Optimierung der Bestände
Chemieindustrie: Nachhaltiges Working Capital Management berücksichtigt Geschäftsprozesse
Bei vielen Unternehmen rückt das Thema Bestandoptimierung besonders dann in den Fokus, wenn die Umsätze stagnieren oder rückläufig sind. Auch momentan beschäftigen sich viele europäische Chemiekonzerne wieder mit ihrem Working Capital. Besonders effizient sind solche Optimierungsprogramme, wenn sie mit substanziellen Verbesserungen der damit verbundenen Geschäftsprozesse gekoppelt sind.
Die europäische Chemieindustrie hat sich seit der Finanzkrise grundlegend verändert. Die Ära nach der Finanzkriese ist bis heute geprägt von einer hohen Preis- und Nachfragevolatilität sowie einer zunehmenden Fragmentierung der Bestellvolumina. Vor diesem Hintergrund haben sich die einzelnen Chemiesegmente unterschiedlich entwickelt. Einige Segmente konnten exzellentes Wachstum verbuchen. Andere leiden unter Preisdruck sowie Überkapazitäten. Die Gründe dafür sind vielfältig und häufig durch die Globalisierung des Wettbewerbs verursacht. Sie gehen über das klassische Prinzip des Produktlebenszyklus hinaus.
Um den Auswirkungen der erhöhten Nachfrageunsicherheit und Volatilität zu begegnen, wurde eine Vielzahl von konzernweiten als auch lokalen Working Capital-Optimierungsprogrammen mit unterschiedlichen Erfolgen aufgesetzt (Abb.1). Die in solchen Programmen umgesetzten Maßnahmen werden häufig durch ungeplante Begleiteffekte in ihrer Wirksamkeit eingeschränkt.
Die kurzfristige Umsetzung von pauschalen Bestandsreduktionen - wie z.B. -10% für das gesamte Produktspektrum - kann bei der häufig vorliegenden Produktkomplexität der chemischen Industrie nur durch harte Einschnitte bei schnell drehenden Produkten realisiert werden. Damit erhöht sich die Wahrscheinlichkeit von Lieferausfällen, was zu einer verschlechterten Zahlungsmoral der Kunden führt. Dadurch wird ein Teil der Cash-Verbesserung durch erhöhte Außenstände wieder kompensiert. Bei längerfristigen Lieferengpässen kann dies sogar zu dauerhaften Umsatz- und Ergebnisverlust führen.
Weitergehende Maßnahmen werden teilweise auf Kosten anderer NWC-Bereiche umgesetzt und damit das Gesamtergebnis abgeschwächt, wie z.B. verlängerte Zahlungsziele als Kompensation gegenüber dem Kunden für verminderte Konsignationslagerbestände. Sind die Ziele erreicht und der Programmfokus schwächt sich ab, werden Teile der Maßnahmen wieder zurückgenommen, um die Kollateralschäden aus Sicht von SCM und Verkauf wieder zu reduzieren. Durch diesen Jojo-Effekt ist letztlich das nächste Programm vorbestimmt.
Um das zu vermeiden, müssen einerseits die Abhängigkeiten und Verflechtungen zwischen Beständen, Forderungen und Verbindlichkeiten sowie dem Management von Kunden und Lieferanten berücksichtigt werden. Dafür ist ein tiefergehendes Verständnis für alle relevanten Geschäftsbereiche erforderlich. Außerdem müssen die Prozesse und Rahmenbedingungen für das SCM und die Produktion inhaltlich optimiert werden, um mit einem niedrigeren Working Capital-Bedarf weiterhin die Marktanforderungen erfüllen zu können.
Nachhaltige Optimierung in zwei Stufen
Um die Balance zwischen den unterschiedlichen Bereichen des Working Capital zu erreichen und unerwünschte Quereffekte zu vermeiden, ist eine Zusammenarbeit über die funktionalen Silos hinweg notwendig. Auf der Zeitachse lassen sich zwei Stufen unterscheiden. In der ersten Stufe werden die Potentiale realisiert, die innerhalb der gegebenen Prozesse und strukturellen Gegebenheiten möglich sind, ohne die Marktversorgung spürbar zu beeinträchtigen. In Stufe zwei erfolgen die Umsetzung der Optimierung von Abläufen und Rahmenbedingungen und die Realisierung der daraus resultierenden, zusätzlichen Potentiale.
Für eine nachhaltige Bestandssenkung werden die Rahmenbedingungen zu Beginn der Optimierung aus einem Assessment der Supply Chain-Prozesse, des Produktionsnetzwerks und den Charakteristika der Produktionsstraßen abgeleitet. Ziel ist es die Definition von Bestandszielen auf einem praktikablen Auflösungsgrad und damit parallel das Aufzeigen offensichtlicher Überschussbestände zu ermöglichen. Dies erfolgt auf Basis der ermittelten Wirkbeziehungen, die in der Vergangenheit für die tatsächlich vorhandenen Lagerbestände verantwortlich waren.
Aus dem Vergleich dieser Bestandstreiber mit Best Practice-Prozessen und -strukturen lässt sich unmittelbar das weitere Verbesserungspotential ableiten. Um die Potentiale realistisch einzuschätzen, müssen sowohl die Umsetzbarkeit als auch das Risiko von gegenläufigen Auswirkungen berücksichtigt werden. Jede Verbesserungsmaßnahme muss auf ihren Einfluss auf Kundenzufriedenheit, Kosten und Cash hin analysiert werden. Speziell in Hinblick auf die Kunden aber auch strategische Lieferanten gilt es, die Strategie der Geschäftseinheit bzw. des gesamten Unternehmens zu berücksichtigen. Eine gemeinsame Bewertung der Vorschläge mit Vertretern aller beteiligten Funktionen führt zu einer abgestimmten Aktionsliste als Grundlage für eine koordinierte Umsetzung. (Abb. 2)
Erfolgsfaktoren & Nutzen
Ausschließlich auf kurzfristige Senkungsmaßnahmen fokussierte Programme erzielen keine nachhaltige Verbesserung der Gegebenheiten.
Der im dargestellten Ansatz in der ersten Phase notwendige erhöhte Aufwand, das Verständnis für diese Differenzierung zu erarbeiten, wird durch die zusätzlichen Potentiale der zweiten Phase mehr als kompensiert. Zudem wird dadurch der Jojo-Effekt nach Abschluss der ersten Phase weitgehend vermieden. Durch die damit erzielte Nachhaltigkeit muss die „Management Attention" nicht immer wieder auf Bestandsreduktionsprogramme fokussiert werden, sondern lässt sich auf andere, wertschöpfende Bereiche konzentrieren.
Die Zielsetzung der Working Capital-Reduzierung führt über die Optimierung der Prozesse und Strukturen hinaus erfahrungsgemäß zu Performance-Verbesserungen in Bezug auf kürzere Durchlaufzeiten, eine höhere Agilität am Markt und mehr Transparenz, was wiederum zu weiteren Kosteneinsparungen und mehr Umsatz führt.
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