Auf dem Weg in die Bio-Ökonomie
Biotechnologie erschließt neue Kohlenstoffquellen und verbessert CO2-Bilanz, Teil 2
Nachwachsende Agrarprodukte wie pflanzliche Ölsäuren und tierische Fette, Cellulose, Stärke und Zucker tragen mit 13 % (2,7 Mio. t) zur Kohlenstoffbasis der organischen Chemie bei. Ihr Anteil stieg seit 2003 um 3 %. Allein aus wirtschaftlichen Überlegungen heraus ist eine geringere Abhängigkeit von fossilen Kohlenstoffquellen wie Erdöl und Erdgas anzustreben. Die Suche nach Alternativen wird zudem durch die Herausforderung des Klimawandels forciert. Deshalb wird die Chemieproduktion bereits seit Jahren auf energiesparende und emissionsreduzierte Verfahren umgestellt.
Diese Strategie wird konsequent fortgeführt und erst kürzlich hat EuropaBio das ehrgeizige Ziel formuliert, den Anteil nachwachsender Rohstoffe bis 2020 auf 20 % zu steigern. In Teil 1 dieses Beitrags wurden landwirtschaftliche Kohlenstoffquellen als Rohstoff der Chemie beschrieben sowie ihre Verfügbarkeit und Erschließungsverfahren erläutert. In diesem 2. Teil geht es um forstwirtschaftliche Kohlenstoffquellen, um Synthesegas-Erzeugung aus Biomasse und Rauchgas-Nutzung.
Forstwirtschaftliche Kohlenstoffquellen
Der wirtschaftliche Durchbruch der Lignocellulose-„Verzuckerung" würde tatsächlich die erschließbaren Ressourcen nachwachsender Kohlenstoffquellen um ein Vielfaches der Agrarproduktion erhöhen, wenn es gelänge auch Holz, die Lignocellulose der Forstwirtschaft wirtschaftlich zu verwerten. Holz wäre sogar die günstigere Zuckerquelle, denn der Anteil der Hexosen beträgt hier etwa 50 %, der der Pentosen 20 % der Biomasse. Zudem erlaubt die höhere Dichte eine kostengünstigere Logistik und landwirtschaftlich nicht nutzbare Flächen wie z.B. nördliche Wälder könnten erschlossen werden.
Für den Aufschluss von Holz kann der natürliche Abbau von Lignocellulose durch Pilze, der an der Justus-Liebig-Universität in Gießen intensiv untersucht wird, als Vorbild dienen. In einem vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) geförderten Verbundvorhaben der Dechema wird seit 2007 ebenfalls unter Beteiligung von Evonik ein auf europäischen Laubholz(-Abfällen) basierendes Bioraffinerie-Konzept entwickelt.
Eine Einschränkung gilt allerdings für Lignin, das sowohl in Stroh als auch in Holz Bestandteil der Lignocellulose ist und bis zu 30 % der Biomasse ausmachen kann. An der stofflichen Nutzung wird zwar intensiv geforscht, von den weltweit in der Zellstoffherstellung anfallenden 50 Mio. t finden heute aber nur 2 % als Dispergiermittel in Beton und Zement, als Zusatz zu Bohrflüssigkeiten, als Bindemittel oder in der Klebstoffherstellung Verwendung. 98 % werden wegen fehlender Wertschöpfungsoptionen energetisch genutzt. Mit anderen Worten: Nur ein Teil des Lignocellulose-Kohlenstoffs kann stofflich verwertet werden.
Diese unvollständige Nutzung des Kohlenstoffangebots der Biomasse betrifft beide bisher angesprochenen Nutzungsarten nachwachsender Rohstoffe: Sowohl bei der Fraktionierung von Agrarprodukten in Zucker, Fettsäuren und weitere Inhaltsstoffe als auch bei der Aufspaltung von Holz in Zucker und Lignin wird nur ein Teil des Kohlenstoffs der Biomasse in die stoffliche Verwertung geleitet (Tab. 3).
Synthesegas-Erzeugung
Eine Alternative kann die Verwertung von Synthesegas aus Biomasse bieten. Durch kurzzeitige Erhitzung wird beliebige Biomasse zu CO2, CO und H2 vergast. Wegweisend kann das am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) entwickelte BioLiq-Verfahren sein, weil es das oben erwähnte logistische Problem der Verteilung der Biomasse auf großen Flächen anspricht: Zunächst wird die Biomasse dezentral in relativ kleinen Einheiten zu Bioöl verdichtet, das anschließend zentral in Großanlagen vergast wird. Derzeit wird am KIT eine Pilotanlage für das dort entwickelte Bioliq-Verfahren errichtet, die vom BMELV sowie dem Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg gefördert wird.
Je nach Verfahren und Rohstoff werden hier bis zu 99 % des Kohlenstoffs in Gas überführt, das heute der Energiegewinnung dienen soll, aber auch stofflich verwertet werden könnte. Bakterien wie z.B. Clostridien können den Kohlenstoff aus Synthesegas natürlicherweise verwerten und z.B. Essigsäure oder Ethanol produzieren. Im Labormaßstab ist es an der Universität Ulm bereits gelungen, gentechnisch die Biosynthese von Butanol zu erreichen. Auch die Produktion von Biopolymeren auf Basis Syngas ist in Entwicklung.
Diese Laborverfahren sind von wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit noch weit entfernt, doch hat die Entwicklung von heute etablierten Fermentationsverfahren, z.B. zur Herstellung von Acrylamid, 1,3-Propandiol oder Vitamin B2 gezeigt, wie Forschung und Entwicklung die Raum-Zeit-Ausbeute bis zur Wettbewerbsfähigkeit mit petrochemischen Verfahren steigern können. Besonderes Potential für die Erweiterung der Produktpalette wird hier der synthetischen Biologie zugebilligt. Sie könnte die Methode sein, die die Nutzung von Synthesegas auch durch biologische Systeme ermöglicht, deren Metabolismus bereits auf industrielle Prozessanforderungen getrimmt ist und industriell relevante Produkte liefert.
Es ist zu erwarten, dass die biotechnische Erschließung dieser neuen Kohlenstoffquelle viel Zustimmung erfährt, sich mit einem als „unnatürlich" wahrgenommenen Biokatalysator aber auch möglicherweise einer kritischen Bewertung stellen muss. Ethische Fragestellungen sind deshalb zu erwarten und eine Abwägung von Chancen und Risiken muss früh erfolgen.
Rauchgas-Nutzung
Teil der Szenarien dieser Vision wird auch die mögliche Nutzung von CO2 aus Rauchgasen industrieller Anlagen sein. Die Rauchgase von Kohlekraftwerken enthalten bis zu 14 % und die von Hütten bis zu 33 % CO2. Energieproduzenten wie E.on und RWE erforschen bereits die Verwertung ihrer CO2-Emissionen in Anlagen zur Algenkultivierung. Hier wird Algenbiomasse erzeugt, indem emittiertes CO2 in den Algenreaktor geleitet und dort photosynthetisch fixiert wird. Die Biomasse kann extrahierbare Wertstoffe für Nischenmärkte wie Kosmetik oder Lebensmittel enthalten oder zu Biodiesel umgesetzt werden.
Für die industrielle CO2-Verwertung aus Rauchgasen zu beispielsweise großvolumigen Plattformchemikalien kommen auch Bakterien in Frage. So könnten theoretisch mehrere 100.000 t eines solchen Produkts auf Basis der jährlichen CO2-Emmission eines 400 MW Steinkohlekraftwerks von ca. 2 Mio. t CO2 fermentativ erzeugt werden.
Neben der technisch/wissenschaftlichen Herausforderung solche biotechnischen Systeme zu entwickeln ist eine weitere Hürde ökonomischer Art zu überspringen. Während Algen die für die CO2-Fixierung notwendige Energie aus Licht gewinnen, benötigen Bakterien Wasserstoff als chemischen Energieträger. Er muss mit dem CO2 in die Kultivierung eingespeist werden. Da die Gewinnung von H2 teuer ist, werden sich nur Standorte als ökonomisch tragfähig herausstellen, die neben einer geeigneten CO2-Quelle auch H2 kostengünstig zur Verfügung stellen können - z.B. durch mittels Solarenergie gespeister Chloralkali-Elektrolyse, bei der H2 als Nebenprodukt anfällt. Eine weitere Möglichkeit bieten Kokereien, deren Rauchgase bis zu 50 % H2 enthalten.
Angesichts dieses Potentials ist es nahe liegend, dass CO2-emittierende Industrien sich der bakteriellen Nutzung ihrer Rauchgase zuwenden. So kooperieren RWE und Brain in der Entwicklung biotechnologischer Verfahren zur stofflichen Umsetzung von CO2 aus Rauchgasen. Diese konkreten Beispiele zeigen, dass auch bisher der Biotechnologie fernstehende Industrien deren Potential zunehmend erkennen.
Ein besonderes Interesse an der Entwicklung und Etablierung derartiger Verfahren besteht dort, wo Betreiber CO2-emittierender Anlagen in enger Nachbarschaft mit CO2-verwertenden Abnehmern arbeiten und zudem Zugang zu exzellenten Wissenschaftseinrichtungen besteht.
In Deutschland bietet Nordrhein-Westfalen diese Kombination von Interessen und Kompetenzen, Kraftswerksbetreiber, Hütten sowie Chemieindustrie sind hier konzentriert und zugleich hat sich eine exzellente Wissenschaftskompetenz der industriellen Biotechnologie gebildet. So hat Evonik in diesem Umfeld schon 2007 in Marl das Science-to-Business Center Biotechnology unter Leitung der strategischen Forschungseinheit Creavis Technologies & Innovation gegründet und beteiligt sich aktiv am Cluster industrielle Biotechnologie 2021 (CLIB2021). Dessen acht beteiligten Chemieunternehmen arbeiten gemeinsam mit 14 Forschungseinrichtungen und 36 kleinen und mittleren Unternehmen an Verfahren und Produkten der industriellen Biotechnologie.
Sie packen damit ein Thema langfristiger Nachhaltigkeit an, das die CO2-Emission von Produktionsverfahren senken und der Chemie Rohstoffflexibilität erschließen wird. Das BMBF unterstützt diesen Weg in die Bio-Ökonomie ebenfalls weiter: Mit 200 Mio. € soll die nächste Generation biotechnologischer Verfahren gefördert werden
Quellen und Referenzen sind bei den Autoren erhältlich.
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