Zirkuläre Modelle als aktive Reindustrialisierungsstrategie

Zirkuläre Modelle als aktive Reindustrialisierungsstrategie

Meldungen über Anlagenstilllegungen im Bereich Petrochemie oder Basischemie nähren das Schreckgespenst der Deindustrialisierung, denn chemische Grundstoffe sind essenziell für die meisten industriellen Wertschöpfungsketten. Die beiden Simon-Kucher-Experten Jan Haemer, Partner im Bereich Chemie & Werkstoffe, und Tom Hesselink, Partner im Bereich zirkuläre Ökosysteme & Kunststoffrecycling, erläutern, wie zirkuläre Konzepte nicht nur die Rohstoffversorgung sichern, sondern ein neues Wachstumsmodell initiieren können.

CHEManager: In der Diskussion um Standortschließungen geht es meist um Energiepreise oder Nachfrage. Was übersehen wir dabei?

Jan Haemer: Energiepreise und Nachfrageentwicklung sind wichtige Auslöser, aber sie verdecken eine tiefere Strukturfrage: Aus Sorge um sinkende Wettbewerbsfähigkeit wurde in Europas Grundstoffindustrie vielerorts gar nicht mehr in Effizienz und Skaleneffekte investiert – mit spürbaren Folgen heute.

Was sind die Konsequenzen für die europäische Wirtschaft?

J. Haemer: Wenn die energieintensive Basis geht, verliert Europa nicht nur Anlagen – sondern auch Innovationstiefe, Kundenbeziehungen und industrielle Lernkurven.

Ist Kreislaufwirtschaft ein Weg, diese Entwicklung zu stoppen oder gar umzukehren?


Tom Hesselink: Absolut. „Grün oder gar nicht“ heißt heute auch: Ohne eigene Feedstock-Strategie wird es schwer, grüne Produkte wirtschaftlich herzustellen. Wer Kreisläufe schließt, reduziert Rohstoffabhängigkeiten und sichert sich Zugang zu CO2-armen Inputströmen – das ist nicht nur ökologisch, sondern vor allem ein Wettbewerbsvorteil.

„Wer die Kontrolle über zirkuläre Stoffströme hat, hat strategische Optionen.“

Können Sie Beispiele nennen?

T. Hesselink: In der Kunststoffindustrie kooperiert OMV mit Tomra, um durch Rückgewinnung recycelbarer Wertstoffe aus gemischten Abfällen gezielt hochwertige Recyclingrohstoffe zu erschließen. Mit einer neuen Großschredderanlage sichert Salzgitter gezielt die Versorgung mit hochwertigen Stahlschrotten – operativ getragen von der spezialisierten Tochter DEUMU. Das zeigt: Wer die Kontrolle über zirkuläre Stoffströme hat, hat strategische Optionen.

Heißt das, wir brauchen mehr vertikale Integration?

J. Haemer: Es braucht strategische Partnerschaften entlang der Wertschöpfungskette. Wer Märkte mitgestalten will, muss Nachfrage aktiv entwickeln und Risiken teilen. Fibrant etwa kooperiert mit Modemarken, um CO2-reduziertes Caprolactam marktfähig zu machen – vom Molekül bis zum Endprodukt.

Welche Rolle spielt dabei die Anwendungsperspektive?

J. Haemer: Wachstum entsteht in Anwendungen – nicht im Volumen. Neue Nachfrage entsteht dort, wo Spezialitäten, Funktionalität und Klimabilanz zusammenspielen: etwa in Anwendungen wie Packaging, Textil oder Automotive.


Ist die Industrie darauf vorbereitet?

T. Hesselink:
Viele Unternehmen sind in Bewegung, aber es braucht Tempo. Recycling ist keine einfache Opportunität – es ist ein industrielles Ökosystem, das aufgebaut werden muss: mit Technologien, Partnern, Märkten und Standards. Wer sich zu spät positioniert, bekommt keinen Zugang mehr zu hochwertigen Sekundärmaterialien.

Was ist Ihre Empfehlung an Entscheider?

J. Haemer: Wer heute Standorte und Strategien überdenkt, sollte zirkuläre Modelle nicht als „nice to have“ behandeln – sondern als aktive Reindus­trialisierungsstrategie. Die Grundchemie ist nicht verloren – aber sie wird sich transformieren müssen. Nicht gegen den Markt, sondern mit neuen Vorteilen: zirkulär, datenbasiert, nachfrageseitig abgesichert.

T. Hesselink: Und genau das ist jetzt die Chance: Europa kann Technologie, kann Partnerschaft, kann zirkuläre Modelle. Wenn wir das kombinieren, haben wir nicht nur eine Verteidigungsstrategie – sondern ein neues Wachstumsmodell.

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Jan Haemer, Simon-Kucher

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