11.12.2025 • News

Chemisches Recycling: Must-have für den Standort Deutschland

Neues Verpackungsgesetz in Deutschland, Regeln für Massenbilanz in Brüssel: Jetzt ist die Chance, einen Rechtsrahmen zu schaffen, in dem die Potenziale der Technologien gehoben werden.

Eine neue Conversio-Studie zu Kapazitäten und Potenzial des chemischen Recyclings, die vom Verband der chemischen Industrie (VCI) und Plastics Europe Deutschland (PED) vorgestellt worden ist, zeigt: Deutschland könnte deutlich mehr Kunststoffe recyceln. Chemische Verfahren bieten als Ergänzung zum mechanischen Recycling zusätzliche Möglichkeiten – vor allem für solche Abfälle, die sich mit klassischen Verfahren kaum hochwertig verwerten lassen. Letztes Jahr waren hierzulande aber erst vier kleinere Pilotanlagen für chemisches Recycling gemischter Polyolefine in Betrieb (per Anlage Max. 4.000 t/a) sowie eine industrielle Anlage (20.000 t/a) für die Pyrolyse von Altreifen. Zwei industrielle Anlagen für gemischte Polyolefinabfälle (24.600 t/a und 50.000 t/a) werden derzeit gebaut, 10 weitere Anlagen unterschiedlicher Größe befinden sich in Planung.

Matthias Belitz vom Verband der Chemischen Industrie sieht die Politik jetzt in der Verantwortung: „Chemisches Recycling ist bei weitem nicht dort, wo es sein könnte. Es handelt sich um eine Zukunftstechnologie sowohl zur Reduktion von Treibhausgasen als auch zur Versorgung mit Rohstoffen. Das ist eine klare Win-win-Situation für Klimaschutz und Resilienz. Doch solange zentrale Rechtsfragen offenbleiben, kommen die notwendigen Investitionen nicht ins Rollen.“

„Bisher ist die installierte Kapazität für chemisches Recycling in Europa vor allem außerhalb Deutschlands angesiedelt“, sagte Christine Bunte von Plastics Europe Deutschland. „Die Erwähnung des chemischen Recyclings im neuen Verpackungsdurchführungsgesetz ist ein erster wichtiger Schritt, das Potenzial auch hier im Land zu heben. Auf europäischer Ebene fehlt noch eine wichtige Entscheidung, wie chemisches Recycling auch auf die Quoten für den Einsatz von recycelten Kunststoffen angerechnet werden kann. Diese endlose Diskussion über die Massenbilanzierung muss daher schnell beendet werden. Wir hoffen, die Bundesregierung macht hier in Brüssel entsprechend Druck.“

Neben dem klaren Rechtsrahmen für chemische Verfahren setzen sich die Verbände dafür ein, dass auch lösemittelbasierte Prozesse als Teil der Lösung gefördert werden. Dadurch werden deutlich höhere Reinheiten erzielt als bei herkömmlichen mechanischen Recyclingverfahren, so dass mehr Abfälle recycelt werden und besonders hochwertige Rezyklate hergestellt werden können.  

Beim chemischen Recycling werden Kunststoffe in ihre chemischen Grundstoffe zerlegt. Dabei entstehen kohlenstoffhaltige Öle und Gase, sowie Feststoffe. Diese Öle und Gase können erneut zur Herstellung von Kunststoffen verwendet werden und fossile Rohstoffe in der Kunststoffproduktion teilweise ersetzen. Chemisches Recycling gilt daher als ein wichtiger Baustein für die Defossilierung der Kunststoffproduktion. Da chemisch recycelte Materialien aber überwiegend in der Verarbeitung zu neuen Produkten bislang einen  geringen Anteil haben, werden sie gemeinsam mit fossil-basierten Materialien verarbeitet. Daher kann ihr Anteil im Endprodukt nicht direkt bestimmt werden. Der Rohstoffanteil wird deshalb, ähnlich wie bei Fair-Trade-Schokolade, Ökostrom- oder Biomasse, den Endprodukten über Massenbilanzen zugeordnet.

Fakten kompakt: Der Stand des chemischen Recyclings in Deutschland
Aktuelle Kapazitäten: In Deutschland waren im letzten Jahr fünf Anlagen in Betrieb, die zusammen rund 20.000 t Altreifen und 10.000 t Kunststoffabfälle pro Jahr aufnehmen können. Das entspricht nur einer sehr kleinen Menge des gesamten Kunststoffabfalls in Deutschland, der jährlich bei über 6 Mio. t liegt.

Was möglich wäre: Laut Studie stehen dem chemischen Recycling, als Ergänzung des mechanischen Recyclings, bis 2035 etwa ½ Mio. t geeigneter Abfälle zur Verfügung. Dazu zählen vor allem Reststoffe und gemischte Kunststoffreste aus dem Gelben Sack, die heute noch verbrannt werden, weil sie sich mechanisch nicht verwerten lassen.

Geplanter Ausbau: Sollten alle aktuell geplanten Projekte umgesetzt werden, könnte die Kapazität des chemischen Recyclings auf bis zu 0,8 Mio. T steigen, was rund 13% des deutschen Kunststoffabfalls entspricht. Die Studienautoren gehen aufgrund von Verzögerungen einzelner Investitionen allerdings bis 2035 eher von einem mittleren Mengenzuwachs auf rund 0,3 Mio. t aus.

Was recycelt werden kann: In Deutschland dürften sich die Investitionen vor allem auf Anlagen für Pyrolyse- und Verölung konzentrieren. Für diese chemischen Recyclingverfahren eignen sich vor allem stark gemischte Kunststofffraktionen und Verbundkunststoffe, die für hochwertiges mechanisches Recycling zu komplex oder zu stark verschmutzt sind, darunter polyolefinreiche Reststoffe (mit hohem Anteil an HDPE, LDPE, PP),  oder Altreifen sowie bestimmte PS- und PMMA-Abfälle.

Wichtigste Rohstoffquelle: Der Großteil, der für das chemische Recycling geeigneten Kunststoffabfälle stammt aus der Leichtverpackungs (LVP)-Sammlung („Gelber Sack/Gelbe Tonne“): Rund 92 Prozent des aktuellen Inputs kommen aus diesem Strom, der Rest aus Gewerbeabfällen und industriellen Quellen.

Hintergrund zur Studie: Die Studie „Chemisches Recycling in Deutschland – Ist-Situation 2024 und Ausblick bis 2030/2035“ wurde vom Marktforschungsunternehmen Conversio erstellt. Auftraggeber der Studie ist die BKV GmbH mit Unterstützung von u.a. Plastics Europe Deutschland und VCI. Eine Kurzfassung und eine Langfassung der Studie sind über die Homepage der BKV erhältlich.  

Umfrage: Kunststoff-Standort Deutschland braucht echten Reformschub
Die Unternehmen der Kunststoff-Wertschöpfungskette sehen den deutschen Standort im internationalen Vergleich in Gefahr. Dennoch zeigen sie weiterhin eine hohe Bereitschaft, sich für die Wertschöpfung vor Ort stark zu machen: 91% planen laut einer aktuellen Umfrage auch 2026 Investitionen am Standort Deutschland. Um diese Stärke für Wertschöpfung und Produktion im Land gezielt zu nutzen, braucht es jetzt jedoch entschlossenes politisches Handeln.

Die Unternehmen der Wertschöpfungskette Kunststoff – Kunststofferzeugung, Kunststoffverarbeitung und Kunststoffmaschinenbau – gaben dem Standort Deutschland insgesamt die Note 4,1 (ausreichend). Damit hat sich die Standortbewertung im Vergleich zur ersten Auflage der Umfrage im Jahr 2023 nur leicht verbessert. Positive Noten erhält der Standort Deutschland insbesondere für die Nähe zu Kunden und Lieferanten sowie für das gute Industrienetzwerk.

Die Umfrage der Initiative „Wir sind Kunststoff“ verdeutlicht gleichwohl aber auch, dass drei zentrale Standortfaktoren über die Wettbewerbsfähigkeit der Wertschöpfungskette Kunststoff in Deutschland entscheiden: Energiepreise, Bürokratie und die regulatorischen Rahmenbedingungen in Bezug auf Kunststoffe und Nachhaltigkeit wurden allesamt von den Unternehmen mit „mangelhaft“ bewertet. Insbesondere der hohe Aufwand für Genehmigungen und Berichtspflichten belastet die Betriebe und hemmt die Innovationskraft. Ein beschleunigter Abbau von Bürokratie und eine weitere nachhaltige Entlastung der Unternehmen von den hohen Energiekosten sind entscheidend, damit Innovation, Wertschöpfung und Arbeitsplätze im Land gesichert bleiben. Denn die Unternehmensbefragung zeigt ganz klar: Außerhalb Deutschlands ist die Investitionsbereitschaft momentan deutlich höher.

„Jetzt ist die Politik am Zug: Sie hält die Stellhebel in der Hand, um der Kunststoffindustrie den nötigen Schub zu geben“, betonen die Initiatoren der Umfrage. „Während die Unternehmen mit Innovation, Transformation und Jetzt-erst-recht-Mentalität vorangehen, muss die Politik Bürokratie abbauen und mit kluger Regulierung weitere Investitionen in die Kreislaufwirtschaft attraktiv machen.“

Vor dem Hintergrund anhaltender Handelskonflikte fordert die Branche neue, starke internationale Handelsabkommen. Sie sind Voraussetzung, um den Marktzugang zu sichern, faire Wettbewerbsbedingungen herzustellen und die hohen Qualitätsstandards deutscher Produkte international zu schützen. Eine effiziente und aktive Marktaufsicht ist dabei unerlässlich.

Die Unternehmen erwarten von der deutschen Bundesregierung entschlossene Schritte und haben in der Umfrage selbst klare Prioritäten formuliert – vom Abbau von Berichtspflichten und einer 1:1-Umsetzung von EU-Vorschriften bis zur Fachkräftesicherung und Förderung der Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte.

Die Initiatoren der Befragung machen deutlich: „Jetzt ist der Moment, zentrale Reformen mutig anzupacken, damit der industrielle Kern Deutschlands nicht weiter erodiert. Eine starke, widerstandsfähige Kunststoff-Wertschöpfungskette ist für Deutschland unverzichtbar. Die Unternehmen der Wertschöpfungskette Kunststoff sind attraktive Arbeitgeber für fast 400.000 Beschäftigte und bilden mit ihren Materialien, Verarbeitungs-Know-How und Ingenieursleistungen das Rückgrat für die großen Transformationen zur Klimaneutralität und zur Kreislaufwirtschaft.“

Chemische Recyclinganlage von Carboliq in Ennigerloh, Nordrhein-Westfalen: In...
Chemische Recyclinganlage von Carboliq in Ennigerloh, Nordrhein-Westfalen: In dieser Anlage werden komplexe Kunststoffabfälle in ihre chemischen Grundstoffe zerlegt. Im Bild: Christine Bunte, Geschäftsführerin bei Plastics Europe Deutschland, und Carboliq-Geschäftsführer Christian Haupts.
© Chemische Recyclinganlage von Carboliq in Ennigerloh, Nordrhein-Westfalen: In dieser Anlage werden komplexe Kunststoffabfälle in ihre chemischen Grundstoffe zerlegt. Im Bild: Christine Bunte, Geschäftsführerin bei Plastics Europe Deutschland, und Carboliq-Geschäftsführer Christian Haupts. © Plastics Europe Deutschland

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