Unternehmertum in der Wissenschaft
Für eine erfolgreiche Gründung bedarf es einer Geschäftsidee und der richtigen Haltung
Die Technische Universität München hat es sich zum Ziel gesetzt, eine der erfolgreichsten Gründeruniversitäten Europas zu sein. Sie bietet ein umfassendes Angebot an Gründungsberatung und -qualifizierung sowie ein starkes Netzwerk für Gründer. Dr. Andrea Gruß befragte Prof. Wolfgang A. Herrmann, Präsident der TU München, zu den notwendigen Voraussetzungen und den speziellen Hürden für Gründungen in der Chemie.
CHEManager: Was macht einen erfolgreichen Gründer im Bereich der Ingenieur- und Naturwissenschaften aus? Welche Kompetenzen sollte er mitbringen?
Prof. W. A. Herrmann: Ein Gründer sollte eine konkurrenzlose technische Idee haben, den Willen zum Erfolg, Durchhaltevermögen und die Einsicht, dass er außer seiner eigenen Fachkompetenz noch Unterstützung durch Betriebswirte, Marketingexperten und Juristen braucht. Er muss auf Teamwork eingestimmt sein. Und er muss bereit sein, Risiken einzugehen. Nur dann hat er Erfolg.
Kann man diese Fähigkeiten an einer Universität lernen?
Prof. W. A. Herrmann: An den meisten Universitäten eher nicht, weil die wenigsten unternehmerisch ticken. Man sollte diese Fähigkeiten aber lernen. Deshalb bieten wir an der TU München eine Entrepreneurship Education an. Dabei lernen Studenten zum Beispiel Geschäftsmodelle zu entwickeln und einen Businessplan zu erstellen. Denn ein solider Geschäftsplan ist die Voraussetzung für erfolgreiches Unternehmertum. Noch wichtiger ist jedoch die richtige innere Haltung - es bedarf einer offenen Grundhaltung der Wirtschaft gegenüber.
Eine offene Haltung gegenüber Unternehmertum - sehen Sie diese in Deutschland?
Prof. W. A. Herrmann: Nein, es ist ein gesellschaftliches Problem, dass der Unternehmer noch nicht durchgängig als Motor der Gesellschaft und des wirtschaftlichen Erfolges gesehen wird. In Deutschland wird vielfach wirtschaftliche Leistung entkoppelt von Freizeit und Kultur betrachtet, dabei hat das eine direkt mit dem anderen zu tun. Wo es keinen wirtschaftlichen Erfolg gibt, da gibt es auch das andere nicht. Die Erkenntnis fehlt in Deutschland, weil es uns seit Jahrzehnten dank einer bärenstarken Industrie gut geht.
Teilweise gilt das auch für Hochschulprofessoren. Für einige Grundlagenforscher ist Wissenschaft und Wirtschaft ein Widerspruch. Sie lehnen die Nähe zur angewandten Forschung ab.
Prof. W. A. Herrmann: Wissenschaft und Unternehmertum sind kein Widerspruch.
Ich halte auch den Widerspruch zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung für konstruiert. Grundlagenforschung will die Welt verstehen. Angewandte Forschung will die Welt gestalten. Wir brauchen beides. Das eine befruchtet das andere. Wenn Forschung nur angewandt ist, wird sie das grundsätzlich Neue, oft überraschende nicht in die Welt bringen. Dazu braucht es unvoreingenommene Wissenschaftler, die verrückten Ideen nachjagen. Viele gute Wissenschaftler verfolgen beide Ansätze, entweder phasenweise, manchmal auch zeitlich überlappend - Elfenbeinturm und Werkbank.
Bezüglich Nähe zur Wirtschaft und Akzeptanz von Allianzen hat sich in den Naturwissenschaften und der Technik an den Hochschulen eine Menge geändert. Traditionell offen gegenüber der Wirtschaft waren schon immer die Ingenieure, weil sie vielfach aus der Wirtschaft kommen. Dann kommen die Naturwissenschaftler - da stehen die Chemiker noch vor den Physikern und Biologen. Und darauf folgen die Geisteswissenschaftler, von denen viele keine Wirtschaftsbetriebe kennen gelernt haben. Aufgabe einer Universität muss es sein, allen den unternehmerischen Geist näher zu bringen, ohne dass sie Unternehmertum notwendigerweise selbst praktizieren müssen.
Die TU München nimmt diese Aufgabe wahr. Sie begreift sich als unternehmerische Hochschule. Was unterscheidet sie von anderen Hochschulen?
Prof. W. A. Herrmann: Der unternehmerische Denkansatz, der umfassend die Agenda der Technischen Universität München trägt. Die unternehmerische Universität ist ein Begriff, den wir geprägt haben und auf uns anwenden. Das heißt nicht, dass wir nur Firmen gründen. Der Begriff unternehmerische Universität spiegelt unsere Haltung wider. Wir rennen um die halbe Welt, um unsere Ideen durchzusetzen, lassen uns auf Risiken ein und setzen auf Wertschöpfung. Wir fördern unternehmerisches Denken und Handeln und schaffen Freiräume für Exzellenz. Denn Wissenschaftler, die an die Spitze kommen wollen und dort bleiben wollen, brauchen Freiheit, zum Beispiel Freiheit von Bürokratie. Unseren kreativsten Köpfen müssen wir deshalb die größten Freiräume geben.
Welche Unterstützung finden potenzielle Gründer an der TU München?
Prof. W. A. Herrmann: Die TUMentrepreneurship Education bietet eine umfassende und interdisziplinäre Qualifizierung für Gründer. Sie richtet sich an Studierende, Doktoranden, Postdocs genauso wie an erfahrene Wissenschaftler und Berufstätige. Derzeit zählt das Programm etwa 1.000 Studierende. Darüber hinaus wählt rund ein Drittel aller Studierenden an der TUM freiwillige Angebote aus dem Entrepreneurship-Programm.
Eine umfassende Betreuung von Start-ups und einen eigenen Venture Capital Fonds bietet die UnternehmerTUM Gesellschaft. Hier unterstützen etwa 50 Mitarbeiter Gründer in allen Phasen des Unternehmensaufbaus.
Im kommenden Jahr werden wir das TUM Entrepreneurship Center auf dem Campus Garching eröffnen, eine Investition von 17 Mio. EUR. Dort bündeln wir Prototypenwerkstätten sowie Beratung und Services für Gründer sowie vier Lehrstühle, die sich mit Entrepreneurship befassen. Damit bekommt der unternehmerische Geist an der TUM eine „Adresse", womit seine Sichtbarkeit nochmals gesteigert wird.
Welche Erfolge zeigen diese Maßnahmen?
Prof. W. A. Herrmann: Soweit erfasst sind seit 1990 aus der TUM rund 650 Unternehmen mit heute 14.500 Arbeitsplätzen ausgegründet worden. Das ist eine ordentliche Leistung, die sich noch steigern wird. Denn durch die genannten Initiativen ist die Zahl der Unternehmensgründungen an der TUM deutlich gestiegen. Derzeit zählen wir 40 bis 50 Unternehmensgründungen pro Jahr.
Wie viele davon stammen aus der Chemie?
Prof. W. A. Herrmann: Die Chemieausgründungen haben einen Anteil von 5%. Das ist angesichts der höheren Hürden für diesen Bereich sehr ordentlich, zumal diese Gründungen - soweit wir das heute beurteilen können - eine höhere Resistenz besitzen, das heißt die Unternehmen länger bestehen als zum Beispiel Gründungen in der IT-Branche.
Worauf führen Sie die geringere Zahl an Gründungen in der Chemie zurück?
Prof. W. A. Herrmann: Zum einen ist die Chemie immer noch sehr industriell geprägt. Die Branche bietet vergleichsweise viele, sichere und gut bezahlte Arbeitsplätze für ausgebildete Chemiker. Eine Unternehmensgründung ist dagegen immer mit einem Risiko verbunden, und der Mensch geht von Natur aus Risiken aus dem Weg. Es sei denn, er hat eine Idee, von der er begeistert und überzeugt ist, und die er umsetzen möchte.
Hinzu kommt, dass Chemiegründungen einen stärkeren Support benötigen, um eine Idee in eine Technologie umzusetzen. Sie benötigen meist teure und aufwändige Laborausstattungen und Chemikalien. Hohe Sicherheitsauflagen und komplizierte Zulassungsverfahren sind weitere Hürden.
Doch die größte Hürde ist der Laborraum. Deshalb planen wir an der TU München ein Laboratoriumsgebäude auf dem Campus in Garching. Dort können Chemiker in einem interdisziplinären Umfeld mit Medizintechnikern, Informatikern und Mathematikern forschen.
Sie erwähnten, dass Gründungen in der Chemie resistenter sind und die Unternehmen länger am Markt bestehen. Worauf führen Sie das zurück?
Prof. W. A. Herrmann: Ein Grund ist traditionelle „German Chemistry": Generalistenausbildung in der Chemie, die wir beibehalten müssen. Auch wenn die handwerkliche Arbeit im Laboratorium oft lästig erscheint. Chemiker entwickeln durch Misserfolge im Labor und harte, handwerkliche Arbeit eine hohe Frustrationstoleranz. Das ist eine Tugend, die in anderen Ländern nicht so ausgeprägt ist und die wir erhalten müssen. Sie macht uns in Deutschland stark.