Ineos warnt Europa vor „industrieller Selbstzerstörung“
Ineos fordert die Europäische Kommission auf, ihre Handelsschutzmaßnahmen noch vor Jahresende zu verstärken, die nötigen Mittel bereitzustellen und entschlossen zu handeln, um die Deindustrialisierung Europas zu stoppen.
Ineos hat bei der Europäischen Kommission zehn Anti-Dumping-Verfahren eingeleitet bzw. eingereicht. Dieser ungewöhnliche Schritt sei notwendig, um Standorte, Beschäftigte und langfristige Investitionen sowie Tausende von Kunden, Lieferanten und Auftragnehmern zu schützen, die auf eine starke europäische Chemieindustrie angewiesen sind, so das britische Chemieunternehmen.
Hintergrund: Der europäische Chemiesektor, Fundament des modernen verarbeitenden Wirtschaftssektors, wird derzeit von einer Flutwelle billiger Importe aus Asien, dem Nahen Osten und den USA überrollt. Sie stellen europäische Hersteller vor große Herausforderungen, da diese mit den weltweit höchsten Energiepreisen sowie steigenden einseitigen CO2-Abgaben zu kämpfen haben.
Laut CEFIC, dem europäischen Verband der Chemischen Industrie, sind die Importe von Chemikalien aus China in der ersten Hälfte von 2025 um 8,3 % gestiegen. Das Resultat: Europa wird mit Produkten überschwemmt, die einen hohen CO2-Fußabdruck haben, aber für die nur ein Bruchteil unserer Energiekosten aufgewendet wird und für die keine CO2-Abgaben zu zahlen sind. Erschwerend kommt hinzu, dass das jüngste Handelsabkommen zwischen der EU und den USA das Handelsungleichgewicht noch verschärft, da Europa den geringen Schutz, den es noch gegen Dumping-Produkte hatte, damit aufgibt.
Die zehn Klagen von Ineos betreffen strategisch wichtige Produkte wie PVC, MEG, BDO, PTA, ABS-Polyethylenglykole sowie Butylacetat und Polyolefine. Sie sind für die europäische Automobil-, Verteidigungs-, Elektronik-, Bau-, Verpackungs- und Pharmaindustrie von zentraler Bedeutung.
Die Herstellung dieser Produkte findet an 15 Ineos-Standorten statt und sichert mehr als 5.000 direkte qualifizierte Arbeitsplätze. Die Produkte sind unverzichtbarer Bestandteil von medizinischen Geräten, Medikamenten, Wohngebäuden, Transportmitteln und von Infrastruktur. Ohne sie kommt die europäische Produktionsbasis zum Erliegen.

Ineos unterstütze seine Kunden mit einer wachsenden Zahl von Antidumping-Anträgen, bspw. für PET, da unfaire Importe nicht nur die Chemieproduzenten, sondern ganze Wertschöpfungsketten betreffen – von Rohstoffen über Verpackungen bis hin zu Lebensmitteln und Konsumgütern. Viele europäische Hersteller sind nun gezwungen, Handelsschutzmaßnahmen für Produkte weiter unten in der Kette zu beantragen, um zu überleben.
Die wachsende Zahl von Anti-Dumping- und Handelsschutzuntersuchungen in Brüssel zeige, wie groß das Problem ist, da nun ganze Branchen darum kämpfen, die Produktion in Europa aufrechtzuerhalten. Brüssel habe zu viele Anträge, zu wenig Personal und reagiere zu langsam.
Steve Harrington, CEO Ineos Styrolution, erklärte dazu: „Das ist industrielle Selbstzerstörung! Während die USA und China ihre Industrien schützen, lässt Europa unfaire ABS-Importe aus Südkorea und Taiwan zu. Das gefährdet sechs ABS-Anlagen und 1.000 Arbeitsplätze in Europa. Die Daten der Kommission selbst zeigen, dass die Schäden bis zu 67 % betragen, dennoch schlägt Brüssel Antidumpingzölle von nur 3,7 % vor, was völlig wirkungslos ist. Handelt Europa nicht entschieden, sind wir erledigt“, so Harrington.
Laut einer Analyse der Europäischen Kommission machen europäische ABS-Hersteller als unmittelbare Folge unfairer Importpreise Verluste, die zwei Drittel (67 %) ihrer regulären Gewinne ausmachen. Im Gegensatz dazu entspricht der von Brüssel vorgeschlagene Antidumpingzoll von 3,7 % dem Zollsatz, der auf diese Importe erhoben wird, um einen fairen Wettbewerb wiederherzustellen. Bei ABS ist der Zoll viel zu niedrig angesetzt, um den entstandenen Schaden von 67 % auszugleichen. So können ausländische Anbieter weiter zu künstlich niedrigen Preisen verkaufen, mit denen europäische Hersteller einfach nicht mithalten können. Kurz gesagt: Die Kommission erkennt zwar das Ausmaß des Schadens, weigert sich aber, sinnvolle Abhilfemaßnahmen zu ergreifen.
Mit Energiekosten, die drei- bis viermal höher sind als in Asien oder den USA, sowie steigenden CO2-Abgaben, die es nur in Europa gibt, sind Chemieproduzenten gezwungen, ihre Anlagen zu schließen, während ausländische Konkurrenten Produkte mit hohen Emissionen ungehindert in den EU-Markt dumpen können.
Ineos Styrolution hat Mitte November angekündigt, seine Polystyrol (PS)-Produktion in Wingles, Frankreich, endgültig einzustellen. Dieser Schritt sei Teil einer umfassenderen Maßnahme zur Anpassung an die sich verändernde Marktdynamik und zur Sicherung der langfristigen Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Aktivitäten des Unternehmens. Die Produktion für europäische PS-Kunden wird am moderneren Standort des Unternehmens in Antwerpen, Belgien, konsolidiert. Die Schließung der PS-Produktion habe keine Auswirkungen auf die ABS-Produktion am Standort Wingles.
Über die Zahl der betroffenen Arbeitsplätze machte das Unternehmen keine Angaben, erklärte aber, dass alle Personalanpassungen in voller Übereinstimmung mit den lokalen Vorschriften vorgenommen werden, und der Konsultationsprozess mit dem Betriebsrat von Ineos Styrolution France bereits eingeleitet wurde.
Andrew Brown, CEO von Ineos Enterprises, warnte mit Blick auf Butandiol (BDO): „BDO ist für Medikamente und medizinische Geräte unverzichtbar, doch Europa lässt es zu, dass seine Produktion durch unfairen Handel zerstört wird. Das ist keine Resilienz, das ist Leichtsinn.“
Ineos fordert die Europäische Kommission auf, ihre Handelsschutzmaßnahmen noch vor Jahresende zu verstärken, die nötigen Mittel bereitzustellen und entschlossen zu handeln, um die Deindustrialisierung Europas zu stoppen.
Ineos Group Director Tom Crotty ergänzte: „Europa spricht von Autonomie, Resilienz und dem Green Deal. Aber angesichts offensichtlicher Produktdumpingpraktiken zeigt es Schwäche. Standorte werden geschlossen, CO2-intensive Importe nehmen zu, und die Politik schläft immer noch. Wacht Europa nicht ganz schnell auf, verliert es nicht nur seine Chemieindustrie, sondern auch die Grundlage seines gesamten verarbeitenden Wirtschaftssektors.“














