Koalitionsvertrag: Vorsichtiger Optimismus aus der Industrie

Der Koalitionsvertrag liegt auf dem Tisch und die neue Bundesregierung steht in den Startlöchern. Aus Sicht von Industrie und Verbänden wurden viele wichtige Forderungen aufgegriffen. Entsprechend positiv äußern sich VCI und IGBCE. Auch Plastics Europe Deutschland begrüßt den Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD. Der TÜV-Verband hält die Einrichtung eines Digitalministeriums für überfällig.

Aus Sicht des Verbandes der Chemischen Industrie haben die Koalitionspartner einen ordentlichen Start hingelegt. Wolfgang Große Entrup, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI), kommentiert: „144 Seiten Text, aber die wichtigste Nachricht passt in einen Satz: Deutschland ist zurück. Nichts ist in diesen Tagen wichtiger als eine handlungsfähige Regierung. Um unser Land wieder auf Spur und Europa als ernst zu nehmenden Player zurück auf die Weltbühne zu bringen. Chapeau fürs Tempo. Jetzt geht es darum, aus guten Absichten konkrete Ergebnisse zu machen – für mehr Wettbewerbsfähigkeit, für ein starkes Europa, für wirtschaftliche Erneuerung. Auf geht’s Deutschland. Wir wollen nicht mehr zaudern, sondern durchstarten.“

Auch Michael Vassiliadis, der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE), bewertet den Koalitionsvertrag von Union und SPD grundsätzlich positiv: „Die IGBCE begrüßt die Einigung der künftigen Regierungsparteien. Mit dem Koalitionsvertrag werden zentrale Weichen für den Erhalt und die Zukunft industrieller Arbeitsplätze in Deutschland gestellt“, erklärte Vassiliadis.

„Die künftige Bundesregierung erkennt die Bedeutung des Chemiestandorts Deutschland an und formuliert ehrgeizige Ziele, um die Branche international wieder an die Spitze zu führen.“ Besonders wichtig sei nun ein zügiger Start der Regierungsarbeit „In den kommenden Monaten muss es darum gehen, schnell handlungsfähig zu werden. Mit dem bereits beschlossenen Sondervermögen kann ein echter industriepolitischer Aufbruch gelingen“, so Vassiliadis.

Viele zentrale Forderungen der IGBCE spiegelten sich im Koalitionsvertrag wider. So plane die neue Regierung unter anderem:

• Energiepreise dauerhaft zu senken: Die Gaspreisumlage wird abgeschafft, die Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß reduziert und die Netzentgelte gesenkt. Zusätzlich soll ein Industriestrompreis für energieintensive Unternehmen eingeführt sowie die Strompreiskompensation verlängert und ausgeweitet werden.
• CO₂-Reduktion voranzutreiben: Die Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid (CCS) sowie der Ausbau des Wasserstoffnetzes werden ermöglicht und gefördert.
• Planungs- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen: Bürokratische Hürden beim Bau und Betrieb von Industrieanlagen sollen abgebaut werden.
• Deutschland zum weltweit führenden Standort für Chemie, Pharma und Biotechnologie zu machen: Dazu soll gemeinsam mit Gewerkschaften und Unternehmen eine Chemieagenda 2045 erarbeitet und die nationale Pharmastrategie weiterentwickelt werden.
• Eine investitionsstarke Industriepolitik zu verfolgen: Mit einem Deutschlandfonds will die Koalition eine Investitionsoffensive starten.
• Mitbestimmung und Tarifbindung zu stärken: Ein Bundestariftreuegesetz soll auf den Weg gebracht, ein digitales Zugangsrecht für Gewerkschaften geschaffen und die Gewerkschaftsmitgliedschaft durch steuerliche Anreize attraktiver gemacht werden.
• Auf europäischer Ebene will die Koalition zudem einen risikobasierten Ansatz in der Chemikalienpolitik – etwa im Rahmen von Reach – fördern.

„Der Mix aus Entlastung und Investition kann der Industrie einen echten Schub geben und Wachstum wie Modernisierung gleichermaßen vorantreiben“, betonte Vassiliadis. Besonders der Industriestrompreis entlaste energieintensive Branchen wie die Chemie-, Papier- oder Keramikindustrie massiv: „Das sichert nicht nur Standorte, sondern auch tausende gut bezahlte Arbeitsplätze in Deutschland.“

Zugleich warnt Vassiliadis vor Verzögerungen bei der Umsetzung: „Wenn wir das Ruder wirklich herumreißen wollen, müssen Entlastungen und Investitionen rasch folgen. Nur so lassen sich weitere Standort- und Anlagenschließungen verhindern.“

Die IGBCE begrüßt ausdrücklich die tarif- und mitbestimmungspolitischen Vorhaben des Koalitionsvertrags. Entscheidend sei nun deren konkrete Ausgestaltung: „Beim Tariftreuegesetz und dem digitalen Zugangsrecht für Gewerkschaften kommt es auf die Details an – nur dann können Tarifbindung und Mitbestimmung nachhaltig gestärkt werden.

Auch Kunststofferzeuger bewerten Koalitionsvertrag positiv

Christine Bunte, Hauptgeschäftsführerin des Verbandes der Kunststofferzeuger PlasticsEurope Deutschland, äußert sich positiv zum Koalitionsvertrag: „Dieser Vertrag ist ein Bekenntnis zum Wirtschaftsstandort Deutschland und in Zeiten historischer Herausforderungen ein guter Startpunkt für die Zusammenarbeit mit der neuen Bundesregierung.“ Besonders hebt sie hervor: „Das klare Bekenntnis zu vereinfachten Genehmigungsverfahren und einer 1:1-Umsetzung europäischer Gesetze ist ein großer Fortschritt für die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes. Denn für eine zukunftsfähige Industriepolitik ist es elementar, dass Genehmigungsverfahren spürbar verkürzt werden und dieses Vorhaben für alle Modernisierungs- und Bauvorhaben von Industrieanlagen gilt.”

Auch für eine wettbewerbsfähige Kreislaufwirtschaft, etwa durch verbindliche Marktanreize für Rezyklate, senden die Parteien wichtige Signale. So wird chemisches Recycling unterstützt, eine Revision von § 21 des Verpackungsgesetzes angestrebt und die EU-Verpackungsverordnung soll praktikabel umgesetzt werden. Auf Basis der Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie (NKWS) ist ein Eckpunktepapier mit diesen und weiteren Sofortmaßnahmen geplant. „Gerne werden uns als Verband bei der Erarbeitung dieses Papiers von Anfang an konstruktiv mit unserer Expertise einbringen”, so Bunte.

Im Bereich der Forschungsförderung sieht Plastics Europe Deutschland noch Verbesserungsbedarf. Der Transfer von Forschung zur Anwendung ist auch in der Chemie von höchster Relevanz für die Wettbewerbsfähigkeit. So gilt es, neue Recyclingtechnologien schneller zur Marktreife zu bringen und zügig zu skalieren. Entsprechende Förderprogramme, etwa für Pilotanlagen und Demonstrationsprojekte, sieht der Koalitionsbetrag jedoch nicht vor.

Christine Bunte fasst zusammen: „Um unseren Industriestandort zu sichern, braucht es Planungssicherheit sowie umfassende und entschlossene Reformen. Die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen sind ein erster wichtiger Schritt in diese Richtung. Daher zählt einmal mehr: jetzt kommt es auf die Umsetzung an!”

Joachim Bühler, Geschäftsführer des TÜV-Verbands: „Der TÜV-Verband begrüßt die zügige Einigung auf einen Koalitionsvertrag und fordert die neue Koalition auf, die beschlossenen Vorhaben schnell umzusetzen. In einer Zeit globaler Unsicherheiten - von Trumps aggressiver Zollpolitik bis zum andauernden Krieg in der Ukraine - kommt es für die nächste Bundesregierung mehr denn je darauf an, Vertrauen zu schaffen: in staatliches Handeln, in funktionierende Märkte und in technische Innovationen. Wer wie Donald Trump mit der Kettensäge an Schutzstandards geht, riskiert Sicherheit, Qualität und Vertrauen. Deutschland muss einen anderen Weg gehen. Der Koalitionsvertrag liefert dafür wichtige Ansätze, etwa bei der Digitalisierung, der Förderung von KI-Anwendungen, bei der Mobilitätswende und dem Ausbau klimafreundlicher Technologien.“

Besonders hervorzuheben ist aus Sicht des TÜV-Verbands das eigenständige Digitalministerium. Bühler: „Es ist richtig und längst überfällig, die Digitalisierung nicht länger auf mehrere Ressorts zu verteilen, sondern zentral zu bündeln, um digitale Souveränität, Cybersicherheit und sichere Künstliche Intelligenz mit politischer Priorität voranzutreiben. Entscheidend wird sein, das neue Ministerium mit klaren Kompetenzen, ausreichendem Budget und der notwendigen Durchsetzungskraft auszustatten – auch gegenüber anderen Ressorts.“

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