Strategie & Management

Was Leadership heute auszeichnet

Tiefgreifende Veränderungsprozesse erfordern neue Managerprofile

22.03.2023 - Entscheidungen treffen in einer volatilen Zeit – unter dem Druck von Regularien und in der Balance zwischen ökologischen, ökonomischen und sozialen Herausforderungen

Die chemische Industrie hat wie kaum eine andere Branche das Potenzial, die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland maßgeblich mitzugestalten. Sie zählt zu den energieintensivsten Industrien und verfügt gleichsam über nachhaltig innovative Produktionsprozesse, die Vorreiter für eine klimaneutrale Wirtschaft sein können. Sie ist getrieben vom Transformationsdruck und kann den Wandel hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft zugleich aktiv mitgestalten. Was bedeutet das für das Management? Es muss Entscheidungen in einer volatilen Zeit treffen, unter dem Druck von Regularien und in der Balance zwischen ökologischen, ökonomischen und sozialen Herausforderungen.

Die Herausforderungen der Chemieindustrie sind mannigfaltig. Auf der einen Seite sind sie determiniert durch akute Entwicklungen. Die massiven Kostensteigerungen im Energiesektor treffen alle Unternehmen, doch gerade im Mittelstand ist die Gefahr groß, dass die hohen Energiekosten existenzbedrohend werden. Daran schließen sich die Fragen zur Standortpolitik an. Das Gespenst der Deindustrialisierung geistert seit Monaten durch die mediale Welt und sorgt für Unsicherheiten. Sie muss auch volkswirtschaftlich gestellt werden im Hinblick auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Dann, wenn aufgrund der Energiepreise oder restriktiverer Umweltregularien in der Europäischen Union Vorprodukte aus dem Nicht-EU-Ausland bezogen und Wertschöpfung in Deutschland deshalb abgegeben werden müssen. Derweil führt der (wieder) verstärkte Ausbruch der Pandemie in China zu neuerlichen Problemen in den Lieferketten und gefährdet die Lieferfähigkeit und Versorgungssicherheit.

Auf der anderen Seite bestehen Herausforderungen, die im Zusammenhang mit der Transformation der Chemieindustrie eine dauerhafte Aktualität erfahren werden. Sie haben für die Unternehmen einen ganzheitlichen Charakter und müssen integrativ gelöst werden. Zu nennen sind:

  • Digitalisierung und die damit verbundene technologische Entwicklung
  • Demografischer Wandel und Fachkräftemangel
  • Klimaneutralität bis 2050 und die Erfüllung der im Zuge der CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive) definierten Transparenz über ESG (Environmental, Social, Governance). Zusätzlich führt die rechtliche Verpflichtung auf das 1,5-Grad-Ziel durch die CSDDD (Corporate Sustainability Due Diligence Directive) zu Sanktionen und Haftung für die Organe.

Am Beispiel der Verpflichtung auf das Klimaziel Net Zero und der notwendigen Transformation der Unternehmen der Chemieindustrie, ESG-Ziele als integralen Bestandteil des Unternehmens aufzunehmen, lässt sich ableiten, wie sich das Eigenschaftsprofil und das Aufgaben­spektrum der Führungskräfte verändern. ESG-Ziele und deren Verankerung in den Unternehmenszielen ist nicht mehr nur eine kommunizierte Selbstverpflichtung. Es entsteht ein Handlungsdruck, da in Verbindung mit der CSRD das faktische, nachhaltige Handeln in der Nachhaltigkeitsberichterstattung transparent und an klar definierten Kennzahlen über alle Funktionsbereiche und Prozesse nachvollziehbar wird. Das Verfehlen der Ziele oder gar deren Nichtbeachtung kann massive Auswirkungen haben, bis ihn zur persönlichen Haftung der Geschäftsleitung. Damit wird deutlich, dass es sich bei ESG-Zielen und ihrer Umsetzung um ein ganzheitliche unternehmensstrategisches Thema handelt. Operativ kann und darf dies nicht ausschließlich bei einem (etwaig installierten) Chief Sustainability Officer (CSO) oder in einer anderen Führungsrolle verankert werden. Es geht um die Kultur und das Selbstverständnis, die Organisation und die Abläufe des Unternehmens.
Was heißt das für den CEO?

Um im Unternehmen eindeutig die Transformation hin zu ESG-Zielen zu unterstreichen, muss der CEO eine klare Vorbildfunktion übernehmen. Seine Rolle umfasst insbesondere:

  • Guidance im (vermeintlichen) Spannungsfeld zwischen kurzfristiger finanzieller Notwendigkeiten und dem Erreichen langfristiger Nachhaltigkeitsziele. Das kann ein verändertes Vorgehen im Vergleich zum in der Vergangenheit vielfach verfolgten ökonomischen Imperativ bedeuten. Klares Commitment, dass sich das auch über klar kommunizierte Ziele und Maßnahmen und deren Messbarkeit erstreckt. Für alle Zielgruppen – vor allem die Mitarbeiter – muss nachvollziehbar sein, was den kulturellen Wandel bedingt und wie jeder persönlich hierauf einzahlt.
  • Die Betonung der gesellschaftlichen Verantwortung im Sinne des vielfach zitierten Purpose. Denn dadurch fördert er die Transformationsfähigkeit des Unternehmens. Die Veränderung muss über das gesamte Top-Management hinweg getragen und von diesem konsistent in das Unternehmen eingebracht werden. ESG-Ziele zu erreichen, ist eine kollektive Verpflichtung. Cross-funktionales Denken und der Blick über den eigenen Tellerrand muss gefördert werden. Nur so kann die angestrebte Transformation und unternehmenskulturelle Veränderung erreicht werden.
  • Ein hohes Maß an Vertrauen an das mittlere Management. Das muss der CEO vermitteln, damit auch hier konsistent gehandelt werden kann.
  • Agiles Entscheidungsverhalten und Handeln auf kurzfristige Veränderungen der Rahmenbedingungen sicherstellen.
  • Die Bereitstellung des notwendigen Steuerungs- und Bewertungsinstrumentariums, um die definierten Ziele in den jeweiligen Verantwortungsbereichen dezidiert verfolgen zu können, inkl. der Anpassung der Anreizsysteme.
  • Die Mobilisierung der Innovationskräfte, um mit neuen Produkten, Prozessen und Technologien den Markterfolg sicherzustellen.

 

Das Interesse an der Innovationsfähigkeit eines neuen Arbeitgebers ist bei der Generation Y auf den niedrigsten Stand seit Jahren gesunken.

 

Innovationen und ESG: für jüngere Manager eher weniger ein Motivationsgrund

Letztere Anforderung stellt sich um so mehr, da hier – so die Erkenntnisse des Manager Barometers von Odgers Berndtson aus dem Herbst 2022 – ein Nachholbedarf erkennbar ist, vor allem in der jüngeren Managergeneration. Je jünger die Teilnehmer der Studie, desto unwichtiger ist ihnen die Mitwirkung an Veränderungen in einem innovativen Unternehmen. ESG und Innovationen sind nichts für die Jüngeren. Während fast die Hälfte der Babyboomer für ihren Berufsweg durch die Mitwirkung in einem innovativen Unternehmen „sehr stark“ motiviert sind, gilt dies nur für lediglich 40 % der Generation Y. Bezogen auf ESG, nehmen die Befragten das Thema eher als externe Anforderung denn als Innovationstreiber wahr. So sagten lediglich 21 % von ihnen, dass ESG-Themen ins Innovationsmanagement ihres Unternehmens einfließen. Auch das Interesse an der Innovationsfähigkeit eines neuen Arbeitgebers ist bei der Genera­tion Y auf den niedrigsten Stand seit Jahren gesunken.

 

 

Die Führungskräfte sind für die Entwicklung, Umsetzung und Kommunikation einer ESG-Strategie entscheidend mitverantwortlich.



Wodurch sich Führungskräfte heute auszeichnen

Die Führungskräfte sind für die Entwicklung, Umsetzung und Kommunikation einer ESG-Strategie entscheidend mitverantwortlich. Hieraus leitet sich ab, dass sie um so mehr darauf achten müssen, die ökologischen, sozialen und Governance-Auswirkungen ihres Verantwortungsbereichs übergreifend zu erkennen und ihren Beitrag für die Erreichung der ESG-Ziele des Unternehmens zu leisten. Als exponierte Träger der Unternehmenskultur sind sie in der Verantwortung, den kulturellen Wandel in das Unternehmen zu tragen.
Seitens des Top-Managements sei die Frage gestellt, ob im Senior Management die notwendigen Fähigkeiten vorhanden sind und ein Führungsstil verfolgt wird, der die Transformation fördert. Authentizität und eine intrinsische Motivation sind hierbei von zentraler Bedeutung. In den Stellenprofilen des Managements müssen sich Anforderungskriterien aus ESG heraus wiederfinden, die den geforderten, neuen Managertypus deutlich werden lassen. Exemplarisch zu nennen sind:

  • Kompetenz zur Integration finanzieller Ziele und ESG-Ziele und deren dezidierter Verfolgung (strategische- und Umsetzungskompetenz) sowie cross-funktionale Zusammenarbeit
  • Vermittlung der Bedeutung von ESG und Herstellung des Zusammenhangs zum Unternehmenszweck zwecks Ausschöpfung des Potenzials der Mitarbeiter und deren Motivation
  • Moderation der Unternehmenstransformation im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung der Geschäftsmodelle, der Unternehmenskultur, den Zielen und der internen Zusammenarbeit.


Wie findet man geeignete Kandidaten?

Die Kriterien für das optimale Kandidatenprofil sind oftmals ebenso komplex wie die Möglichkeiten, die besten Kandidaten zu identifizieren. Die Basis sind ein gutes Netzwerk und die kontinuierliche Beobachtung des Marktes sowie des ESG- und Innovations-Reifegrads der Unternehmen. Daneben gibt es im Executive Search psychologisch hinterlegte Programme zur Identifizierung wie auch zur Entwicklung von Führungskräften, die die Anforderungen für transformationale Führung allgemein und speziell im Kontext ESG erfüllen. Führung ist eine ganzheitliche Aufgabe, die an sich schon auf der Fähigkeit zur Transformation und Agilität angelegt ist.


Autor: Kai Böttcher, Associate Partner, Executive Search, Odgers Berndtson Unternehmens­beratung GmbH, Frankfurt am Main

ZUR PERSON
Kai Böttcher ist Associate Parter bei Odgers Berndtson. Er berät Unternehmen bei der Besetzung von Positionen der oberen Führungsebenen in prozessgetriebenen Industrien, vornehmlich in der Chemie. Davor war der Diplom-Ökonom langjährig als Führungskraft im Vertrieb und Solution Management der Deutschen Post DHL tätig. Böttcher studierte Wirtschaftswissenschaften an der Universität Hannover und promovierte dort am Lehrstuhl für Unternehmensführung in den Bereichen Innovations- und Umweltmanagement.

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