Chemiekonjunktur weltweit
Chemieindustrie bleibt auf Wachstumskurs
Zurzeit bestimmen die Schuldenkrisen in Europa und den USA die wirtschaftspolitische Diskussion. Die Finanzmärkte sind nervös. Die Kurse von Anleihen gaben deutlich nach. Die Aktienmärkte sind eingebrochen. Die Probleme scheinen nun auch die Realwirtschaft zu erreichen: Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung hat sich im zweiten Quartal weltweit verlangsamt. Die Industrieproduktion verbuchte nur noch geringe Zuwächse und die Chemienachfrage war in vielen Ländern zuletzt rückläufig. Viele sehen in diesen Entwicklungen bereits die Vorboten einer bevorstehenden, erneuten Rezession.
Demgegenüber erklärt der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) in seinem Thesenpapier „Ein neuer Vertrag für den Euro": Aus realwirtschaftlichem Blickwinkel gäbe es für eine erneute krisenhafte Zuspitzung keinerlei Veranlassung. Der Verband hat Recht. Zwar schwächt sich weltweit das Wirtschaftswachstum auch in den kommenden Monaten ab. Auf diese „Normalisierung" der Wachstumsraten haben die Ökonomen aber bereits seit langem hingewiesen. Das Wachstum musste sich nach dem Auslaufen der fiskal- und geldpolitischen Impulse sowie nach Erreichen des Vorkrisenniveaus verlangsamen. Die notwendige Konsolidierung der Staatsfinanzen wird die wirtschaftliche Entwicklung zusätzlich dämpfen.
Es geht also weiter aufwärts - wenngleich mit kleineren Schritten. Ungemach droht allerdings aus der Politik. Wenn die überschuldeten Länder ihre Staatsfinanzen nicht endlich ernsthaft konsolidieren, drohen Zahlungsausfälle, die sich zu einer Bankenkrise ausweiten könnten. Das würde auch die Realwirtschaft zu spüren bekommen. Momentan sieht alles danach aus, dass sich der wirtschaftliche Aufschwung mit moderatem Tempo fortsetzt. Nach der raschen Erholung des Vorjahres wird die globale Wirtschaft in diesem Jahr um rund 2,5 % zulegen. Die Industrieproduktion steigt sogar um 4,5 % (Grafik 1). Für das kommende Jahr rechnet der Verband der Chemischen Industrie (VCI) mit ähnlichen Wachstumsraten in der Weltwirtschaft.
Chemie weltweit im Aufwind
Die Chemiebranche befindet sich mittlerweile seit neun Quartalen auf Wachstumskurs. Ein Blick auf die Produktion zeigt dabei einen V-förmigen Konjunkturverlauf. Nach den kräftigen Rückschlägen durch die Wirtschafts- und Finanzkrise wuchs die globale Chemieproduktion mit hoher Dynamik. Bereits zu Beginn des Jahres 2010 konnte daher das Vorkrisenniveau wieder übertroffen werden. Und es ging weiter aufwärts. Zur Jahreswende 2010/2011 hat sich der Aufwärtstrend wieder beschleunigt. Im zweiten Quartal hat die Dynamik zwar deutlich nachgelassen (Grafik 2). Dies muss jedoch vor dem Hintergrund des starken Vorquartals relativiert werden. Im Vergleich zum entsprechenden Vorjahresquartal kann immer noch ein Plus von 4,5 % verbucht werden. Weltweit sind die Produktionskapazitäten gut ausgelastet. In einigen Bereichen gibt es sogar Kapazitätsengpässe.
Asien: hohe Dynamik
In den Schwellenländern Asiens hatte sich das wirtschaftliche Wachstum im Zuge der Finanzkrise kaum abgeschwächt. Schnell setzten sich dort die Auftriebskräfte wieder durch. Die Chemieproduktion wuchs dynamisch. Mit dem Auslaufen der Konjunkturprogramme hat sich im Jahresverlauf 2011 das Tempo des Aufschwungs allerdings abgeschwächt. Dennoch konnte die Branche in Südkorea und Indien im ersten Halbjahr 2011 noch einmal ein Wachstum von 3,6 bzw. 5,7 % verbuchen. Chinas Chemiebranche legte sogar um mehr als 14 % zu. Doch auch im Reich der Mitte ließ die Dynamik zuletzt etwas nach.
Japan konnte von der Dynamik der Nachbarländer profitieren. Nach Durchschreiten des Tiefpunktes im ersten Quartal 2009 wurde die japanische Chemieproduktion wieder kräftig ausgedehnt. Im Jahresverlauf 2010 musste die japanische Chemieindustrie zwar einige Rückschläge verkraften. Das Jahresendquartal war jedoch außerordentlich stark, sodass die japanische Chemieindustrie mit Rückenwind ins Jahr 2011 gestartet war. Als Folge des Erdbebens und des Tsunamis brach jedoch im ersten Quartal die Produktion ein (Grafik 3). Anschließend ging es bereits wieder aufwärts. Es wird aber noch einige Zeit dauern, bis das Vorkrisenniveau wieder erreicht werden kann.
Europa: Wachstumspause
Die europäische Chemieindustrie hat sich rasch und dynamisch von den Folgen der globalen Finanzkrise erholt. Seit dem ersten Quartal 2009 geht es im europäischen Chemiegeschäft aufwärts. Das Vorkrisenniveau konnte im Jahresverlauf 2010 bereits wieder übertroffen werden. Anschließend setzte sich der Aufschwung fort. Allerdings ließ die Dynamik zuletzt deutlich nach. Im zweiten Quartal 2011 war die Produktion sogar leicht rückläufig (Grafik 4). Weil viele Kunden bereits wieder gut gefüllte Chemikalienläger hatten, wuchsen die Bestellungen nicht mehr so dynamisch wie zuvor. Die Unsicherheit wegen der Schuldenkrise dürfte diesen Effekt noch verstärkt haben. Das Exportgeschäft lief zwar weiterhin positiv. Aber auch hier ließ die Dynamik zuletzt nach. Der Produktionsrückgang des zweiten Quartals darf aber nicht als Trendwende interpretiert werden. Der VCI geht davon aus, dass es sich lediglich um eine vorübergehende Abschwächung handelt.
USA: Erholung bleibt kraftlos
In den Vereinigten Staaten tritt die Chemieindustrie weiterhin auf der Stelle. Zwar setzte auch jenseits des Atlantiks nach den krisenbedingten Produktionsrückgängen rasch die Erholung ein. Der Aufwärtstrend blieb jedoch kraftlos. Der Aufwärtstrend ist nicht frei von Rückschlägen und die Dynamik gering. Insgesamt fehlen der US-amerikanischen Chemieproduktion im Sommer 2011 immer noch mehr als 10 % zum Vorkrisenniveau (Grafik 5). Das hat vor allem strukturelle Gründe: Die De-Industrialisierung der USA macht den Chemieunternehmen Probleme. Der Anteil der Industrie an der Wirtschaftsleistung der USA ist seit vielen Jahren rückläufig. Das dämpft die Chemienachfrage, denn Banken, Unternehmensberater und Immobilienmakler kaufen kaum Chemikalien. Bei einer Exportquote von weniger als 20 % kann das Auslandsgeschäft die schwache Nachfrage im Inland nicht ausgleichen. Die Wachstumsaussichten bleiben daher verhalten. Daran wird auch die Verwendung des billigen Schiefergases („Shale-Gas") als günstiger Rohstoff für die Petrochemie nichts ändern können, denn die US-Chemie hat ein Problem mit der Nachfrage und nicht mit der Wettbewerbsfähigkeit.
Deutlich besser sieht es in Lateinamerika aus. Insbesondere in Brasilien haben sich die Auftriebskräfte frühzeitig durchgesetzt. Am Zuckerhut liegt die Chemieproduktion bereits wieder höher als vor der Krise. In der gesamten Region steigt die Chemieproduktion dynamisch - wenngleich sich auch hier die Wachstumsraten inzwischen normalisieren.
Ausblick: moderates Wachstum
Nach der rasanten Erholung im weltweiten Chemiegeschäft ließ das Wachstumstempo im ersten Halbjahr 2011 bereits deutlich nach. Das ist jedoch kein Anlass zur Sorge. Die Normalisierung der Wachstumsraten war zu erwarten. Das rasante Tempo des Vorjahres konnte nicht beibehalten werden, zumal die Konjunkturprogramme ausliefen. Die Unternehmen sind überwiegend zuversichtlich, dass es weiter aufwärts geht, auch wenn die Verunsicherung durch die Schuldenkrise und die Turbulenzen an den Finanzmärkten groß ist. Das Wachstum der Chemieproduktion wird im nächsten Jahr weltweit nur leicht abschwächen. Allerdings zeigen sich Unterschiede zwischen den Ländern. In den Industrieländern muss sich die Chemie auf eine deutliche Wachstumsabschwächung einstellen. Demgegenüber bleibt die Dynamik in den Schwellenländern hoch (Tab. 1).
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