Märkte & Unternehmen

“Wir finden den Standort Deutschland gut”

Stada-Chef Peter Goldschmidt zum Generikamarkt Deutschland und den Vorzügen von Private Equity

11.09.2024 - Der Bad Vilbeler Pharmahersteller Stada ist im Gegensatz zu anderen Vertretern der Generikabranche zufrieden mit den Standortbedingungen in Deutschland. Statt „Gejammere“ plädiert Vorstandschef Peter Goldschmidt im Interview mit dem CHEManager für echtes Unternehmertum sowie Wachstumskultur und hebt die Vorzüge von Private-Equity-Eigentümern hervor.

Stada hat sich von einem deutschen Mittelständler zu einem weltweit erfolgreichen Pharmaanbieter entwickelt. Das Unternehmen setzt auf die drei Säulen Consumer Healthcare-Produkte, Generika und Spezialpharmazeutika und erwirtschaftete damit 2023 einen Umsatz von 3,75 Mrd. EUR. Im Gegensatz zu manch anderen Vertretern der Generikabranche zeigt sich der Bad Vilbeler Arzneimittelhersteller zufrieden mit den Standortbedingungen in Deutschland. Statt „Gejammere“ plädiert Vorstandschef Peter Goldschmidt im Interview mit Thorsten Schüller dafür, echtes Unternehmertum zu zeigen und aus den Rahmenbedingungen das Beste zu machen.

CHEManager: Herr Goldschmidt, laut eigener Aussage wächst Stada schneller als seine größten Wettbewerber. Worauf führen Sie das zurück?

Peter Goldschmidt: Ich bin zu 100 % davon überzeugt, dass ein Unternehmen nur dann wirtschaftlich erfolgreich ist, wenn die Kultur stimmt. Bei Stada bestimmen unser Zweck „Caring for People‘s Health as a Trusted Partner“ in Kombination mit unseren vier Unternehmenswerten unser Verhalten. Die Höhe des Jahresbonus wird nicht nur am Erreichen unserer wirtschaftlicher Ziele gemessen, sondern auch daran, wie unsere Mitarbeiter unsere Werte leben. In unserer Strategie ist „Wachstumskultur“ als einer von fünf Grundpfeilern fest verankert.

Können Sie uns das näher erläutern?

P. Goldschmidt: Nehmen wir den Wert Integrität als Beispiel. Es geht nicht darum, im Headquarter 50 Leute in der Compliance-Abteilung zu beschäftigen, sondern Integrität als Wert jedes einzelnen zu haben. Respektvoller Umgang miteinander und das Richtige tun, wenn keiner zusieht, lautet der Leitgedanke. Unsere Global-Compliance-Abteilung besteht aus drei Leuten bei 12.000 Mitarbeitern – das ist es. Wir haben keine Compliance-Armeen wie einige Blue Chip Companies oder Big Pharma.

 

"Wir haben keine Compliance-Armeen
wie einige Blue Chip Companies oder Big Pharma."


Entrepreneurship, also unternehmerisches Handeln, ist ein weiterer Firmenwert. Während andere Unternehmen im Consumer Healthcare-­Bereich 250 Leute in der Zentrale haben, sind es bei uns rund 20. Wir glauben an starke lokale Marken in unseren Ländern, nicht unbedingt nur an globale Brands. Auch das spiegelt sich in unserer Kultur wieder. Kurze Wege und schnelle Entscheidungen. Wenn ein Mitarbeiter einen guten Business Case hat, investieren wir das Geld und setzen das um. Um unser anorganisches Wachstum voranzubringen, berichtet der Leiter Busi­ness Development direkt an mich. Ebenso der Leiter Mergers & Acquisitions, damit wir agil und unternehmerisch Opportunitäten realisieren. 

Wie es um unsere Kultur steht, messen wir zweimal jährlich in einer weltweiten Mitarbeiterbefragung. Wir hatten bisher immer eine Beteiligung um die 90 %, was deutlich über dem Branchenschnitt liegt. Vom Außendienstler in Portugal bis zum Fabrikarbeiter in Vietnam bekommen wir Feedback. Die Ergebnisse der Befragungen sind für mich genauso wichtig wie die Quartalsberichte. Hier sehe ich klar nach Ländern und Abteilungen, wie es um unser Engagement und Committment steht.

Wie schlägt sich all das wirtschaftlich nieder?

P. Goldschmidt: Wir wachsen bei Umsatz und Gewinn schneller als der Wettbewerb. Unsere beiden Private-Equity-Eigentümer Bain Capital und Cinven gewähren uns viel unternehmerische Freiheit und nehmen das verdiente Geld nicht aus dem Unternehmen heraus – keinen einzigen Euro bisher. In den letzten sieben Jahren konnten wir dadurch ungefähr 1,3 Mrd. EUR in Zukäufe und unser Wachstum investieren und somit viele neue Jobs auch in Deutschland schaffen.
Stada feiert 2025 den 130. Geburtstag. Damit das Unternehmen noch weitere 130 Jahre existieren kann, muss man eben nachhaltig in die Zukunft investieren. Wir zeigen, dass man auch als deutsches Pharmaunternehmen global erfolgreich sein kann. Wir arbeiten konstruktiv mit Politik und anderen Stakeholdern zusammen. Aber wir verlassen uns nicht nur darauf, sondern sagen, dass man als Unternehmer auch viel unternehmen muss.

 

„Wir wachsen bei Umsatz und Gewinn schneller als der Wettbewerb.“

 

Es gibt hierzulande manchmal ein Gejammere, dass in Deutschland alles so schwierig sei. Natürlich braucht es wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen, aber es kommt eben darauf an, was man daraus macht. Wir finden den Standort Deutschland gut, geben hier Gas und wachsen global. Und haben Stada von einem deutschen Mittelständler zu einem weltweit erfolgreichen Pharmaanbieter entwickelt.

Sie sehen also die Lage der Pharmaindustrie hierzulande deutlich optimistischer als manche Ihrer Kollegen?

P. Goldschmidt: Ja, genau.

Was macht für Sie einen guten Business Case, ein gutes Produkt, aus?

P. Goldschmidt: Bei Consumer Healthcare setzen wir auf starke Marken in unseren Ländern. Grippostad zum Beispiel gibt es in Deutschland oder Österreich, aber nicht in England, Frankreich oder Polen. Es muss einen Markt für das Produkt geben, sonst führen wir es nicht ein. Generika lieben wir einfach, weil durch diese Medikamente die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung garantiert wird.
Bei den Nachahmerpräparaten setzen wir auf ein Vollsortiment. Wenn immer ein Medikament seinen Patentschutz verliert, versuchen wir, als erster am Markt zu sein. Wirtschaftlich muss es natürlich Sinn machen.

 

"Es muss einen Markt für das Produkt geben,
sonst führen wir es nicht ein."


Im Spezialitätenbereich, unserer dritten Säule, sind wir hinsichtlich der Anwendungsgebiete agnostisch unterwegs. Entscheidend ist für mich nicht, ob es sich um ein Produkt aus dem Bereich Krebs oder Herz-Kreislauf handelt. Wir analysieren im Detail jeden einzelnen Business Case. Wenn es Bedarf im Markt gibt und wir das Produkt zu vernünftigen Kosten produzieren können, gehen wir an den Start.

Stellen sie bestimmte Margenansprüche an ein Produkt?

P. Goldschmidt: Natürlich muss ich eine vernünftige Marge erzielen. Aber im Endeffekt zählt bei uns im Private-Equity-Bereich mehr der absolute Profit als die Marge. Wer heute an der Börse ist, wird meist schon abgestraft, wenn die Marge nicht auf Dauer wächst. Im Private-Equity-Umfeld ist man hingegen eher bereit, zwei Prozent mit der Marge runterzugehen, wenn man dafür mehr absolute Euro in der Tasche hat.

Dabei beklagen sich Generikahersteller hierzulande doch oftmals über die Preisgestaltung. Bleibt da noch Raum für Margenzugeständnisse?

P. Goldschmidt: Als Gruppe mit unseren Dachmarken Stada und Aliud sind wir vor Bayer die Nummer 1 im Consumer-Healthcare-Geschäft und die Nummer 2 im Bereich der verschreibungspflichtigen Generika. Wir haben im Gegensatz zu anderen keinen Portfolioanspruch. Am Ende agieren wir wie gute Kaufleute: Nur wenn ein Gewinn übrig bleibt, bieten wir an. Hier muss die deutsche Politik aufpassen, dass sie nicht durch einen ruinösen Preiswettbewerb dafür sorgt, dass wir bestimmte Produkte vom Markt nehmen. Wir verkaufen nichts mit negativen Margen. Ein früherer Gesundheitsminister hatte mir mal vorgeworfen, wir sollten uns besser um unsere Lieferfähigkeit kümmern. Ich habe ihm geantwortet, das mache ich gerne, wenn die Politik sicherstellt, dass wir Geld verdienen. Wenn nicht, hat die Politik den Lieferengpass zu verantworten. Das mag eine harte Aussage sein, ist aber so.

Verdient jedes Ihrer Produkte Geld?

P. Goldschmidt: Generell ist unser Credo, dass alle Marken und Produktgruppen Geld verdienen. Die einzige Ausnahme ist der Tendermarkt [Anm. d. Red.: Rabattverträge zwischen Arzneimittelherstellern und gesetzlichen Krankenversicherungen]. Will man dort mitbieten, muss man das gesamte Portfolio einer Substanz vorhalten. Da kann es schon mal sein, dass sich eine bestimmte Darreichungsform nicht mit Profit verkauft. Aber alle Marken und Produktgruppen, die wir haben, verdienen Geld.

Consumer Healthcare und Generika sind Ihre größten Bereiche, doch das stärkste Wachstum liegt bei den Spezialpharmazeutika – plus 25 Prozent im vergangenen Jahr. Werden Sie auf dieses Segment künftig einen besonderen Fokus legen?

P. Goldschmidt: Alle drei Segmente haben für uns den gleichen Fokus, werden aber unterschiedlich wachsen. Mit Generika bleiben wir geografisch in Europa und werden nicht in die USA, China oder nach Japan gehen. Wir halten diese Märkte nicht für attraktiv genug, sie sind zu volatil und die Margen sind grenzwertig. In Europa sind wir für die Zukunft von Generika bestens gerüstet, wir haben uns bereits jetzt rund 80 % jener Produkte gesichert, die in den nächsten Jahren den Patentschutz verlieren.
Bei Consumer Healthcare haben wir ein gutes Portfolio aufgebaut, neue Produkte eingeführt und arbeiten gut mit den Apotheken zusammen. Die Online-Vermarktung unseres Consumer-Healthcare-Geschäftes entwickelt sich sehr dynamisch. Wachstumsmöglichkeiten sehen wir aber vor allem außerhalb von Deutschland.
Bei den Spezialprodukten werden wir noch deutlich mehr machen. Wir haben das siebte Biosimilar eingeführt – da geht es richtig voran. Zudem haben wir Leute in Indien und in den USA engagiert, in China haben wir gerade ein Business Development- und Licence Team eingestellt. Wir möchten ein Partner sein für Firmen, die Produkte zum Beispiel in China entwickeln. Als Partner sehen wir uns in der Rolle des Beraters bei der Entwicklung, aber vor allem bei der Vermarktung in Europa.
Allerdings sind wir bei Spezialitäten in einem Nischenbereich der seltenen Erkrankungen unterwegs und widmen uns Produkten mit einem Umsatzpotenzial von 50 bis 150 Mio. EUR. Wir machen also das, was für Big Pharma tendenziell zu klein ist, weil diese Produkte trotz ihrer Bedeutung für die Patienten keine Peak Sales bringen.

In den USA sind Sie bisher kaum am Markt vertreten, nur marginal mit einigen Consumer Healthcare-­Produkten bzw. Spezialitäten. Wollen sie da reingehen?

P. Goldschmidt: Potenziell sind wir dort heute schon mit Partnern vertreten. Wir haben zum Beispiel gerade ein Antihistaminikum namens Daosin über einen Partner in den USA eingeführt. Gleiches gilt für ein Parkinsonprodukt oder für Ranibizumab, ein Biosimilar aus der Augenheilkunde. Grundsätzlich ist der Markteintritt in die USA im Bereich Spezialtherapeutika eine strategische Option für die Zukunft.

Das heißt, Sie machen mit ihren Partnerschaften dort erste tastende Schritte?

P. Goldschmidt: Das könnte man so bezeichnen. Wenn wir weltweite Rechte für ein gutes Produkt haben, suchen wir natürlich auch jemanden, der es in den USA verkauft. Im Übrigen kennen wir den US-Markt sehr genau. Ich habe das zweitgrößte Generikaunternehmen in den USA geleitet, unser Head of Specialty ist Amerikaner. Also: Wir haben die Kompetenzen, aber der Business Case und die richtige Option müssen passen.

Der Schritt in die innovative Arzneimittelentwicklung steht bei ihnen nicht an, oder?

P. Goldschmidt: Nicht, was eigene Forschung angeht. Wir werden nicht in den klassischen innovativen Markt hineingehen, auch nicht bei der Vermarktung.

Was hält Sie davon ab?

P. Goldschmidt: Mit unseren drei Bereichen stehen wir viel stabiler da als manches innovative Pharmaunternehmen. Wenn die bei einem oder mehreren Produktkandidaten Fehlschläge erleiden, kann das im Extremfall die gesamte Firma gefährden. Wir hingegen sind breit aufgestellt, wir haben 25.000 verschiedene Produkte. Im Übrigen wäre es bei unserer Größe unverantwortlich, alles auf eine Karte zu setzen.

Viele Generikahersteller beziehen ihre Wirkstoffe zu einem erheblichen Teil aus China, mit den bekannten Problemen. Oft gibt es nur einen Hersteller. Fällt dieser aus, kommt es zu Lieferproblemen. Trifft Sie das auch?

P. Goldschmidt: Na klar betrifft uns das auch. Das gilt für die gesamte Pharmaindustrie weltweit, und zwar nicht nur für APIs, also die Wirkstoffe, sondern auch für Hilfs- und Beistoffe. Wir haben allerdings bereits vor Corona angefangen, für unsere Kernprodukte sogenannte Dual Sourcings aufzubauen, um eben nicht nur von einem Anbieter abhängig zu sein. Im Vergleich zu anderen Unternehmen haben wir damit eine unterproportionale Abhängigkeit von China.
Außerdem verfügen wir über viele API-Produzenten in Europa. Und man darf nicht vergessen, dass wir eine seit über 100 Jahren gewachsene Firma sind, die weltweit 17 eigene Produktionsstätten besitzt. Wir haben ein großes neues Werk in Viet­nam gebaut. Von dort werden wir auch Europa beliefern. Außerdem errichten wir in Rumänien gerade unser weltweit größtes Verpackungszentrum, welches im Oktober eröffnet wird. 50 % von allem, was wir verkaufen, produzieren wir selber. Der Rest ist Lohnherstellung rund um den Planeten.

 

„Wir haben viele Ideen für zusätzliches Wachstum.“

 



Wie aufwändig ist es, alternative Produzenten für einen bestimmten Stoff zu finden?

P. Goldschmidt: Einfach ist das nicht, und es dauert sehr lange. Andererseits hat dieser Aspekt für uns strategische Bedeutung. Während Covid hatten wir eine hohe Lieferfähigkeit und damit keinen Umsatzeinbruch. Letztlich ist es eine Frage der Kosten. Da muss man manchmal auch in den sauren Apfel beißen und akzeptieren, dass Dual Sourcing eben ein bisschen teurer ist.

Wohin wird der weitere Weg des Unternehmens führen?

P. Goldschmidt: Wir haben so viele Ideen für zusätzliches Wachstum, dass sich für mich eher die Frage stellt, wo wir Prioritäten setzen und wo wir die besten Möglichkeiten haben. Ich glaube, wir sind mit unserer Pipeline jetzt schon so breit aufgestellt, dass wir uns um die nächsten Jahre keine große Sorgen machen müssen.

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Stada Arzneimittel
Stada hat seinen Sitz im hessischen Bad Vilbel. Das Arzneimittelunternehmen setzt auf die drei Säulen Consumer Healthcare (z. B. Grippostad), Generika und Spezialpharmazeutika. Weltweit beschäftigt der Konzern fast 11.700 Mitarbeiter und vertreibt Produkte in 115 Ländern. Im Geschäftsjahr 2023 erzielte das Unternehmen einen Umsatz von 3,75 Mrd. EUR. Seit 2017 gehört Stada den Private-Equity-Unternehmen Bain Capital und Cinven. Seit geraumer Zeit gibt es Spekulationen über einen Ausstieg der Eigentümer. Dabei stehen ein Verkauf wie auch ein erneuter Börsengang im Raum.

ZUR PERSON
Peter Goldschmidt
ist seit September 2018 Vorstandsvorsitzender von Stada. In über 30 Jahren in der Pharmaindus­trie war er in verschiedenen Führungsfunktionen in den Bereichen OTC, Generika und dem innovativen Pharmageschäft in Asien, Europa und den USA tätig. Seine Berufslaufbahn begann er 1990 im Novartis-Konzern. Vor seinem Eintritt bei Stada war er von 2013 bis 2018 President of Sandoz US und Head of North America.

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