03.04.2012 • NewsPatentPatenteBayer

Nachgefragt: Dammbruch in Indien

Dr. Jens Hammer, Grünecker
Dr. Jens Hammer, Grünecker

Mit einer Aufsehen erregenden Entscheidung hat der scheidende Controller des indischen Patentamtes einem Generikahersteller die erste Zwangslizenz in Indien überhaupt erteilt (vgl. nebenstehende Meldung). Vertreter der nationalen Generikaindustrie und vieler NGOs vor Ort jubeln. Die Pharmaunternehmen dagegen betrachten diese Entscheidung als willkürliche Enteignung. Zu Recht, meint Dr. Jens Hammer von der Patentkanzlei Grünecker.  

CHEManager: Herr Dr. Hammer, sehen Sie die Voraussetzungen für die Erteilung einer Zwangslizenz im Fall von Bayer und Natco erfüllt?

Dr. Jens Hammer: Zwangslizenzen sind als Ausnahmeregelungen in den Patentgesetzen vieler Länder verankert. Auch der internationale rechtliche Mindeststandard, das TRIPs-Abkommen, deckt sie ab. Gedacht sind sie als letzte Möglichkeit bei medizinischen Notsituationen, insbesondere für Entwicklungs- und Schwellenländer. In den vergangenen Jahren sind bereits in Brasilien und Thailand Zwangslizenzen für Patente auf AIDS-Medikamente erteilt worden. Ganz anders liegt der jetzt in Indien entschiedene Fall. Hier geht es um ein Medikament zur Behandlung relativ seltener Krebserkrankungen. Von der Behebung eines nationalen Gesundheitsnotstandes kann hier nicht die Rede sein.

Welche Folgen könnte die Entscheidung haben?

Dr. Jens Hammer: Die Folgen sind gravierend: Zum einen könnten schon in Kürze weitere Unternehmen ihre Patente einbüßen. Bereits in der Pipeline befinden sich in Indien zwei Anträge indischer Generikahersteller für AIDS-Medikamente westlicher Pharmaunternehmen. Diese ermöglichen die Behandlung einer wesentlich größeren Anzahl von Patienten. Der aktuelle Fall lässt befürchten, dass diese Verfahren ebenfalls zur Zwangslizenz führen könnten. Zweitens könnte das indische Beispiel weltweit Schule machen, etwa in aufstrebenden Nationen wie den BRIC-Staaten. Die Patentgesetze dieser Staaten räumen auch die Möglichkeit von Zwangslizenzen ein. Drittens könnten Länder mit einer eigenen pharmazeutischen Industrie durch die Entwicklung in Indien ermuntert werden, ebenfalls die eigenen nationalen Hersteller durch Zwangslizenzen zu fördern.

Wie sollten Pharmafirmen reagieren?

Dr. Jens Hammer: Unternehmen müssen Lizenzanfragen einheimischer Generikahersteller besonders sorgfältig prüfen. Lehnen sie solche Anfragen ab, müssen sie damit rechnen, dass der Generikahersteller ein Zwangslizenzverfahren anstrengt. In diesem Fall sollten sich Unternehmen nachweislich aktiv um Produktionskapazitäten im Land bemühen. Das indische Patentamt hatte u.a. argumentiert, dass ein Verkauf der patentierten Arzneimittel für die gesetzlich geforderte „Ausübung der Erfindung" nicht ausreicht. Das dürften viele Unternehmen in der Vergangenheit anders gesehen haben. Schließlich sollten Unternehmen überlegen, ob „Freilieferungen" an besonders bedürftige Patienten oder aber auch eine Zusammenarbeit mit anerkannten NGOs möglich sind. Im aktuellen Fall hat das indische Patentamt moniert, dass nur wenige Patienten mit dem Krebsmittel versorgt wurden.

Wie wird es weitergehen?

Dr. Jens Hammer:  Für die Zukunft bleibt zu hoffen, dass durch bilaterale oder multilaterale Gespräche - z. B. in der derzeit laufenden Gesprächsrunde zwischen der EU und Indien - eine für beide Seiten akzeptable Lösung gefunden wird. Der Fall hat es verdient, ganz oben auf der politischen Agenda behandelt zu werden. Für die Pharmaindustrie, aber auch für die Patienten steht viel auf dem Spiel. Wenn sich die Unternehmen aus kritischen Märkten zurückziehen, lässt sich auch mit willkürlich erteilten Zwangslizenzen nichts erreichen. 

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