Wettbewerbsvorteile durch effizientere Anlagen
Der deutsche Chemieanlagenbau nutzt Krisenzeiten für Forschung und Entwicklung
Der deutsche Chemieanlagenbau durchläuft nach der schwachen Konjunktur des Jahres 2009 eine innere Restrukturierung (s. Markt im Blick CHEManager 7/2010). Die Anforderungen an die Beweglichkeit der Anbieter sind auch im Jahr 2010 nach wie vor hoch. Zahlreiche Unternehmen des Großanlagenbaus nutzen die frei werdenden Personalressourcen für eine Intensivierung der Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten sowie für Prozessverbesserungen. Sie wollen damit ihren technologischen Wettbewerbsvorsprung halten und sich gleichzeitig eine gute Ausgangsposition für die Zeit nach der Krise verschaffen. Die Steigerung der Energieeffizienz von Anlagen und Umweltschutzaspekte sind hierbei wichtige Themen.
Beispiele von Mitgliedsfirmen der Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau (AGAB) verdeutlichen diese Schwerpunktsetzung. Vor dem Hintergrund knapper und damit teurer werdender traditioneller Energiequellen sind energiesparende Prozesse ein wesentliches Argument beim Erwerb einer Anlage. Dies gilt nicht nur in Westeuropa, sondern auch in den USA und China. Selbst im Nahen und Mittleren Osten gibt es mittlerweile Märkte für energieeffiziente Anlagen. Uhde, weltweit führender Anbieter u.a. von Ammoniakanlagen, hat mit dem Dual-Pressure-Process in den letzten Jahren eine äußerst zuverlässige Technologie entwickelt, die nicht nur den Bau wesentlich größer Anlagen als bisher erlaubt, sondern gleichzeitig 4% weniger Energie pro Tonne produziertem Ammoniak verbraucht als konventionelle Anlagen. Dieses Verfahren wird kontinuierlich weiterentwickelt.
Bis zu 75% geringere Emissionen bei der Methanolproduktion
Das Frankfurter Unternehmen Lurgi bietet mit dem Megamethanol-Verfahren ebenfalls eine moderne Technologie an, die eine Reduzierung der Kohlendioxydemissionen bis zu 35% und der Stickstoffemissionen um bis zu 75% bei gleichzeitiger Senkung der Betriebskosten um 10% gegenüber konventionellen Verfahren ermöglicht. In Zeiten hoher Erdgaspreise und strenger Klimaschutzvorgaben bedeuten solche Technologien einen erheblichen Wettbewerbsvorteil für den Kunden. Lurgi beschäftigt sich ferner mit der Entwicklung von Biokraftstoffen der zweiten Generation, bei denen nur noch Pflanzenteile eingesetzt werden, die nicht in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion stehen. Im Forschungszentrum Karlsruhe wird im Rahmen eines gemeinsamen Projekts mit dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) eine Pilotanlage gebaut, die die Machbarkeit des dreistufigen Bioliq-Verfahrens demonstrieren soll. Die in dieser Anlage erzeugten Kraftstoffe haben beste Eigenschaften in Bezug auf Motoreffizienz und Umweltschutz.
35% weniger Energie bei der Chlor-Alkali-Elektrolyse
Für die Produktion von Chlor und Natronlauge steht Uhde mit seiner energiesparenden und umweltfreundlichen Membrantechnologie an führender Stelle im internationalen Wettbewerb. Durch eine kontinuierliche Entwicklung in den vergangenen 20 Jahren ist es dem Dortmunder Anlagenbauer gelungen, bei der Chlor-Alkali-Elektrolyse signifikante Energieeinsparungen gegenüber den herkömmlichen Quecksilber- und Diaphragmaprozessen zu erzielen. Auch im Bereich der HCI-Elektrolyse belegt die steigende Nachfrage, dass die langjährige F&E-Aktivität Früchte trägt. Ein aktueller Auftrag aus China zum Bau einer Salzsäure-Elektrolyseanlage mit einer jährlichen Kapazität von 100.000 t Salzsäure zur Produktion von 96.000 t Chlor zeigt, dass diese Anwendung auch in Schwellenländern zunehmend an Attraktivität gewinnt. Der wesentliche Grund dafür sind die erreichten Energieeinsparungen von ca. 35% gegenüber dem herkömmlichen Diaphragmaprozess.
Megaanlagen für die Luftzerlegung
Konstruktion und Bau von Luftzerlegungsanlagen zur Gewinnung von reinem Sauerstoff, Stickstoff und Edelgasen haben bei Linde eine lange Tradition und führten bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts zur Entstehung des Geschäftsbereichs Linde Engineering. Heute ist das Unternehmen Weltmarktführer in diesem Segment. Der Münchner Anlagenbauer konnte dank intensiver Forschung die Effizienz seiner Luftzerleger in den letzten Jahren nochmals deutlich steigern. Wegweisend hierbei war der Bau sogenannter Megaanlagen. Als Beispiel für ein solches Großprojekt kann der Auftrag zum Bau von acht großen Luftzerlegungsanlagen für die Pearl Gas-to-liquids-Anlage in Katar dienen. Diese Anlage wird nach der Übergabe an den Kunden Ende 2010 den weltweit größten integrierten Komplex dieser Art darstellen. Linde Engineering stellt dafür den enormen Sauerstoffbedarf von rund 860.000 m3/h sicher. Der Auftrag in Katar ist damit der größte, der je für Luftzerlegungsanlagen ausgeschrieben wurde. Durch die optimierte Anlagenverschaltung ist hierbei eine für den Kunden kostengünstige und energieeffiziente Lösung gelungen. Aufgrund einer langen Tradition hochwertiger Prozessentwicklungen ist Linde Engineering in der Lage, Kunden Lösungen für spezielle Prozessherausforderungen zu bieten, die bei der Entwicklung innovativer Technologien entstehen. Dies gilt auch für den Bereich der Olefin-Anlagen. So hat das Unternehmen vor einiger Zeit bei BP in Gelsenkirchen die kompletten Olefinöfen des Crackers ersetzt. Die Neubauten haben den spezifischen Energiebedarf und die Stickoxyd- und Staubemissionen des Betreibers erheblich gesenkt.
Kernkompetenz Forschung und Entwicklung
Die hohe internationale Wertschätzung des deutschen Großanlagenbaus basiert wesentlich auf seiner hier exemplarisch beschriebenen technologischen Exzellenz. Um diese Spitzenposition zu verteidigen, hat die Branche ihre F&E-Aktivitäten in den vergangenen Jahren spürbar ausgeweitet. Mit einer weiteren Intensivierung dieser Bemühungen ist zu rechnen, ebenso mit einem kontinuierlichen Ausbau von Kooperationen mit Partnern aus Industrie und Wissenschaft. Derzeit sind über 3.000 Personen in den Entwicklungsabteilungen der AGAB-Firmen tätig. Gemessen an der Gesamtzahl der Beschäftigten liegt die F&E-Quote damit bei 6,2% (2009).