Umstrukturierung von IT und Geschäftsprozessen nach Carve-Outs
19.07.2013 -
Private Equity-Unternehmen waren zwischen 2008 und 2011 zurückhaltend mit ihrem Engagement in der Chemieindustrie. Accenture und andere Marktexperten sehen die Anzahl der Übernahmen bald wieder ansteigen.
Das verstärkte Engagement von Private Equity passt zum Wunsch vieler Großkonzerne, ihr Portfolio zu optimieren und sich dabei von kapitalintensiven und wenig profitablen Geschäftssparten zu trennen.
Prozess- und IT-Verantwortliche, die einen Carve-Out aus einem Großkonzern in ein mittelständisches Unternehmen durchlaufen, sind vor allem in Deutschland anfangs skeptisch gegenüber Private Equity - was mit der traditionellen Zurückhaltung in Deutschland gegenüber dieser Branche zusammenhängt. Dabei eröffnen sich mit der Befreiung aus Konzernstrukturen gerade auf der Prozess- und IT-Seite große Chancen, Gestaltungsräume und Wirkungsfelder.
Denn ohne langwierige Entscheidungsprozesse und fragmentierte Verantwortlichkeiten lassen sich Entscheidungen in Private Equity leichter treffen und schneller umsetzen. Denn ohne langwierige Entscheidungsprozesse und fragmentierte Verantwortlichkeiten lassen sich Entscheidungen leichter treffen und schneller umsetzen.
Eine überdimensionierte IT-Infrastruktur als Erbe
Oftmals hindert aber das IT-Erbe des Mutterkonzerns die Beteiligten daran, Abläufe neu zu gestalten, und Geschäftsprozesse schlanker, transparenter und kundenorientierter zu machen. Für ein mittelständisches Unternehmen ist die geerbte IT-Infrastruktur oft so überdimensioniert wie ein 40-Tonner zum Transport eines Sacks Kartoffeln.
Folgende Probleme beobachten wir bei einem Carve-Out am häufigsten:
- Die meist komplexen SAP-Umgebungen sind oftmals auf älteren Releaseständen;
- Die Automatisierung von Prozessen, oft mit Kundenentwicklungen vorangetrieben, ist häufig auf große Shared Service-Einheiten von Großkonzernen ausgerichtet und nicht ausreichend dokumentiert;
- Viele historisch gewachsene Eigenentwicklungen sind mittlerweile durch SAP-Standardfunktionalitäten obsolet geworden, sie wurden aber nie zurückgebaut
Das Problem: Nach dem Carve-Out muss eine dezimierte IT-Mannschaft die zahlreichen Anwendungen am Leben halten. Von Glück kann sprechen, wer nur ein ERP-System übernimmt, und nicht, wie z.B. bei Joint Ventures üblich, mit mehreren ERP-Systemen in die Eigenständigkeit entlassen wird. In der Regel bleibt wenig Zeit dafür, Prozesse zu vereinfachen, zu standardisieren und zu dokumentieren.
Vielmehr geht es für die IT zunächst darum, sich auf das Wichtigste zu beschränken: Die Kernbereiche aus den ehemaligen Zentralfunktionen des Großkonzerns wie etwa Einkauf, Finanzwesen und Personal müssen aufgebaut und die notwendigsten Wartungsarbeiten durchgeführt werden. Bei diesen Aufgaben unterstützt meistens die IT des Mutterkonzerns im Rahmen von Transitional Service Agreements (TSAs) für einen definierten Zeitraum und im Rahmen ihrer Möglichkeiten.
Mut zum Neustart ist unverzichtbar
Entscheidend für den Erfolg der IT-Transformation ist, dass die Verantwortlichen den neuen Gestaltungsspielraum in dieser Transformationsphase auch auszunutzen. Oft geht das nur durch Wegsprengen des massiven Sockels, in den die Geschäftsprozesse einbetoniert sind. In der Regel läuft das auf die Einführung eines schlanken ERP-Systems hinaus, das sich konsequent auf die Erfordernisse eines agilen Mittelständlers ausrichtet. Eine wichtige Voraussetzung für eine schnelle Verschlankung der IT-Landschaft ist ein gut vorbereiteter Business Case. Dieser sollte die folgenden Fragen beantworten können:
- Wie lassen sich die zukünftigen Wartungskosten senken und Infrastrukturprojekte einsparen (etwa bei Release-Wechseln)?
- Welche Risiken birgt die neue Konstellation - z.B. die Wartung einer überdimensionierten Systemlandschaft durch eine zu kleine IT-Abteilung?
- Wie können möglichst viele Funktionsbereiche wie Controlling, Einkauf oder Vertrieb optimiert werden?
- Wie lässt sich das Projekt möglichst zügig und reibungslos implementieren?
Je nach globalem Footprint muss die Umsetzung so schnell wie möglich nach der Übernahme starten. Denn die Zeit bis zum Auslaufen der Transitional Service Agreements (TSAs) in einem globalen Programm ist meist knapp bemessen. Als „sicherer" Projektansatz hat es sich bewährt, eine globale Vorlage (Template) für Geschäftsprozesse zu erstellen und den Roll-Out mit einer Fit-Gap Analyse in den lokalen Geschäftseinheiten zu unterfüttern.
Je nach Grad der Unternehmenszentralisierung und Durchgriff auf lokale Einheiten, einheitlichem Geschäftsmodell und reifen Märkten kann man diese Prozessvorlage (Template) entsprechend verbindlich ausrollen. Dabei lassen sich drei verschiedene Ansätze unterscheiden:
- Beim unverbindlichen Template-Ansatz wird das Template eher als eine Richtungsoption für die Umsetzung verstanden. Entsprechend haben die Beteiligten vor Ort einen großen Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum über die Geschäftsprozesse.
- Dagegen macht der verbindliche Template-Ansatz klare zentrale Vorgaben über Zulässigkeit von lokalen Prozessabweichungen - entsprechend reduziert ist hier der Entscheidungsspielraum der lokalen Geschäftseinheiten.
- Der Fit-by-Force Ansatz wiederum stellt den Benutzern nur die notwendigsten Funktionalitäten (sehr schlankes Prozessvorlage) zur Verfügung, um den Geschäftsbetrieb aufrecht zu erhalten.
Es liegt auf der Hand, dass die Stringenz des Templates den Aufwand und die Kosten für die Einführung deutlich reduzieren. Private Equity-Firmen verfolgen häufig einen sehr pragmatischen, zweckdienlichen Ansatz („fit for purpose"), der sich zwischen verbindlichem Template und Fit-by-Force einordnen lässt.
Template muss auf solider Grundlage errichtet werden
Weiterhin sollten die Beteiligten unbedingt ein auf die Anforderungen der Chemiebranche zugeschnittenes Prozesstemplate verwenden, um eine solide Grundlage zu haben. Eine sichere Option liefert die SAP mit ihrem SAP Best Practices for Chemicals. Aus der Erfahrung von mehr als 80 Kundenprojekten in der chemischen Industrie hat Accenture die Lösung mit einer strukturierten Prozessdokumentation ausgestaltet und mit 300 Weiterentwicklungen verfeinert. Darüber hinaus sind die typischen lokalen Anforderungen für über 40 Länder dokumentiert und mit Lösungsvorschlägen versehen.
Solche Besonderheiten sind nicht zu unterschätzen, sorgen diese beim späteren Roll-Out in lateinamerikanischen Ländern, aber auch in China und Russland für unerwartete Mehrkosten.
Aber eines bleibt sicher: Selbst wenn die Projektziele klar abgesteckt sind, selbst wenn die Verantwortlichkeiten festgelegt und organisatorisch verankert sind und die Inzentivierung der Beteiligten klar an den Projektzielen (inklusive des Budgets) ausgerichtet sind - eines wird bleiben: die Tendenz der Nutzer und Landesgesellschaften, an althergebrachten Prozessen und Funktionalitäten festzuhalten. Hier sind vor allem die Verantwortlichen für die Geschäftsprozesse und die IT mit all Ihrer Kommunikationsfähigkeit gefragt, so dass der Projektauftrag nicht über die Zeit diffundiert. Eine Schlüsselrolle kommt dabei dem CIO zu. Er muss ein breites IT-Fundament und ein Händchen für das Partnermanagement mitbringen, aber genauso das Geschäft und die Branche des Unternehmens verstehen - und auf Augenhöhe mit den Geschäftsverantwortlichen zusammenarbeiten. Nur dann werden Carve-Outs auch ein Erfolg für die IT.
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Fallbeispiel: Emery Oleochemicals
(von Ralf Petersohn, Global Director IT, Emery Oleochemicals)
Die Ausgliederung aus dem Cognis-Konzern hat Emery Oleochemicals über Nacht zu einem global agierenden Mittelständler gemacht. Das war eine hervorragende Gelegenheit, um im gesamten Unternehmen viele Geschäftsprozesse zu vereinfachen. Prozesse, für es sich nicht lohnt, im Unternehmen Kapazitäten vorzuhalten, haben wir ganz an Partner herausgegeben - wie z.B. solche im Außenhandel (Import- und Exportabwicklung). Sehr hilfreich bei der Umsetzung und Einführung der neuen Strukturen und Prozesse war ein Best Practice Template, mit dem wir anschaulich die neuen Abläufe demonstrieren konnten. Für die Zustimmung der Mitarbeiter zu den Änderungen war diese Möglichkeit ganz entscheidend, weil so Unsicherheiten vermieden werden konnten und sich die Diskussionen auf das Wesentliche konzentrierten. IT-Mitarbeiter und Berater mussten ein tiefes Prozessverständnis und Branchenkenntnisse mitbringen, aber auch gute Kommunikatoren sein. Denn nur so war es möglich, die Fachabteilungen von den Änderungen und den Vorteilen des Ansatzes auch zu überzeugen.
Technisch gesehen ist mit der Template-basierten Neueinführung ein Release-Sprung auf SAP ECC 6.0 einhergegangen. So war es einerseits möglich, die Zahl der ERP-Systeme von drei auf ein globales System zu reduzieren. Andererseits konnten wir mit nur einem System den Prototyp in allen Ländergesellschaften sehr effizient ausrollen und damit den Template-Ansatz für die gesamte Emery-Gruppe umsetzen. Ein Ergebnis der Umstrukturierung: Die Anzahl der Z-Reports und wartungsintensiven Z-Transaktionen ließen sich um mehr als zwei Drittel reduzieren.
Nach der Entwicklung des Templates auf Grundlage der Best Practices von SAP und Accenture lag eine Herausforderung darin, das Template mit den Fachabteilungen und den wichtigsten Nutzern global abzustimmen. Und es ging darum, den pragmatischen Ansatz bei den Vorständen und Geschäftsführern der Ländergesellschaften durchzusetzen. Auf eine komplexe Governance zur Entscheidung über lokale Anforderungen wurde ganz bewusst verzichtet - dafür waren Zeit und Ressourcen schlicht zu knapp bemessen. Rechtliche Anforderungen aus den Ländern wurden natürlich umgesetzt, Business-Anforderungen jedoch erst nach einer harten Kosten-Nutzen Betrachtung.
Der Strukturwandel vom Großkonzern zum agilen Mittelständler verlangt den Beteiligten viel ab: Es braucht viel Energie und Begeisterung für die Sache - und eine große Portion Pragmatismus. Prozesse müssen vorgelebt, Kosten und Nutzen abgewogen, und Entscheidungen schnell getroffen werden, für die man dann auch die Verantwortung übernimmt. Denn für die Delegation an Arbeitskreise und Entscheidungsgremien bleibt oft keine Zeit.