Zölle sollen Düngemittelhersteller schützen
Teures Erdgas, billige russische Importe und Gasspeicherumlage: Die deutschen Düngemittelhersteller verlieren ihre Wettbewerbsfähigkeit. Großunternehmen wie SKW aus Wittenberg stellen Anlagen ab. Doch neue Zölle könnten die Lage bald entspannen.
Autor: Steffen Höhne, Wirtschaftsjournalist, Markkleeberg

Anfang Dezember 2024 stellten der Leipziger Gaskonzern VNG und das niederländische Unternehmen HyCC in Wittenberg eines der bisher größten Projekte Deutschlands für grünen Wasserstoff vor. In unmittelbarer Nähe des Agro-Chemieparks, in dem der Düngemittelhersteller SKW Stickstoffwerke Piesteritz sitzt, soll ein Wasserstoffelektrolyseur mit einer Leistung von 500 MW entstehen. Für das Milliardenprojekt soll die Investitionsentscheidung jedoch erst 2026 fallen. Zur Präsentation des Vorhabens war auch SKW-Geschäftsführer Carsten Franzke geladen. Der Düngemittelhersteller gehört zu den größten Erdgasverbrauchern Deutschlands. Ziel ist es, den fossilen Rohstoff durch nachhaltig produzierten Wasserstoff zu ersetzen. SKW ist also potenzieller Großkunde.
Wettbewerbsfähigkeit wiederherstellen
Bei der Podiumsdiskussion machte Franzke jedoch klar, dass SKW zunächst wieder wettbewerbsfähig werden muss, um überhaupt eine grüne Zukunft zu erreichen. Aktuell schreibt das Unternehmen nach eigenen Angaben Verluste, seit 2021 ist eine der beiden großen Ammoniakanlagen regelmäßig außer Betrieb. Und nicht nur SKW hat Probleme. In der gesamten Branche knirscht es. „Die Kapazitäten sind aktuell nicht komplett ausgelastet“, schreibt der Industrieverband Agrar (IVA). Vizepräsident Marco Fleischmann, Vorsitzender des IVA-Fachbereichs Pflanzenernährung, fordert: „Wir brauchen dringend eine Lösung für die strukturellen Wettbewerbsnachteile deutscher Düngemittelproduzenten durch die aus den Fugen geratenen Energiepreise. Dazu müssen vor allem die staatlich regulierten Kosten wie etwa die Gasspeicherumlage runter. Aber auch Zölle auf russische Düngemittel zu Dumpingpreisen sind längst überfällig.“


Situation der Düngemittelbranche
Doch wie ist die Lage der Branche genau? Es gibt verschiedene Gruppen von Dünger: Stickstoff, Kalium und Phosphor. Hier geht es allein um Stickstoff. Bei den Düngemittelherstellern wird Erdgas nicht vorrangig zur Energieerzeugung benötigt, sondern zu 80 % als Rohstoff. Aus Erdgas (CH4) wird zunächst Ammoniak (NH3) hergestellt, indem Stickstoff (N) aus der Luft chemisch gebunden wird.
In Deutschland gibt es laut IVA lediglich vier große Produzenten von Stickstoffdünger: Domo Caproleuna in Leuna (Kapazität 400.000 t/a), Ineos Manufacturing Deutschland in Köln-Worringen (35.000 t/a), SKW Piesteritz in Wittenberg (600.000 t/a) und Yara mit Werken in Brunsbüttel (620.000 t/a) und Rostock (1.500.000 t/a). Die Gesamtkapazität beträgt 3.155.000 t/a. Während in Wittenberg und Brunsbüttel der Stickstoffdünger aus Erdgas hergestellt wird, importiert das Werk in Rostock Ammoniak in großen Mengen. Bei Domo in Leuna ist der Stickstoffdünger ein Nebenprodukt in der Polyamidherstellung.
Wie IVA-Vize Fleischmann sehen auch die anderen Chefs der Düngemittelhersteller mindestens drei Faktoren, die die Wettbewerbsfähigkeit der Werke massiv beeinträchtigen: der hohe Gaspreis, zusätzliche Importe von russischem Dünger und staatliche Umlagen auf Energie.
Hoher Gaspreis: Laut Vedran Kujundzic, Geschäftsführer Domo Caproleuna, hatte sich der Börsenpreis von Mitte bis Ende 2024 auf mehr als 50 EUR/MWh verdoppelt. Aktuell liegt er um die 40 EUR/MWh. „Die europäischen Gaspreise sind immer noch vier- bis fünfmal höher als in anderen Regionen“, so Kujundzic. Vor allem in den USA, Russland und im Mittleren Osten ist Erdgas sehr günstig.
Als einer der wenigen Chemiemanager macht SKW-Chef Franzke auch klare Aussagen, wo die Preise aus seiner Sicht hingehen müssen: „Mit Preisen von 20 bis 30 EUR/MWh kann die deutsche Grundstoffchemie leben“, so Franzke. Alles darüber werde schwierig. Der Geschäftsführer der Chemieparkgessellschaft InfraLeuna, Christof Günter, fordert daher auch die Wiederaufnahme von russischen Pipelinelieferungen, um das Preisniveau zu senken.Vor 2021 lagen die europäischen Gaspreise teilweise unter 20 EUR/MWh.
Russische Düngemittelimporte: Agrarprodukte sind bisher von den europäischen Russland-Sanktionen im Zuge des Ukraine-Kriegs ausgenommen. Das führte dazu, dass die russischen Erdgaslieferungen deutlich zurückgingen, veredelte Erdgaslieferungen in Form von Düngemitteln aber stark zunahmen. Laut Zahlen des Statistischen Bundesamts lag der russische Import von Stickstoffdünger im Wirtschaftsjahr 2023/24 bei rund 140.000 t. Zum Vergleich: Im Zeitraum 2021/2022 waren es lediglich 56.745 t. Gleichzeitig fragen die deutschen Landwirte weniger nach. Im Wirtschaftsjahr 2023/24 lag der Bedarf etwas über 1 Mio. t. Aktuelle Produktionszahlen von Stickstoffdünger aus Deutschland gibt es nicht. Die Ammoniakproduktion in Deutschland sank jedoch von 2,2 Mio. t im Jahr 2022 auf 1,66 Mio. t im Jahr 2023 – ein Minus von etwa 28 %.
„Wir haben das Problem, dass wir unser Chemiewerk in Rostock beim Stickstoff wegen der Billigprodukte aus Russland und Weißrussland nicht mehr voll auslasten können“, sagt Fleischmann, der auch Deutschlandchef von Yara ist. Seit zwei Jahren fordern die deutschen Produzenten, russischen Dünger auf die Sanktionsliste zu setzen oder Zölle zu erheben.
Jetzt will die EU-Kommission russischen Dünger mit hohen Zöllen belegen, das EU-Parlament muss aber noch zustimmen. Beginnend mit 40 EUR/t Stickstoffdünger zum 1. Juli 2025 und 60 EUR/t zum 1. Juli 2026, sollen die Zölle schrittweise auf 315 EUR/t bis zum 1. Juli 2028 steigen. Zum Vergleich: Der Stickstoffdünger Kalkammonsalpeter, 27 % N, kostet aktuell zwischen 385 und 410 EUR/t, Ammonnitrat-Harnstoff-Lösung, 28 % N, etwa 369 EUR/t. Die Zölle würden die russischen Produzenten hart treffen.
Fleischmann forderte zuletzt im Interview mit der „Welt“ aber, „die Zölle müssten deutlich schneller steigen, und zwar in halbjährlichen Schritten.“ Er verweist darauf, dass in Europa schon Düngemittelwerke schließen mussten.
Bisher haben landwirtschaftliche Verbände in Europa bei der Einführung der Zölle auf die Bremse getreten. „Die Sorgen der Landwirte wegen möglicher Preiserhöhungen nehmen wir sehr ernst“, sagte daher auch SKW-Geschäftsführerin Antje Bittner. Alle bekannten Analysen kämen jedoch zu dem Schluss, dass nicht mit bemerkenswerten Preisänderungen zu rechnen sei.
Gasspeicherumlage: Während Erdgaspreise und russische Düngemittelimporte europäische Probleme sind, trifft die sog. Gasspeicherumlage vor allem die deutschen Düngemittelhersteller. Die Gasspeicherumlage wurde im Oktober 2022 vor dem Hintergrund der Gaspreiskrise eingeführt. Sie lag beim Start bei 59 ct / MWh, aktuell sind es bereits knapp 3 EUR/MWh. Das Unternehmen Trading Hub Europe (THE) ist dafür verantwortlich, dass die Gasspeicher bis zum Herbst zu 90 % gefüllt sind. Das ist gesetzlich vorgeschrieben. Die Gesellschaft übernimmt im Zweifelsfall die Befüllung auf Staatskosten. Diese Kosten werden jedoch über die Gasspeicherumlage an die Verbraucher weitergegeben.
SKW-Chef Franzke drängt darauf, industrielle Großverbraucher von der Umlage zu befreien. „Wenn eine Produktion in Deutschland überhaupt noch gewollt ist, dann müssen dringend die Beschaffungskosten für Energie und Gas reduziert werden“, sagte der Unternehmenschef. „Kurzfristig muss die Gasspeicherumlage für die inländische Industrie ersatzlos gestrichen werden.“ Die Umlage koste SKW 42 Mio. EUR im Jahr – bei einem Jahresumsatz von 800 Mio. EUR. Errechnet wurde das aus einem Jahresverbrauch von 14 TWh.
Fazit
Bisher hat keiner der deutschen Düngemittelhersteller seine Anlagen dauerhaft geschlossen. Nach der Bundestagswahl hat SKW sogar die zweite Ammoniakanlage zur Produktion von Harnstoff wieder in Betrieb genommen. SKW versteht das als „Vorleistung“ für eine Politikänderung. Mit Blick auf die Düngesaison im Frühjahr muss das Unternehmen wahrscheinlich aber auch seine Lager füllen. Die SKW-Führung macht klar, dass die Lage aus ihrer Sicht weiter sehr kritisch ist: „Handelt die Politik nach der Wahl nicht problemadäquat, dann müssen wir wahrscheinlich sogar beide Ammoniakanlagen abstellen. Denn auf Dauer können wir uns diese Verluste schlicht nicht leisten“, ist aus der Unternehmenszentrale in Wittenberg zu vernehmen.
Anbieter
SKW StickstoffwerkeMöllensdorfer Str. 13
06886 Lutherstadt Wittenberg
Deutschland
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