Anlagenbau & Prozesstechnik

Der Cyber Physical Sensor?

Prozess-Sensoren sind ein Kernstück von Industrie 4.0

18.05.2015 - Die aktualisierte Technologie-Roadmap „Prozess-Sensoren" wird eine Weiterentwicklung der Technologie-Roadmap „Prozess-Sensoren 2015+" sein und fokussiert sich im Kernpunkt auf die Erfassung von physikalischen und chemischen Messgrößen und das Verständnis des Prozesses. Sie liefert damit die Basis und Voraussetzung für die zukünftigen Automatisierungskonzepte, wie sie u. a. durch das Zukunftsprojekt „Industrie 4.0" adressiert werden.

Mit der Technologie-Roadmap „Prozess-Sensoren 2015+" hatte das Projektteam Roadmap Prozess-Sensoren 2009 eine Grundlage für alle Unternehmen der Automatisierungsindustrie geschaffen, um zielgerichtet auf Kundenbedürfnisse und technologischen Entwicklungstendenzen zugeschnittene Produktentwicklungen und Forschungsprojekte durchzuführen und zum Erfolg zu bringen. Wichtige Grundlage für die Akzeptanz der Roadmap 2015+ war die solide Betrachtung der Prozesse.

PAT als Enabling Technology

Im April 2014 startete die Projektarbeit zur Überarbeitung und Aktualisierung der Roadmap 2015+ in einem gemeinsamen Projekt der Organisationen NAMUR und VDI/VDE- Gesellschaft Mess- und Automatisierungstechnik unter Mitwirkung führender Hersteller und Anwender von Prozess-Sensorik unter Federführung der BAM Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung. Im Projektteam sind ein gutes Dutzend Experten aus den Anwenderunternehmen, den Geräteherstellern und Forschungseinrichtungen vertreten. Bei der Überarbeitung wurde schnell erkannt, dass derzeit eine rasante Veränderung im Umfeld der Prozessanalysentechnik stattfindet, deren Herausforderungen sich zukünftig alle stellen werden müssen. Themen wie „Industrie 4.0", „Dezentrale Automation" oder „Factories of the future" entfalten eine bedeutende Dynamik. In der Vorausschau ist bereits abzusehen, dass die Projektarbeit sehr eng am Zukunftsprojekt „Industrie 4.0" ausgerichtet werden wird: Die vierte industrielle Revolution wird die klassischen Produktionsverfahren der Prozessindustrie neu ausrichten. Industrie 4.0 könnte eines Tages die starke Individualisierung der Produkte für die Kunden ohne Einschränkungen der Produktqualität bewältigen. Gleichzeitig eröffnen sich weitere Perspektiven, wie z. B. Ressourcen- und Energieeffizienz, urbane Produktion, Bewältigung des demografischen Wandels, Begegnung des Fachkräftemangels oder Verbesserung der Work-Life-Balance, z. B. durch Fernsteuerung von Anlagen der Prozessindustrie.

Die Prozessanalysentechnik (PAT) ist als Enabling-Technology gleich in doppelter Hinsicht ein Schlüssel zur langfristigen und nachhaltigen Bewahrung von Standortvorteilen: Einerseits ermöglicht sie der verfahrenstechnischen Industrie die sichere und effiziente Herstellung international wettbewerbsfähiger Produkte. Andererseits bietet sie aber auch der  Messtechnikbranche die Möglichkeit, innovative Systeme und Lösungen der Mess- und Regeltechnik weltweit zu exportieren. PAT macht Märkte.

Über den Tellerrand blicken

Die aktualisierte Technologie-Roadmap fokussiert sich im Kernpunkt auf die Erfassung von physikalischen und chemischen Messgrößen und das Verständnis des Prozesses. Sie liefert damit die Basis und Voraussetzung für die zukünftigen Automatisierungskonzepte, wie sie u. a. durch das Zukunftsprojekt „Industrie 4.0" adressiert werden. Es stehen zunächst chemische und pharmazeutische Prozesse im Vordergrund, die für weitere Disziplinen der Prozessindustrie, wie z. B. Lebensmittel, Wasser, Energie, etc. Gültigkeit haben können. Als Basis werden heutige und zukünftige Prozesse angesehen, von denen diese Messanforderungen ausgehen.

Die in der aktuellen Roadmap erarbeitete Basis bleibt nach sorgfältiger Überprüfung der aktuellen Anforderungen voll bestehen. Die Vorausschau der Roadmap 2015+ wurde in vielen Punkten voll bestätigt. Anwender und Gerätehersteller berichten über eine Fülle von Entwicklungen, die u. a. auf der Basis der Roadmap umgesetzt wurden. Darüber hinaus verfügt der Standort Deutschland über einen beträchtlichen Wissens- und Technologievorsprung, und zwar sowohl in der Forschung an Hochschulen und Universitäten als auch bei den Messgeräteherstellern. Alle machten und machen den exzellenten wissenschaftlichen Output und ihre lang akkumulierte technische Erfahrung den Anwendern für ihre bestehenden und zukünftigen Messaufgaben zugänglich. Nun gilt es, diesen Vorsprung durch ständige Weiterentwicklung des Produktportfolios auch halten zu können - dazu ist die neue Technologie Roadmap die geeignete Grundlage.

Technologische Entwicklungen aus den Nachbarbranchen IT- und Medizintechnik eröffnen neue Möglichkeiten für die Prozessanalytik. Neuartige Sensorkonzepte basierend auf miniaturisierten Bauelementen mit extrem niedriger Preisstellung und Plug-In-Software für Smartphones und Tablets lassen eine massive Reduzierung der Hemmschwelle bei der Beschaffung und Implementierung von Prozess-Sensoren und deren Stückzahlen erwarten. In den letzten zehn Jahren gab es Durchbrüche bei mikroelektromechanischen Systemen (MEMS), Quantenkaskadenlasern (QCL), Laserdioden oder etwa den Webserver für einen Euro. Um von diesen neuen Technologien zu profitieren, sind viele Fragen hinsichtlich  Einbindung und Kalibrierung zu beantworten, ohne auf Sicherheit und Robustheit verzichten zu müssen.

Es müssen neue Konzepte entwickelt werden, um den vervielfachten Kalibier- und Wartungsaufwand abzudecken. Sensorik an einer mittelkomplexen Anlage hat heute bis zu 1.000 einstellbare Parameter. Wie findet man Einstellfehler? Kann und soll die Einstellmöglichkeit beschränkt werden?

Sensorik für Industrie 4.0

Als wichtigste Ergänzung der Technologie-Roadmap wird gesehen, die Sensoren und Messprinzipien sowie deren Kommunikationsmöglichkeiten detaillierter und einheitlich zu beschreiben - von den klassischen Sensoren bis hin zu den innovativen. Dazu helfen zwei Leitfragen: „Wie profitiert ein smarter Sensor von Industrie 4.0?" und „Wie wird der smarte Sensor neue Anlagenkonzepte und Verfahren beeinflussen?". Der smarte Sensor misst mehrere Messgrößen, kalibriert und optimiert sich selbst, ist leicht in Anlagen zu integrieren und erhält seinen Betrieb selbständig. In welcher Sensortopologie wird er in die Automatisierungslandschaft eingebunden und was kann er in dieser Konfiguration umgekehrt für neuartige Prozesse und die Prozesssteuerung beitragen? Advanced Process Control mit seiner prädiktiven Prozesssteuerung kann ideal mit Prozess-Sensoren zusammenwirken, aber diese Bedeutung wird derzeit nicht hinreichend gewürdigt.

Interessant ist auch die Fragestellung, welche Daten dann zukünftig an welcher Stelle geprüft, vorbehandelt und betrachtet werden. Wie sieht die universelle Sensorschnittstelle der Zukunft aus, die dafür notwendig ist und wer darf mit ihr sprechen? Dazu finden derzeit an vielen Stellen Diskussionen statt, die die Chance nutzen, im Dschungel der Standards kräftig aufzuräumen. In der Rolle eines Dienstleisters für Sensorik haben Anwender besonderes Interesse an erleichterter Bedienbarkeit, Lieferbarkeit und Integration. Dabei wird die Akzeptanz der Anwender für neue Technologie zu betrachten sein, denn heute werden etwa nur 6 % der Neugeräte mit adäquaten Schnittstellen wie z.B. Profibus ausgeliefert, obwohl technisch alle Hürden genommen sind. Denkt man in puncto Daten konsequent weiter, entstehen Fragen wie: Wo landen die Daten und das Wissen, das daraus entsteht? Wie gehen wir mit der „Cloud" um? Eine weniger restriktive Verfügbarkeit der Sensordaten eröffnet zukünftig zahllose Vorteile - sofern IT Sicherheit einmal vorausgesetzt werden kann. Einer davon wäre, dass ein Sensorhersteller sehr viel über den Lebenszyklus seiner Baureihe lernen und die Sensoren zielgerichtet optimieren könnte, wovon wiederum die Anwender profitieren.

Die Prozessanalysentechnik fokussiert sich in der Zukunft möglicherweise nicht mehr allein auf die Erfassung von physikalischen und chemischen Messgrößen und das Verständnis der Prozesse, sondern liefert umgekehrt wichtige Voraussetzungen für die künftigen modularisierten und flexibilisierten Automatisierungskonzepte, von der Versuchsplanung bis hin zu einer modell- und datengetriebenen Prozessführung oder neuen Prozesstopologien. Damit ist die Prozessanalytik selbst zugleich ein wichtiger Technologietreiber für die eingangs erwähnten Zukunftsprojekte.

Die überarbeitete Technologie-Roadmap „Prozess-Sensoren" wird auf der NAMUR-Hauptsitzung im November 2015 der Öffentlichkeit vorgestellt. Seien Sie gespannt!

Kontakt

NAMUR - Interessengemeinschaft Automatisierungstechnik der Prozessindustrie e.V.

c/o Bayer AG
51368 Leverkusen
Deutschland

+49 214 30 71034
+49 214 30 96 71034