Compliance im Mittelstand ist mehr als Risikoprävention
Eine gelebte Compliance-Kultur trägt messbar zum Unternehmenserfolg bei
Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) widmet sich seit dem vergangenen Jahr verstärkt dem Thema Compliance im Mittelstand und unterstützt seine Mitgliedsunternehmen u.a. durch eine geplante Veranstaltungsreihe. Dr. Andrea Gruß befragte dazu Dr. Tobias Brouwer, Compliance-Beauftragter des VCI und Mitglied im Präsidium des Berufsverbands der Compliance Manager (BCM).
CHEManager: Warum startete der VCI die Initiative für Compliance im Mittelstand?
Dr. T. Brouwer: Die Bedeutung von Compliance ist in den vergangenen Jahren stetig gestiegen und wird weiter zunehmen. Gleichzeitig belegen aktuelle Studien, dass der deutsche Mittelstand die Bedeutung von Compliance zwar sehr wohl ernst nimmt, die Compliance-Systeme aber an die Komplexität und Internationalität der Geschäftstätigkeit angepasst werden müssen. Durch eine zunehmende Regulierung unternehmerischen Handelns und die Globalisierung der Märkte steigen die Herausforderungen an Unternehmen, sich rechts- und regelkonform zu verhalten. Wir möchten daher unseren mittelständischen Mitgliedsunternehmen das Thema Compliance noch näher bringen und sie bei der Implementierung von Compliance-Systemen unterstützen.
Wo sehen Sie spezielle Handlungsfelder für die mittelständische Chemieindustrie?
Dr. T. Brouwer: Die relevanten Compliance-Bereiche für Mittelständler unterscheiden sich nicht wesentlich von denen in Großunternehmen. Zu den besonderen Risikofeldern zählen seit jeher Korruption und Verstöße gegen das Kartellrecht, da hier die Versuchung eines Rechtsverstoßes am größten ist. Das gilt auch für die Folgen und Sanktionen für pflichtvergessene Unternehmen.
Unterschiede zwischen Mittelständlern und Großunternehmen bestehen aber möglicherweise bei der Schwerpunktsetzung und der Risikoeinschätzung. So hat etwa 2015 eine Untersuchung überraschend festgestellt, dass viele Mittelständler nicht etwa Korruptions- oder Kartellverstöße, sondern den Datenschutz als größtes Compliance-Risiko sehen.
Welche Risiken birgt ein ungenügendes Compliance-Management für die Unternehmen?
Dr. T. Brouwer: An erster Stelle drohen natürlich hohe Bußgelder, mit denen nicht nur Fehlverhalten sanktioniert, sondern auch die wirtschaftlichen Vorteile aus der Tat abgeschöpft werden. Die gesetzlichen Bußgeldrahmen werden übrigens immer weiter ausgedehnt. Sind zum Beispiel Verstöße nach dem Bundesdatenschutzgesetz derzeit noch mit einem Bußgeld von bis zu 300.000 EUR bedroht, erlaubt die demnächst geltende europäische Datenschutzverordnung Bußgelder von bis zu 20 Mio. EUR beziehungsweise bis zu vier Prozent des Gesamtjahresumsatzes. Kommen dann noch Schadensersatzforderungen der Geschädigten dazu, kann ein Compliance-Verstoß ein Unternehmen im Extremfall in die Insolvenz treiben. Spätestens dann realisiert sich auch das zweite große Risiko: Die persönliche Haftung des einzelnen Verantwortlichen. Mitverantwortlich ist auch derjenige, der sich nicht um eine angemessene Compliance-Organisation gekümmert hat, obwohl dies seine Aufgabe war. Persönliche Haftungsrisiken treffen daher vor allem die Geschäftsführer, da sie in erster Linie für die Compliance-Organisation zuständig sind.
Welchen Einfluss hat die Unternehmensführung auf die Regeltreue eines Unternehmens?
Dr. T. Brouwer: Die Compliance wird gerade in familiengeführten Unternehmen sehr von den jeweiligen Leitungspersonen geprägt. Das kann sich sehr positiv auswirken, es kann ein Unternehmen aber auch in eine Schieflage bringen, wenn es die Verantwortlichen mit Compliance nicht so ernst nehmen. Eine Auswertung von Medienberichten aus dem Jahr 2014 kam zu dem Ergebnis, dass häufig die Geschäftsführer der betroffenen Mittelständler selbst Täter oder Beteiligte strafrechtlich relevanter Compliance-Fälle waren. Daraus können sich besondere Fragestellungen ergeben, etwa welche Rolle der Compliance-Verantwortliche im Verhältnis zur Geschäftsleitung einnimmt beziehungsweise einnehmen sollte. In unserer geplanten Compliance-Tagung geht es daher auch insbesondere um Fragen, wie eine angemessene Compliance-Organisation in einem mittelständischen Unternehmen aussehen kann und wie es gelingt, eine gelebte Compliance-Kultur zu schaffen.
Welchen Nutzen über die Risikoprävention hinaus bietet die Compliance-Arbeit?
Dr. T. Brouwer: Eine sichtbare und effektive Compliance-Kultur ist eine Komponente bei der Wahl des Geschäftspartners, die immer wichtiger wird. An Lieferanten werden schon seit langem konkrete Compliance-Erwartungen gerichtet. Initiativen wie ‚Together for Sustainability‘ zeigen, dass es den großen Unternehmen dabei nicht nur um Lippenbekenntnisse geht. Ähnliches gilt für Ausschreibungen, die die Auftragsvergabe an den Nachweis einer Compliance-Organisation knüpfen. In diesen Fällen kann Compliance also über die Risikoprävention hinaus zu einem konkret messbaren Unternehmenserfolg beitragen. Hinzukommen natürlich auch weiche Aspekte wie die Attraktivität als verantwortungsbewusster Arbeitgeber, die zum Unternehmenserfolg beitragen.
Das Unternehmerbild in den deutschen Medien ist oft negativ geprägt; das Bild des „ehrbaren Kaufmanns“ verblasst. Kann ein modernes Compliance-Management dazu beitragen, das Vertrauen in Unternehmertum wieder zu stärken?
Dr. T. Brouwer: Vom Begriff des ‚ehrbaren Kaufmanns‘ muss man sich meines Erachtens gar nicht verabschieden, sondern diesen nur neu definieren. Ein ehrbarer Kaufmann ist nicht nur in eigenen Angelegenheiten rechtstreu und regelbewusst. Es ist ihm auch ein Anliegen, seine Unternehmensmannschaft auf die Beachtung von Recht und Gesetz einzuschwören. Wer dies nicht dem Zufall überlassen will, ist auf eine unternehmensspezifische Compliance-Organisation angewiesen. Oder anders gesagt: Erst eine ernst gemeinte Compliance-Kultur macht einen Geschäftspartner zu einem ‚ehrbaren Kaufmann‘.
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