VDI empfiehlt Maßnahmen für den beschleunigten H2-Hochlauf in Deutschland
Wasserstoff und Wasserstoffderivate werden eine relevante Rolle im zukünftigen Energiesystem spielen. Dennoch ist der H2-Hochlauf in Deutschland noch nicht so weit fortgeschritten wie geplant. Vor diesem Hintergrund hat der VDI den Zukunftsdialog Wasserstoff initiiert, um mit Experten aus allen Wertschöpfungsstufen der Wasserstoffwirtschaft sowie der Forschung, Politik und der Zivilgesellschaft Lösungsansätze zur Beschleunigung zu erarbeiten.
Autor: Jan Bavendiek, VDI
Für eine erfolgreiche Defossilisierung der Industrie führt an erneuerbaren chemischen Energieträgern wie Wasserstoff und seinen Derivaten kein Weg vorbei. Neben der direkten Elektrifizierung werden auch weiterhin chemische Energieträger benötigt, insbesondere dann, wenn diese auch stofflich eingesetzt werden, wie häufig in der Chemie- oder Stahlindustrie. Auch über die Industrie hinaus ist die direkte Elektrifizierung in einigen Bereichen ungleich schwerer, weshalb hier ebenfalls Wasserstoff bzw. Wasserstoffderivate zum Einsatz kommen werden. Dies betrifft bspw. die Schifffahrt und die Luftfahrt, aber auch im Bereich des Schwerlastverkehrs oder der Agrarmaschinen sind Anwendungen auf Basis erneuerbarer, chemischer Energieträger denkbar.
Der Hochlauf einer Wasserstoffwirtschaft in Deutschland hat noch nicht die erforderliche Geschwindigkeit erreicht.
Wasserstoff ist die einzige technische Option, um große Mengen erneuerbarer Energie langfristig zu speichern. Die Erzeugung erneuerbaren Stroms mittels Fotovoltaik und Windkraftanlagen variiert im Tagesverlauf sowie saisonal. Kurzfristige Schwankungen können bspw. mit Batteriespeichern oder einer flexiblen Anpassung der Verbrauchsseite ausgeglichen werden. Für den saisonalen, d.h. langfristigen Ausgleich, sind aufgrund der erforderlichen Speicherkapazitäten jedoch chemische Energieträger notwendig. Grundlage dafür ist die Elektrolyse von grünem Wasserstoff aus erneuerbar erzeugtem Strom. So kann in Zeiten eines Überangebots, z. B. im Sommer, wenn zusätzlich zum Strom aus Windkraftanlagen viel Strom aus Fotovoltaik zu Verfügung steht, über die Elektrolyse Energie für Unterangebotsphasen speicherbar gemacht werden.
Der Hochlauf einer Wasserstoffwirtschaft in Deutschland hat noch nicht die erforderliche Geschwindigkeit erreicht und wird durch zahlreiche Herausforderungen erschwert. Ein potenzieller Erzeuger von grünem Wasserstoff sieht sich mit einer unsicheren Abnahme seines Produkts (Mengenrisiko) und unsicheren bzw. tendenziell zu geringen Erlösen konfrontiert (Erlösrisiko). Gleichzeitig steht ein potenzieller Anwender grünen Wasserstoffs vor dem Risiko hoher Kosten und einer geringen Versorgungssicherheit. Auf Infrastrukturseite bestehen diese Risiken in Konsequenz ebenfalls. Ohne zusätzliche Impulse und Unterstützung von außen kann dieses Dilemma des Henne-Ei-Problems nicht aufgelöst werden. Dabei sind die Ursachen für die beiden Risikotypen „Mengenrisiko“ bzw. „Erlösrisiko“ unterschiedlich.
Rahmenbedingungen sorgen für Verunsicherung
Ursächlich für die Problematik einer unsicheren Abnahme bzw. eines unsicheren Angebots sind u. a. Unsicherheiten bei den (regulatorischen) Rahmenbedingungen aufgrund fehlender oder zeitlich zu begrenzter Regularien. Auch technische Risiken spielen eine Rolle, da bisher noch keine Erfahrungen mit Anlagen im erforderlichen Maßstab bestehen.
Unsichere und zu geringe Erlöse für grünen Wasserstoff
Die Gründe für zu geringe bzw. zu unsichere Erlöse sind vielfältiger. Auch hier spielen unsichere Rahmenbedingungen eine Rolle. So fehlt Klarheit bei der Zertifizierung von grünem Wasserstoff sowie beim Quotenhandel, wodurch der Handel erschwert und mit zusätzlichem Aufwand verbunden ist. Auch Förderungen sind, entgegen der eigentlichen Intention, nicht ausreichend zuverlässig. So wurden bspw. in der Vergangenheit bereits zugesagte Förderungen aufgrund der Haushaltslage zurückgezogen. Ein Grundproblem während des Hochlaufs der Wasserstoffwirtschaft sind die hohen Gestehungskosten für grünen Wasserstoff bzw. daraus erzeugte Produkte. Ursächlich dafür sind sowohl hohe Kapitalkosten, verstärkt durch hohe Risikoaufschläge der Kapitalgeber, als auch hohe Betriebskosten.


Impulse für Beschleunigung des Hochlaufs erforderlich
Trotz zahlreicher, bereits implementierter Maßnahmen zur Unterstützung des Hochlaufs einer Wasserstoffwirtschaft ist noch kein ausreichender Fortschritt erkennbar und die Ziele der Nationalen Wasserstoffstrategie sind weiterhin sehr ambitioniert.
Aus diesem Grund ist zusätzliche Unterstützung zur Beschleunigung des Hochlaufs erforderlich. Aufgrund der unterschiedlichen Herausforderungen braucht es eine intelligente Kombination von komplementären Instrumenten in Form eines Maßnahmenpakets, um den Hochlauf in der erforderlichen Geschwindigkeit zu ermöglichen. Dabei dürfen weder der Staat noch die Unternehmen oder die Bevölkerung überfordert werden, wobei nicht nur die finanzielle Belastung bzw. Wirkung zu berücksichtigen ist, sondern auch Aspekte wie Umsetzungs- und Verwaltungsaufwand.
Als Impuls für die weitere Debatte schlägt der VDI-Zukunftsdialog Wasserstoff zwei in sich konsistente Maßnahmenpakete vor, denen jeweils unterschiedliche Strategien zugrunde liegen.
Das Maßnahmenpaket 1 legt den Fokus auf die Unterstützung der Erzeugung von grünem Wasserstoff, um damit die langfristig benötigte (saisonale) Speicherung von erneuerbaren Energien vorzubereiten. Zentral sind dabei die Nutzung von Quotenregelungen zur Reduktion des Mengenrisikos auf Erzeugerseite und die Reduktion des Erlösrisikos für Erzeuger und Anwender durch Differenzkostenförderungen mit Doppelauktionen.
Das Maßnahmenpaket 2 legt den Schwerpunkt auf die industrielle Nutzung von Wasserstoff, um so eine langfristige Defossilisierung zu ermöglichen. Dabei soll vor allem das Mengenrisiko auf Anwenderseite durch die Nutzung von Low-Carbon Wasserstoff als Brückentechnologie reduziert werden.
Eine vollständige Beschreibung der vorgeschlagenen Maßnahmenpakte, der darin enthaltenen Maßnahmen sowie der damit verbundenen Chancen und Risiken hat der VDI herausgegeben [Ergebnisse des VDI-Zukunftsdialogs, Impulse zum Hochlauf einer Wasserstoffwirtschaft in Deutschland, 2025].
VDI-Zukunftsdialog Wasserstoff
Die vollständige Publikation
des VDI-Zukunftsdialogs Wasserstoff finden Sie
hier zum Download.
Handlungsempfehlungen des VDI-Zukunftsdialogs Wasserstoff
Übergreifend werden vom VDI-Zukunftsdialog die folgenden Anforderungen als zentral für den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft gesehen:
- Der Hochlauf einer Wasserstoffwirtschaft in Deutschland erfordert langfristig stabile Rahmenbedingungen und effektive Fördermechanismen.
- Um das Henne-Ei-Problem zu lösen, müssen Maßnahmen sowohl das Mengen- als auch das Erlösrisiko adressieren – es braucht eine Kombination von Maßnahmen, die sich sinnvoll ergänzen.
- Die Maßnahmen zum Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft müssen mit strategischen Entscheidungen zum Industrie- und Technologiestandort Deutschland im Einklang stehen.
Aufgrund der langen Amortisationszeiten muss Planungssicherheit langfristig, über 2030 hinaus, gewährleistet sein. - Zur Stabilisierung der Wasserstoffwirtschaft und zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit sind flankierende Maßnahmen, wie Speicherstrategie und Forschungsförderung, notwendig.

Autor
Jan Bavendiek ist stellvertretender Projektleiter der Initiative Zukunft Deutschland 2050 und strategischer Analyst beim VDI. Zuvor arbeitete er bei FKA, einem Forschungsdienstleister im Bereich Fahrzeugtechnik. Grundlage für seine berufliche Laufbahn waren ein Maschinenbau-Studium und die Promotion im Bereich Fahrzeugtechnik an der RWTH Aachen, wo er zum Thema Entwicklungsprozesse und im Bereich Strategie und Beratung forschte.
Quellenangaben sind beim Autor erhältlich.