Quo vadis Gesundheitsversorgung?
Der steigende medizinische Bedarf erfordert weitere Innovationen
Die pharmazeutische Industrie ist im Vergleich zur chemischen Industrie trotz zahlreicher Firmenzusammenschlüsse immer noch durch viele Beteiligte charakterisiert. Selbst das größte Unternehmen hält einen Marktanteil von nur knapp 7 %. Was entscheidet also über Erfolg? Es sind in der Chemie wie in der Pharmazie die neuen Produkte, die Innovationen, die den Erfolg bestimmen oder im Einzelfall gar über das Schicksal eines forschenden Arzneimittelherstellers entscheiden.
Für die pharmazeutische Industrie, für den Gesundheitsmarkt insgesamt und aus deutscher Sicht besonders auch für die Medizintechnik sind es die sogenannten Emerging Markets, die derzeit mit Zuwachsraten von mehr als 13 % das Wachstum des Weltmarktes treiben. Die etablierten Länder wuchsen dagegen im Jahr 2011 nur noch um knapp 3 %, ein Wert der kaum höher liegen dürfte als die Inflation.
Weltweit betragen die Gesundheitsausgaben mehr als 2.200 Mrd. US-$. Ein Großteil davon entfällt auf die Industrienationen in Nordamerika und Europa sowie Japan. In Afrika, Lateinamerika, aber auch Indien oder China wird die Gesundheitsversorgung trotz massiver Gesundheitsprobleme in diesen Zonen nicht priorisiert. Hier besteht ein enormer Bedarf und ein entsprechendes Wachstumspotential.
Höhere Gesundheitskosten durch höhere Lebenswartung
Die weltweiten Ausgaben für Gesundheit steigen jedoch nicht nur, weil die sich entwickelnden Länder schrittweise mehr Zugang zu Medikamenten haben, sondern auch wegen des weltweit zunehmenden Lebensalters der Menschen. Die Lebenserwartung verlängert sich derzeit im Durchschnitt um drei Monate pro Jahr. Allein auf Deutschland bezogen wird im Jahr 2050 etwa die Hälfte aller Menschen 60 Jahre und älter sein.
Diese Entwicklung bestimmt die Planungen der forschenden pharmazeutischen Industrie, der Diagnostika-Industrie und der medizintechnischen Industrie, kurz: der gesamten Gesundheitswirtschaft. Auch wenn man dies aus wirtschaftlicher Sicht als positiv bewerten kann, so ist es noch wichtiger, dass nicht nur die Lebenserwartung zunimmt, sondern parallel dazu auch die Zeit, in der die Menschen krankheitsfrei sind und eine hohe Lebensqualität haben.
Der medizinische Bedarf wird steigen
Krankheiten, die im Jahr 2030 besonders relevant sein werden, sind vor allem chronische Erkrankungen wie die koronare Herzkrankheit, zerebrovaskuläre Erkrankungen, AIDS oder die chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD). Aber auch Krebserkrankungen werden deutlich zunehmen. Die Blutzuckerkrankheit, vor allem Diabetes mellitus Typ 2, der sogenannte Altersdiabetes, wird sich voraussichtlich bis zum Jahr 2030 zur siebthäufigsten Todesursache entwickeln, die Zahl der Todesfälle durch Krebs auf 13 Mio. steigen.
Bis 2050 wird ein Anstieg von Demenzerkrankungen wie Alzheimer auf weltweit 115 Mio. Patienten vorausgesagt, damit einher geht eine Verfünffachung der Behandlungskosten auf 1.000 Mrd. US-$ pro Jahr. Dies allein macht klar, dass der medizinische Bedarf deutlich steigen wird und die Kosten erheblich sein werden, wenn es uns nicht gelingt, deutlich bessere Therapien als heute verfügbar zu finden.
Nur gute neue Therapien, Prävention und hervorragende Diagnostik werden es erlauben, den prognostizierten Anstieg an Gesundheitskosten zu vermeiden, der für die USA schon im Jahr 2020 ein Fünftel des Bruttoinlandsproduktes ausmachen soll.
Um diesen enormen medizinischen Bedarf zu decken, werden mittel- und langfristig pharmazeutische Innovation, neue therapeutische Ansätze, aber auch neue Ansätze in der Medizintechnik oder Diagnostik notwendig sein.
Forschung braucht Stabilität
Die Hoffnung der Industrie, Forschung- und Entwicklungsprozesse deutlich zu beschleunigen, hat sich bislang nicht erfüllt: Noch heute vergehen von der Synthese einer Substanz bis zur Zulassung im Schnitt zwölf bis 15 Jahre. Bis ein Medikament dann auch breit erfolgreich eingesetzt wird, dauert es weitere Jahre. Nicht selten liegen zwischen einer Forschungsidee bis zur weltweit erfolgreichen Vermarktung eines Medikaments 25 Jahre. Eine erfolgreiche pharmazeutische Forschung und Entwicklung benötigt daher Stabilität, Konsistenz und Durchhaltewillen - innerhalb und außerhalb des Unternehmens.
Seit Mitte der 1970er Jahre sind die Kosten für die Entwicklung eines Medikaments um das 25-fache auf durchschnittlich 1.320 Mio. US-$ im Jahr 2010 gestiegen. Die Rendite für Forschung und Entwicklung ist mittlerweile auf eine kritische Größe von 8 bis 10 % gesunken.
Dazu kommt, dass neben den bekannten regulatorischen Hürden wie dem Nachweis der Wirksamkeit, Sicherheit und der Qualität zunehmend weitere Hürden für die Markteinführung eines Medikamentes etabliert wurden, beispielsweise in Deutschland durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) oder in England durch das National Institute for Clinical Excellence (NICE), aber auch Zugangsrestriktionen durch begrenzte regionale oder lokale Budgets.
Die aktuelle Finanzkrise zeigt, dass sich die Länder zu radikalen Einschnitten bei den Preisen gezwungen sehen: Beispiele sind Deutschland (Zwangsrabatt 16 %), Portugal (6 % Preisreduktion), Spanien (15 % obligate Preisreduktion) oder Griechenland, das nach 20 % obligater Preisreduktion weitere Kosteneinsparungen vornahm.
Mittlerweile gibt es eine Reihe von Produkten in der pharmazeutischen Industrie und aus der medizintechnischen Industrie, die die Hürden des englischen NICE überspringen konnten. Jedoch kommen andere Länder, primär aus Kostengründen - dazu gehört zunehmend Deutschland - zu anderen Schlussfolgerungen.
Wachstum durch Innovation
Dennoch ist offensichtlich, dass die pharmazeutische Industrie Lösungen für den medizinischen Bedarf findet. Allein in den vergangenen 18 Monaten sind den Patienten wichtige und innovative Medikamente zur Verfügung gestellt worden, sei es bei Hepatitis C, in der Onkologie oder bei der Prävention des Schlaganfalls.
Nach den in der Vergangenheit gezeigten Innovationen dürfen in Zukunft weitere erwartet werden, sowohl durch die pharmazeutische, als auch durch die medizintechnische Industrie und insbesondere durch die zunehmend aktivere Beteiligung der Kommunikations- und IT-Industrie. Klar ist, dass schwerwiegende Gesundheitsprobleme nach wie vor nicht gelöst sind und nur durch gute Forschung und Entwicklung darauf reagiert werden kann.
Innovationen und neue Medikamente werden es daher pharmazeutischen Unternehmen auch in Zukunft erlauben zu wachsen - aber nur die wirklich innovativen Unternehmen, die langfristig vorausplanen und eine adäquate Produktpipeline aufweisen, werden erfolgreich sein.
Mit anderen Worten: Gute Medizin aus anspruchsvoller Forschung, die einem wirklichen medizinischen Bedarf entspricht, also das Leben vieler Patientinnen und Patienten verbessert, geht Hand in Hand mit wirtschaftlichem Erfolg.