Shale Gas bedroht die Caprolactam-Industrie
Aromaten als wichtiger Baustein der Caprolactam-Herstellung werden weniger und teurer
Die Auswirkungen des Shale-Gas-Booms sind komplex. Viele, oft negative Effekte offenbaren sich erst bei genauerem Hinsehen. Was haben Veränderungen im Weltmarkt für Agrochemie mit Shale Gas zu tun? Warum müssen sich die Produzenten von Caprolactam deswegen Sorgen machen? Und wie kommt hier die Atomökonomie ins Spiel?
Chemiker lieben die Atomökonomie. Mit diesem Ansatz entwerfen sie moderne Synthesen, die mit hoher Atomeffizienz ablaufen können. Das ist nicht nur ein elegantes Denkmodell, sondern führt auch zu wirtschaftlichen Verfahren, da unerwünschte Nebenprodukte reduziert oder gar völlig vermieden werden. Deshalb sprechen Verfechter im angelsächsischen Sprachraum auch gern von grüner oder nachhaltiger Chemie.
Im Fall der Herstellung von Caprolactam bzw. Polyamid 6 (PA6) wurden dabei schon ansehnliche Fortschritte erzielt. Sie führen zur Reduktion der nicht unerheblichen Salzfracht, die in der klassischen Caprolactam-Route entsteht. Salzfreie Routen wurden entwickelt und in industriellem Maßstab umgesetzt. Doch die Sinnhaftigkeit dieses Ansatzes, besonders in ökonomischer Hinsicht, erscheint unter dem Einfluss des aktuellen Shale-Gas-Booms jetzt in einem ganz neuen Licht.
Shale Gas verdirbt das Geschäft
Die klassische Grundlage zur Herstellung von Caprolactam in Nordamerika und mittelbar auch in Europa sind Aromaten. Ihre Verfügbarkeit wird durch die Erfolgsgeschichte von Schiefergas deutlich eingeschränkt, denn in den USA fallen beim Cracken von Ethan viel weniger Aromaten und andere Nebenprodukte an. Die Konsequenzen sind absehbar: Naphtha-Cracker in Europa dürften im globalen Wettbewerb das Nachsehen haben. Diese versuchen die verloren gegangenen Margen beim Zielprodukt Ethylen durch Preissteigerungen bei den Nebenprodukten, z.B. Aromaten, zu kompensieren. Oder sie werden sich ganz vom Markt zurückziehen. Schlecht für europäische Caprolactam-Hersteller: Die Aromaten als wichtiger Baustein werden weniger und teurer. Der Ausweg aus dem Dilemma: Die Hersteller müssen alternative Quellen für Aromaten identifizieren, auch biogene. Oder ganz neue Wege jenseits der Aromaten-Routen entwickeln.
Gefahren drohen auch aus einer ganz anderen Richtung: die Verwertung der Salze, die bei der Caprolactam-Herstellung in großen Mengen anfallen können. Eigentlich sind sie ein Nebenprodukt, jedoch stellt ihre Vermarktung einen wesentlichen Erfolgsfaktor für das Caprolactam- und PA6-Geschäft dar.
Das süße Zusatzgeschäft mit dem Salz
Caprolactam wird klassisch dreistufig hergestellt. Nach der Konversion von Cyclohexan zu Cyclohexanon wird dieses mit Hydroxylamin oximiert. Bereits dort fällt Ammoniumsalz als Nebenprodukt an. Die nachfolgende Umlagerung zu Caprolactam produziert nach der klassischen Route durch Neutralisation der eingesetzten Schwefelsäure weiteres Ammoniumsulfat. Die anfallenden Salzmengen sind beträchtlich und können den Ausstoß an Caprolactam sogar deutlich übertreffen. In großen Anlagen kommen da schon einmal mehrere Hunderttausend Tonnen Salzfracht zusammen. Nicht nur die ökologische Verantwortung gebietet einen wertschöpfenden Umgang mit diesem Nebenprodukt. Das Management der Salzfracht stellt auch ökonomisch betrachtet einen bedeutenden Erfolgsfaktor für das Caprolactam- bzw. PA6-Geschäft dar.
Ein zuverlässiger Abnehmer ist bisher die Agrarindustrie. Ammoniumsulfat wird in großem Umfang als Stickstoffdünger für alkalische Böden vertrieben. Die Logistik dieses Geschäfts ist hoch optimiert. Riesige Lagerhallen direkt in Nachbarschaft der Caprolactam-Produktionsstätten nehmen die großen Mengen des Salzes auf. Dort wird auch eine geeignete Granulierung des Produktes vorgenommen, so dass der Eintrag auf den Feldern optimal funktioniert. Zum weiteren Transport in die Zielmärkte wird das Produkt direkt auf Frachtschiffe verladen.
Zu viel Dünger bedroht das Wachstum
Hier lauert die nächste Gefahr für die europäischen Caprolactam-Produzenten. Die fast konkurrenzlose Verfügbarkeit von Methan als Folge des amerikanischen Shale-Gas-Booms stellt dieses System vor neue Herausforderungen. Neben Aromaten bzw. Cyclohexan gehen in die Herstellung von Caprolactam besonders Ammoniak und Oleum bzw. Schwefelsäure ein. Auch der Energiekonsum dieser Synthesen ist signifikant. Allein aus energetischen Gründen ist Schiefergas vorteilhaft für die Herstellung dieser Chemikalie.
Darüber hinaus wird die C1-Chemie in den USA ausgesprochen attraktiv. Das gilt besonders für Ammoniak. Unternehmen wie Mosaic, CF Industries oder Yara wollen in Nordamerika neue Anlagen bauen, die Millionen Tonnen Ammoniak ausstoßen und den Markt fluten werden. Diese Projekte sind in der Regel nicht als Einzelanlagen konzipiert, sondern werden in den Ausbau des Stickstoffdünger-Downstream, wie z.B. Harnstoff, voll integriert. Dieser besitzt eine deutlich höhere Stickstoffkonzentration. Keine guten Aussichten für das Management des Caprolactam-Nebenproduktes. Die Karten im Stickstoffdüngermarkt werden wohl neu gemischt.
Ammoniumsulfat unter Druck
Im Allgemeinen konkurriert Ammoniumsulfat gegen andere Stickstoffdünger wie Ammoniak, Harnstoff, Ammoniumnitrat oder Ammoniumphosphat. Dabei haben Ammoniak und Harnstoff besondere Vorteile für den Agronomen, denn ihr Stickstoffgehalt ist vergleichsweise hoch. Die Transportkosten für Dünger mit höherem Stickstoffgehalt sind deutlich günstiger. Sofern die Böden nicht alkalisch sind, stört die Landwirtschaft auch die Übersäuerung der Böden durch Ammoniumsulfat.
In Nordamerika hergestellte Stickstoffdünger profitieren von den Vorteilen des Shale-Gas-Booms beim Grundprodukt Ammoniak und von den günstigen Energiekosten. Stickstoffdünger aus Europa, die an dieser Entwicklung nicht teilhaben können, werden einen schwereren Stand haben. Das gilt auch für Ammoniumsulfat aus der Caprolactam-Produktion. Ob der Transport von preiswertem Ammoniak von Nordamerika nach Europa diese Entwicklung nachhaltig dämpfen kann, bleibt abzuwarten. Die Logistikkosten mit Lagerung und Transport stellen weiterhin eine ernsthafte Schwelle dar.
Und wie werden sich die traditionellen Produzenten von Ammoniak und Stickstoffdünger im Schwarzmeerraum verhalten? Schwer zu sagen. Sie verfügen über große Kapazitäten; ob sie vollständig auf die reduzierten Gaspreise im amerikanischen Raum eingehen werden, ist eher fraglich. Ein Gefälle im Gaspreis zwischen Europa und den USA ist wahrscheinlicher und bedroht die Herstellung von Caprolactam und dessen Hauptderivat Polyamid 6. Dies gilt umso mehr, da Polyamid ohnehin schon seit langem durch das billigere Polypropylen herausgefordert wird.
Alternativen und Auswege
Was tun, um aus dem Dilemma herauszukommen? Ein Schlüssel zur Lösung des Problems liegt in der Vermeidung der Salzfracht. Hier kommt die eingangs erwähnte Atomökonomie ins Spiel. Bereits Montedison, später EniChem, hatte für die Oximierung einen ammoniumsulfatfreien Prozess entwickelt. Andere Firmen wie z.B. DSM waren in der gleichen Richtung tätig. Sumitomo hatte eine salzfreie Beckmann-Umlagerung entwickelt. Sinopec betreibt eine solche Route, die völlig salzfrei ist, seit 2003 - mit einer Kapazität von ca. 200.000 t. Auch andere, z.B. Toray oder DuPont, haben eine solche salzfreie Route.
Allen diesen Verfahren ist gemeinsam, dass sie eine bessere Atomökonomie gegenüber der klassischen Route leisten. Diese Routen wären weniger von den Verwerfungen im Ammoniak-Stickstoffdünger-Weltmarkt beeinträchtigt und damit ökonomisch robuster. Auch gibt es Verfahren, die bei Butadien oder Acrylnitril aufsetzen statt bei Aromaten. Angesichts der C3- und besonders C4-Preis-Entwicklung sind diese Routen gegenwärtig nur eingeschränkt ökonomisch attraktiv. Dabei könnte die Entwicklung von alternativen Quellen bei den Olefinen, besonders Butadien, noch schwieriger als bei den Aromaten sein.
Bei der Identifikation alternativer Quellen müssten über fossile Quellen hinaus unbedingt auch biogene Rohstoffe berücksichtigt werden. Die Aufbereitung von Lignin in Holz würde zu Aromaten bzw. phenolischen Verbindungen führen. Und nicht zuletzt könnte das C6-Grundgerüst der Cellulose einen sehr wertvollen Baustein für Caprolactam abgeben.
Fazit
Die Herausforderungen für die Caprolactam- und Polyamidindustrie durch den Shale-Gas-Boom sind beträchtlich. Die Hersteller tun gut daran, die Entwicklung für ihr Geschäft sehr genau zu untersuchen.
Ein mittelfristig umsetzbarer Lösungsansatz könnte die Umstellung auf weniger salzbelastete oder salzfreie Routen sein; die richtige Wahl der Technologie ist dabei entscheidend. Spätere Maßnahmen sollten aus einer mehr prinzipiellen Analyse des geeigneten Rohstoffes bzw. der geeigneten Route zu Caprolactam abgeleitet werden.
Eine umfassende Analyse der chemischen, ökonomischen und geopolitischen Einflussfaktoren ist notwendig, um geeignete Alternativen und Verfahren zu entwickeln. Schließlich geht es um nicht weniger, als eine attraktive Caprolactam- bzw. Polyamid-6-Industrie in Europa sicherzustellen. Professionelle Ratgeber mit dem Blick für die komplexen Zusammenhänge dieser Industrie können diese Entwicklung sehr machtvoll unterstützen.
Und nicht nur diese: Die von der Atomökonomie inspirierte Strategie der Vermeidung von Nebenprodukten lässt sich auch auf andere Routen, die Ammoniumsalze als Nebenprodukt haben, übertragen, wie z.B. auf Acrylate oder Methacrylate sowie Polyurethane oder Hydrazin. Denn klar ist: Wer bei nachhaltigen Veränderungen im globalen Wettbewerb frühzeitig gegensteuern kann, ist generell im Vorteil.
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