Logistik & Supply Chain

Tendenz bei Lieferketten: mehr Regionalität und Transparenz

Interview mit Thomas Nolepa und Dirk Fellhauer, Raben Trans European Germany

12.10.2021 - Die chemische wie auch die pharmazeutische Chemie verlangt von Logistikdienstleistern im Lager- wie auch Transportbereich so manches Extra, sei es in Bezug auf Gefahrstoffregelungen oder durch besondere Temperaturanforderungen, um nur zwei zu nennen.

Auch um diesen Ansprüchen zu genügen, hat der europäische Logistikdienstleister Raben in den letzten Jahren den Aufbau eines unabhängigen Stückgutnetzwerkes konsequent umgesetzt. In Mannheim sprach Sonja Andres mit Thomas Nolepa, dem Geschäftsleiter Kontraktlogistik Deutschland bei Raben sowie mit dem Marketing Manager Dirk Fellhauer auch über Konsequenzen einer Rückverlagerung von Produktion nach Europa.

CHEManager: Herr Nolepa, welche langfristigen Strategien verfolgt Raben in Bezug auf die Geschäftsfelder Chemie und Pharma?

Thomas Nolepa: Chemie- und Pharma­unternehmen dominieren die Region Mannheim. Die Branchen Chemie und Pharma lassen sich jedoch auch im Zusammenhang mit Verbrauchs- und Alltagsgütern sehen, wie Aerosole für Haarsprays, Möbelpolituren oder Desinfektionsmittel. Wir sehen uns darum nicht nur als Dienstleister der Hersteller chemischer Rohstoffe, obwohl dies auch weiterhin ein wichtiger Bestandteil unserer Dienstleistungen im Lager- wie Transportbereich bleiben wird, denn hier sind wir groß geworden. Doch aufgrund unseres europaweiten Know-hows – auch auf der letzten Meile – wird unser Angebot künftig zusätzlich auf Fertigprodukte gerichtet sein.

Unsere weitere Entwicklung geht nach der Eröffnung eines eigenen Netzwerks in Deutschland 2018 nun stark in die Kontraktlogistik und hier vor allem in neue Standorte. Wobei diese immer auch die nötigen Voraussetzungen mit sich bringen müssen, wie zum Beispiel stets eine Ausstattung für die höchste Wassergefährdungsklasse und Brandschutzvorkehrungen nach neuestem Stand der Technik.

Stellen Sie eine erhöhte Nachfrage nach Leistungen im Gefahrstoffbereich fest? Worin liegen nach Ihrer Einschätzung die Ursachen hierfür?

T. Nolepa: Tatsächlich ist die Nachfrage erheblich angestiegen. In den letzten Monaten ist eine starke Rohstoffverknappung zu verspüren. Nach unserem Empfinden wurde alles, was zu kaufen war, gekauft und wird zwischengelagert, damit die Produktionen ohne Stopp durchlaufen können. Zudem steigt der Anteil chemiebasierter Produkte in der Baubranche, die bei uns nun vermehrt anfragt.

Die generelle Entwicklung geht in die Regionalität. Nach Jahren, in denen auf Globalisierung, auf Fernost gesetzt wurde, kommt meines Erachtens ein Umbruch. Wir werden eine starke Verknappung der Transportkapazitäten haben, die sich auch auf den Lagerbereich auswirken wird. Die Transportkosten liegen noch immer 20 % über dem Marktniveau des letzten Jahres. Das wird sich so schnell nicht ändern, da es zwischenzeitlich an Transportunternehmen fehlt, denn viele Transportunternehmen vor allem in Osteuropa haben den vergangenen Sommer nicht überlebt.

In den Distributionsanfragen großer Hersteller ist zu spüren, dass zu einem Zweitstandort tendiert wird, um die letzte Meile sicherzustellen. Viele Hersteller werden, meiner Meinung nach, wieder Standorte in Osteuropa anstreben, wo beispielsweise die Personalkosten noch nie­driger sind.

Herr Fellhauer, die Möglichkeiten digitaler Aufrüstung zum transparenteren Handling logistischer Prozesse sind in den letzten Jahren immens gestiegen. Was bietet Raben hier bereits, was ist geplant?

Dirk Fellhauer: Mit den Möglichkeiten sind die Anforderungen immens gestiegen. Hierfür gibt es mehrere Gründe: Die Transparenz ist im schnelllebigen Logistikmarkt sehr wichtig. Die Kunden wollen wissen, was mit ihrer Ware geschieht und zwar ab dann, wenn ein Produktionsstandort verlassen wird.

Vor circa zwei Jahren haben wir ETA – estimated time of arrival – eingeführt. Hierdurch erhalten unsere Kunden exakte Zeitfenster, wann die Ware bei ihnen eintreffen wird. Bei umfangreicheren Warensendungen ist dies sehr hilfreich im Wareneingang des Kunden, um entsprechende Kapazitäten für die Entladung bereitzustellen. Hier kommen die Vorteile einer höheren Transparenz und besserer Planung zusammen.

Als Ersatz für das Telex oder Fax von ehemals wurde die Plattform „MyRaben“ ins Leben gerufen. Hier haben wir erst kürzlich über eine KI im System die Möglichkeit geschaffen, zum Beispiel Preisanfragen zu Transportkosten auf einer bestimmten Strecke zu platzieren, was den manuellen und zeitlichen Aufwand stark verkürzt. Dies gilt auch für Gefahrgut, wobei hier lediglich die Gefahrgutklasse angegeben werden muss und diese dann in die Berechnung eingeht. Das Portal bildet die Kundenprozesse vollständig ab – Sendungen, Sendungstrack­ing, Rechnungen, usw. Gerade das Sendungstracking ist für wertvolle Pharmaware oder auch für Gefahrgut wichtig.

 

„Die junge Generation verlangt immer stärker nach Regionalität.“

 

Sind künftig mehr Investitionen in technische Ausrüstung nötig?

D. Fellhauer: In unserem Fall ja. Ich komme hier nochmals auf die Transparenz zu sprechen. Durch die steigenden Mengen, sind Anforderungen an Lkw und Personal sowie technische Ausrüstung gestiegen. Hierzu gehören im technischen oder IT-Bereich beispielsweise Scanner für die Fahrer, aber auch Erweiterungen oder Verbesserungen im Bereich unseres Portals „myRaben“.

Um CO2 einzusparen, versuchen wir, den Laderaum bestmöglich auszunutzen. Wir haben LNG-/CNG-Lkw im Einsatz und denken hier auch schon über weitere Alternativantriebe nach. Transportlogistiker haben viel Potenzial, etwas in Richtung CO2-Einsparung zu tun, so zum Beispiel in der besseren Nutzung des Laderaums durch ein zweites Deck unter Berücksichtigung von Sicherheitsmaßnahmen. Hier werden also mit Sicherheit Investitionen getätigt.

Auch im Immobilienbereich werden unsere Lager technisch so ausgerüstet, dass sie für die Chemie­industrie einsatzfähig sind. Dabei legen wir Wert auf Nachhaltigkeit sowohl in der Erstellung als auch im Betrieb, zum Beispiel durch die Nutzung von Erdwärme, durch Solarpaneele, und insgesamt auf Zukunftsfähigkeit.

Welche künftigen Entwicklungen sehen Sie in Europa in Bezug auf internationale Lieferketten? Wird eine Rückverlagerung von Produktionen grundlegender Pharmasubstanzen und Chemikalien in den europäischen Raum stattfinden?

T. Nolepa: Nach unseren Erfahrungen haben Unternehmen vor allem im Bereich Chemie neue Produkte aufgelegt, sind aufgrund steigender Nachfrage nach Desinfektionsmitteln teilweise in Dreischichtigkeit gegangen. Wir stellen fest, dass Unternehmen, die bislang Con­tainereingang zu 100 % aus Fernost hatten, auf Lkw umstellen. Das heißt, sie suchen nach neuen Einkaufsquellen auch innerhalb Europas, ganz offensichtlich, um das Beschaffungsrisiko zu minimieren. Diese Verschiebungen sind für uns interessant, um sie mittelfristig in eigene Überlegungen einfließen zu lassen.

Meines Erachtens wird an bestehenden oder auch neuen Standorten wieder Produktion stattfinden. Vielleicht nicht unbedingt in Deutschland oder Westeuropa, weil die Flächenverfügbarkeit problematisch ist, aber in zwischenzeitlich aufgegeben Regionen, wird sich wieder Produktion ansiedeln.

D. Fellhauer: Das hat viel mit Abhängigkeit zu tun. Man hat sich vielfach nur aus Kostengründen zu sehr auf Partner in Fernost verlassen und dann kam von dort nichts mehr. Das hat die Bereitschaft zu einer Rückbesinnung stark erhöht. In den letzten zwei Jahren wurde gelernt, dass diese Kosten, die man vielleicht an der einen Stelle einspart, fatal sein können, wenn man plötzlich keine Ware mehr erhält.

T. Nolepa: Bosch hat zum Beispiel in Dresden in einer Fabrik die Chip-Fabrikation wieder aufgenommen. Es ist also machbar, wir haben Ressourcen, die wieder aktiviert werden. Eines darf man auch nicht vergessen – das ist meine persönliche Wahrnehmung – die junge Generation verlangt immer stärker nach Regionalität. Es gilt offensichtlich nicht mehr: Egal wo es herkommt, Hauptsache es ist günstig. Es wird immer wichtiger, was tatsächlich an Rohstoffen in einer Ware steckt bzw. wo diese herkommen. Diese Entwicklung einer stärkeren Konzentration auf Europa, wird meines Erachtens die nächsten fünf bis zehn Jahre anhalten.

 

„Transparenz ist im schnelllebigen Logistikmarkt sehr wichtig.“

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