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Mitteldeutsche Chemieindustrie: Positives Klima

Gut laufende Geschäfte mit bleibenden Risiken für die Zukunft

30.08.2011 -

Die mitteldeutsche Chemieregion ist durch Chemieparkstrukturen geprägt. Entstanden sind diese Anfang der 90er Jahre im Zusammenhang mit der Privatisierung der ostdeutschen Chemieindustrie. Die Infrastruktur an den Standorten sollte in einer Hand bleiben, die Investoren konnten sich damit ausschließlich um ihr Kerngeschäft kümmern. Inzwischen haben sich über 600 Unternehmen auf den Standorten angesiedelt - Tendenz steigend. CHEManager befragte Wolfgang Blümel, stellvertretender Geschäftsführer des VCI-Landesverbandes Nordost, zu den Entwicklungen in der Region. Die Fragen stellte Dr. Birgit Megges.

CHEManager: Herr Blümel, wie hat sich die Chemieindustrie in Mitteldeutschland im ersten Halbjahr 2011 entwickelt? Wie sind die Aussichten für das zweite Halbjahr?

Wolfgang Blümel: Lassen Sie mich die aktuelle Situation im Vergleich zum Vorjahr kurz so zusammenfassen: Der Umsatz wächst kräftig, die Erzeugerpreise ziehen an und es gibt deutlich mehr Beschäftigte in unserer Branche. Zum Ausblick: es läuft rund, aber die Risiken bleiben. Die ostdeutsche Chemieindustrie ist im ersten Halbjahr kraftvoll gestartet, die große Nachfrage nach chemischen Erzeugnissen sorgte für eine starke Auslastung der Kapazitäten. Das Klima in den Unternehmen der Ostchemie ist sehr gut. Doch während die aktuelle Lage außerordentlich euphorisch bewertet wird, sind die befragten Unternehmen erkennbar zurückhaltend gegenüber der Zukunft eingestellt.

Können Sie die Hauptgründe für diese Zurückhaltung nennen?

Wolfgang Blümel: Die Themen, mit denen sich die Unternehmen beschäftigen, sind sehr vielfältig. Neben der allgemeinen Weltwirtschaftslage und der Rohstoffversorgung sind es auch die aktuellen Diskussionen um eine wettbewerbsfähige Energiebereitstellung sowie die umweltpolitischen Rahmenbedingungen, die Anlass zur Sorge geben. Zudem wird es zunehmend schwieriger, geeignetes Fachpersonal zu finden.
Bleiben wir kurz beim Thema Fachpersonal. Was leistet die Region, um den Fachkräftenachwuchs zu sichern?
Wolfgang Blümel: Wir steuern dem entgegen durch eine hohe Ausbildungsquote von 5,5%. Durch zahlreiche Aktionen versucht der Verband mitzuhelfen, den Chemieunterricht attraktiv zu gestalten. „Pro Chemieunterricht" ist so ein Element: Ein Chemieunternehmen spendet einer Schule einen bestimmten Betrag zur Ausgestaltung des Chemieunterrichtes und der Verband verdoppelt diesen. Wir bieten Seminare zur Chemielehrerfortbildung an und richten „Tage der offenen Tür" aus. Bei all den Maßnahmen kommt uns sehr entgegen, dass die Chemiebranche in Mitteldeutschland bei der Bevölkerung absolut akzeptiert ist. Im Übrigen zahlt die Chemieindustrie attraktive Ausbildungsvergütungen und Gehälter.

Sie haben das Thema Energie bereits erwähnt. Inwieweit beschäftigt sich die ostdeutsche Chemieindustrie mit dem Thema „Energiewende"?

Wolfgang Blümel: Die Chemiebranche ist eine energieintensive Industrie. Die anstehende Energiewende stellt uns vor enorme Probleme. Erst wenn alle Herausforderungen wie Netzausbau, Versorgung der Industrie mit grundlastfähigem Strom, das heißt 8.760 Stunden im Jahr, und konkurrenzfähige Energiepreise für die Industrie gelöst sind, werden wir in der Lage sein, den erfolgreichen Weg unserer Branche auch hier in Ostdeutschland weiter zu gehen. Nur wenn es gelingt, die gesamte Wertschöpfungskette - dazu gehört natürlich auch die Grundstoffchemie - in Deutschland zu halten, werden wir die Herausforderungen der Zukunft meistern.
Dabei ist die Chemieindustrie für die Gesellschaft ein Problemlöser. Denkt man an Solarzellen, Windräder, Leichtbau, Dämmstoffe, Elektromobilität, Hochleistungsbatterien usw., muss man erkennen, dass all dies ohne eine moderne, wettbewerbsfähige Chemieindustrie nicht denkbar ist.

Ein weiteres Umweltthema ist das Wasser. Was haben die Unternehmen in Mitteldeutschland in den letzten Jahren unternommen, um den Wasserhaushalt zu optimieren?

Wolfgang Blümel: Der Wasserverbrauch in der ostdeutschen Chemieindustrie beträgt heute knapp 200 Mio. m3. Er ist seit 1989 um 1.100 Mio. m3 zurückgegangen. Wir verbrauchen also heute nur noch ein Sechstel der damaligen Menge. Der Produktionsumfang ist im gleichen Zeitraum auf 150% gestiegen. Ich denke, diese Zahlen sprechen für sich! Erreicht wurde dies durch die Stilllegung von alten Anlagen, Investitionen von 16 Mrd. € in moderne Chemieanlagen mit modernster Prozesstechnik sowie effektiver Kreislaufkühlung. Die Chemieindustrie geht verantwortlich mit der Ressource Wasser um, etwa 90% werden für Kühlprozesse eingesetzt, kommen mit dem eigentlichen chemischen Prozess nicht in Berührung.

In Sachsen-Anhalt wird die Einführung des „Wassercents" viel diskutiert, konnte aber bisher erfolgreich abgewendet werden. Inwieweit wäre die angesiedelte Chemieindustrie von einer solchen Regelung betroffen?

Wolfgang Blümel: Der erneute Versuch, in Sachsen-Anhalt einen Wassercent einzuführen, wird von der Chemiebranche mit Entschiedenheit abgelehnt. Sachsen-Anhalt setzt mit diesem Vorhaben ein negatives industriepolitisches Signal. Im bisherigen Kontext der Sachsen-anhaltinischen Industriepolitik wirkt diese Maßnahme verstörend auf die Unternehmen, die um ihre Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten ringen. Selbst eine rot-grüne Landesregierung hat in den 90er Jahren von der Einführung eines Wasserentnahmeentgeltes abgesehen, weil sie überzeugt war, dass die Chemieindustrie als eine der Kernindustrien nicht zusätzlich mit Kosten belastet werden darf. Die Chemieindustrie Sachsen-Anhalts verbraucht ca. 120 Mio. m3 Wasser pro Jahr, ist also eine der hauptbetroffenen Branchen. Nach den aktuell diskutierten Ansätzen wäre die Chemieindustrie mit etwa 5 Mio. € betroffen.
Meiner Meinung nach hat die Einführung eines Wassercents keinerlei Lenkungswirkung, es wäre eine reine Geldabschöpfung.

Hat die Region bezüglich der angesprochenen Problematiken Vorteile durch die vorherrschende Chemieparkstruktur?

Wolfgang Blümel: Wir haben grundsätzlich auf diesen Standorten eine Reihe von Unternehmen, die sich an verschiedenen Stellen der Wertschöpfungskette befinden. Transporte von Zwischenprodukten finden also zu einem großen Anteil auf dem Chemieparkgelände statt, nicht auf öffentlichen Verkehrswegen. Das in Bitterfeld hergestellte Chlor wird beispielsweise nahezu vollständig im Chemiepark verbraucht. Darüberhinaus sind die Chemieparkstandorte Mitteldeutschlands durch ein ausgedehntes Pipeline-Netz miteinander verbunden. Dienstleistungen wie Werksfeuerwehr, Abwasserbehandlung, Instandhaltung, Ausbildung, medizinischer Dienst, Werksschutz - um nur einige zu nennen - werden vom Chemieparkbetreiber zentral vorgehalten. Das führt zu einer deutlichen Kostenoptimierung für die produzierenden Unternehmen am Standort, und damit zu einer Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit.
Gibt es Netzwerke, die sich mit diesen Themen befassen?
Wolfgang Blümel: Im VCI gibt es eine Fachvereinigung Chemieparks, die sich deutschlandweit mit den speziellen Fragen dieser Standorte beschäftigt. Weitere Netzwerke sind das Cluster Chemie/Kunststoffe Mitteldeutschland, das Central European Chemical Network CeChemNet sowie das europäische Netzwerk der Chemieregionen, ECRN. Desweiteren ist es an einigen Standorten gelungen, Forschungseinrichtungen im Umfeld anzusiedeln, die Forschungsaufträge gezielt für Chemieunternehmen bearbeiten. Dies wird in den kommenden Jahren weiter ausgebaut werden. 

Kontakt

VCI Verband Chem.- Ind. e.V.

Hallerstr. 6
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Deutschland