Y-Studie. „Sie übertreffen mit diesen Zahlen die anderen europäischen Länder nicht nur bei der Wachstumsdynamik (2,4 % in Europa) sondern auch hinsichtlich der Fokussierung auf bestimmte Krankheiten - vor allem Krebs - sowie auf moderne biologische Medikamentenansätze wie zum Beispiel monoklonale Antikörper".
Auch jenseits der Medizin wird die Biotechnologie genutzt. „Biosprit aus Stroh ist nur ein Beispiel, auch chemische Vorprodukte werden immer häufiger ohne fossile Ressourcen hergestellt", sagte Mannhardt. Diese Entwicklung lässt sich an den Mitarbeiterzahlen ablesen. Insgesamt 32.480 Beschäftigten (2009: 31.600) waren 2010 in der kommerziellen Biotechnologie tätig, davon 15.480 in den mehrheitlich kleinen und mittelständischen Biotechnologie-Firmen (2009: 14.950) sowie 17.000 in den biotechnologisch ausgerichteten Geschäftsbereichen der Pharma-, Chemie- und Saatgutunternehmen (2009: 16.600).
Finanzierung erreicht nahezu Vorkrisenniveau
Der zwölfte deutsche Biotechnologie-Report von Ernst & Young betrachtet das so genannte Kernsegment, also die 400 Biotechunternehmen, die ihren Stammsitz in Deutschland haben. Diese haben 2010 ihren Umsatz um 7 % auf 1,06 Mrd. € gesteigert. Auch die Zahl der Beschäftigten stieg in dieser Gruppe, und zwar um 2 % auf gut 10.000. Im Vergleich zu 2009 stiegen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F&E) um 4 % auf 809 Mio. €. „Das ist ein wichtiges Signal. Es zeigt, dass die Biotech-Branche als Innovationsmotor wieder Fahrt aufnimmt", stellt Bialojan fest.
Die Finanzierungssituation der Branche hat sich im vergangenen Jahr gemessen an den Investitionsvolumina wieder deutlich verbessert, bleibt aber angespannt. Im Jahr 2007 waren noch 456 Mio. € in die Branche geflossen, 2008 war die Eigenkapitalfinanzierung dann zunächst um 45 % und 2009 um weitere 46 % eingebrochen. 2010 brachte hingegen eine deutliche Trendwende: Mit 421 Mio. € an Eigenkapital flossen rund 200 % mehr als 2009 in die Branche. Damit hat die Finanzierung inzwischen wieder etwa 90 % des Vorkrisenniveaus erreicht.
Am meisten investierten laut E&Y Risikokapitalgeber in die deutsche Biotech-Branche: 279 Mio. € - 244 % mehr als im Vorjahr - flossen in nicht gelistete Biotechnologieunternehmen. Börsennotierte Gesellschaften konnten 143 Mio. € an zusätzlichem Kapital aufnehmen - ein Plus um immerhin 164 % gegenüber 2009.
Wie in Deutschland hat sich auch in Europa der Zufluss von Risikokapital in die Branche erhöht - um ein Drittel auf 1,014 Mrd. €. Anders als in Deutschland war europaweit allerdings ein, wenn auch nur minimaler, Rückgang bei Sekundärfinanzierungen börsennotierter Unternehmen zu verzeichnen: von 1,35 auf 1,33 Mrd. €. Gleichzeitig gelang es aber, bei zehn Börsengängen insgesamt 165 Mio. € aufzunehmen. In Deutschland gab es hingegen seit 2006 keinen Biotech-IPO mehr.
Strukturelle Defizite der Finanzierungssituation
Trotz der insgesamt sehr erfreulichen Zahlen leidet die Branche aber nach wie vor unter erheblichen Finanzierungsproblemen. Die Zahl der klassischen Venture Capital Fonds ist rückläufig, und das Fund Raising ist nach wie vor extrem schwierig. "Die Finanzierungssituation der Branche bleibt angespannt", gibt E&Y-Autor Bialojan zu bedenken. „Der größte Teil des investierten Kapitals ging 2010 in wenige große Finanzierungsrunden - meist unter Beteiligung der beiden Family Offices Strüngmann und Hopp - sodass für die breite Masse vieler junger und kleinerer Unternehmen die Erholung noch nicht spürbar ist. Für die Branche bleibt somit die Finanzierung eine der Kernherausforderungen der kommenden Jahre".
„Wir freuen uns über die positive Entwicklung der Biotechnologie-Branche, sehen aber nach wie vor politischen Handlungsbedarf", sagte Dr. Peter Heinrich, Vorstandssprecher des Industrieverbandes BIO Deutschland. „Für eine nachhaltige Finanzierung dieses Industriesektors und Stärkung des Standorts Deutschland im internationalen Wettbewerb ist es unabdingbar, dass nicht nur die bestehende Diskriminierung des innovativen Mittelstands gegenüber der Großindustrie aufgehoben wird, sondern auch die steuerlichen Rahmenbedingungen für Unternehmen und Investoren verbessert werden."
Allianzen zwischen Biotech und Pharma
Transkationen haben in den letzten Jahren - auch aufgrund massiver Veränderungen in der Pharmaindustrie - an Bedeutung zugenommen. Vor allem im Zusammenhang mit den erschwerten Finanzierungsbedingungen setzen Biotechunternehmen stärker auf die Zusammenarbeit mit Partnern in unterschiedlichen Geschäftsmodellen. In Deutschland haben daher Allianzen zwischen Biotech- und Pharma-Unternehmen 2010 zugenommen. Vor allem gab es mehr Auslizenzierungen von Technologien sowie Dienstleistungsverträge. „Besonders erfreulich ist, dass Kollaborationen zur gemeinsamen Produktentwicklung auch bereits in früheren Phasen gelingen", erläutert Bialojan. „Dies zeigt erneut die Innovationskraft der deutschen Biotechunternehmen, die vor allem aufgrund innovativer Technologieentwicklungen attraktive Allianzen aushandeln konnten". Der Vertrag zwischen Cellzome und GlaxoSmithKline sei ein herausragendes Beispiel für eine frühe Partnerschaft mit erheblichem Potenzial.
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Eine komplette Studie, die auf den vom BMBF veröffentlichten Kerndaten basiert, kann auf www.biotechnologie.de heruntergeladen werden. Der Biotech-Report von Ernst & Young ist als Download auf www.ey.com/de erhältlich.
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