Social Media in der Pharmaindustrie
Nutzen Pharmaunternehmen die Möglichkeiten von Facebook, Twitter usw. optimal aus?
Groß, vielgestaltig und mächtig - dies sind nur ein paar Adjektive für die neuen sozialen Netzwerke, die unserer Kommunikation verändert haben.
Fakt ist, dass sich vier von fünf Internetnutzern aktiv in sozialen Netzwerken, den sogenannten Social Media, engagieren. Aber auch Unternehmen entdecken mehr und mehr, welches enorme Potenzial diese Netzwerke für die Kommunikation mit ihren Kunden bergen. Speziell für die pharmazeutische Industrie bieten sie sich als Brücke zu den Endanwendern an.
Etwa 74 % der pharmazeutischen Unternehmen setzen inzwischen auf Social Media. Der Anteil in dieser Branche ist überraschenderweise sogar deutlich höher als z.B. bei den Finanzdienstleistern und im Einzelhandel.
Viele pharmazeutische Unternehmen posten regelmäßig auf Twitter und Facebook. Einige gehen sogar noch weiter und verwenden Social Media, um das Bewusstsein für Gesundheitsfragen zu schärfen oder über Corporate Social Responsibility-Projekte (CSR) zu berichten. Manche nutzen die neuen Möglichkeiten auch, um direkt mit den Endkunden, also den Patienten, in Kontakt zu treten und ihnen Echtzeitdienstleistungen anzubieten.
Die Chancen
Vor allem bei übergreifenden Image-Strategien auf Basis von umfangreichen Datenanalysen bergen Social Media einzigartige Chancen. Die Analyse der Kundenkommentare in sozialen Netzwerken ist eine willkommene Möglichkeit, das Image einer bereits etablierten Marke zu erfassen. Zudem liefern sie Informationen über die Wünsche der Patienten und die Behandlungsgewohnheiten der Ärzte. Dieses Wissen kann helfen, datengetriebene Geschäftsmodelle zu ergänzen und den Grundstein für ein agileres, kundenorientierteres Konzept zu legen. Außerdem gibt die eigene Social Media-Präsenz Organisationen die Gelegenheit, ihre Spitzenstellung zu demonstrieren und rufschädigende Kritik abzumildern, indem man hier für Produktsicherheit und Transparenz eintritt.
Das Problem
Dennoch zögern viele Unternehmen noch damit, auf Social Media zu setzen. Das erklärt sich daraus, dass die pharmazeutische Industrie zu den am stärksten reglementierten Branchen gehört. Strikte Compliance-Anforderungen und die Angst, Aufsichtsbehörden durch Social Media-Kampagnen gegen sich aufzubringen, halten die Unternehmen davon ab, auf den Zug aufzuspringen. In den USA müssen pharmazeutische Unternehmen z.B. die Richtlinien der Division of Drug Marketing, Advertising, and Communications (DDMAC) erfüllen. Diese Abteilung der Food and Drug Administration (FDA) soll sicherstellen, dass Informationen über verschreibungspflichtige Medikamente wahrheitsgetreu an die Öffentlichkeit gebracht werden. Während die Richtlinien für Printmedien sowie Rundfunk und Fernsehen eindeutig formuliert sind, bestehen Lücken, was die Social Media-Kanäle und deren wachsende Bedeutung für die Patientenkommunikation betrifft.
Abgesehen davon läuft die Social Media-Kommunikation auch den Berichtspflichten zuwider. Hersteller, Verpacker und Distributoren sind gefordert, den Aufsichtsbehörden alle bekannten Berichte über Nebenwirkungen von Medikamenten mitzuteilen. Angesichts der allgemeinen Verfügbarkeit sozialer Netzwerke besteht hier die Gefahr, dass Patienten ungenaue und nicht verifizierte Daten an die Öffentlichkeit bringen, die sich schwer überprüfen lassen.
Während die Aufsichtsbehörden noch an den klaren Richtlinien arbeiten, versuchen viele Unternehmen Social Media bereits innerhalb der existierenden Regelwerke zu nutzen. Wichtig ist es dabei jedoch, mögliche Risiken abzumildern. Dabei helfen folgende Maßnahmen:
- Klare Richtlinien für das Engagement in Social Media ausarbeiten.
- Sicherstellen, dass die aktuellen gesetzlichen Beschränkungen verstanden wurden.
- Im Dialog mit der Rechtsabteilung bleiben und Nachrichten bzgl. etwaiger Gesetzesänderungen verfolgen.
- Aufsichtsbehörden darin bestärken, Fragen im Zusammenhang mit Social Media unter Mitwirkung der Industrie zu untersuchen und zu beantworten.
Social Media - die Büchse der Pandora?
Eines der Argumente, das häufig gegen die Nutzung sozialer Netzwerke in Unternehmen ins Feld geführt wird, bezieht sich auf die fehlende Möglichkeit, unkorrekte oder unangemessene Kommentare zu moderieren. Markenauftritte in Social Media sind anfällig für negative Kommentare von enttäuschten Kunden oder auch von Aktivisten oder Gruppen mit bestimmten Interessen. Angesichts der mangelenden Kontrolle über irreführende Informationen in der Öffentlichkeit, hegen viele Unternehmen Vorbehalte. So mussten im August 2011 viele pharmazeutische Unternehmen ihre Facebook-Seiten abschalten, nachdem Facebook ihnen die Möglichkeit entzogen hatte, öffentliche Kommentare zu moderieren. Dies bezog sich vor allem auf Seiten zu ganz bestimmten Arzneimitteln.
Ein Risiko liegt auch in der Vollständigkeit der Daten, die in bestimmten therapeutischen Bereichen erfasst werden. Das Engagement der Social Media-Nutzer kann nämlich abhängig von Art und Stadium ihrer Erkrankung stark variieren. Das Risiko nicht beweiskräftiger Analysen sollte von pharmazeutischen Unternehmen unbedingt berücksichtigt werden, wenn sie Daten über diese Kanäle erfassen.
Wie man es richtig macht
Ungeachtet aller Restriktionen gibt es einige pharmazeutische Unternehmen, die sozialen Netzwerke wirkungsvoll nutzen. Pfizer z.B. genießt für sein Engagement auf Facebook und Twitter den besten Ruf. Das Unternehmen hat auf Twitter die meisten Follower und ist auf Facebook das Pharmaunternehmen mit der drittgrößten Anzahl an ‚Gefällt mir‘-Klicks. Und Johnson & Johnson schuf sich eine aktive soziale Präsenz mithilfe eines Blogs, der einen Mix aus Mitarbeiterbeiträgen, Wellness-Informationen und Firmen-Inhalten enthält, ergänzt durch YouTube- und Facebook-Seiten über CSR-Projekte des Unternehmens. Ein weiteres Beispiel ist der Twitter-Account des deutschen Arzneimittelherstellers Boehringer Ingelheim, der nicht nur über rezeptpflichtige Medikamente berichtet, sondern auch prominente Twitterer wie Lance Armstrong und Stephen Fry, Blogs und YouTube-Videointerviews zu bieten hat. Der Twitter-Account von Boehringer hat mehr als 10.000 Follower.
Den meisten Unternehmen ist klar, dass Social Media wichtig sind. Die Herausforderung aber liegt darin, diese Plattformen sinnvoll einzusetzen und aktuelle Erfahrungen in messbare Daten und Ergebnisse zu verwandeln. Die Nutzung von Twitter und Facebook für die Kundenkommunikation, den Markenaufbau und die Imagepflege kann nur der Anfang sein. Nur wenige Unternehmen haben ein lückenloses Konzept dafür, wie sie mit Hilfe von sozialen Netzwerken mit Konsumenten in Dialog treten, das Renommee ihrer Produkte, Dienstleistungen und Marken verbessern und letztendlich ihren Absatz und ihre Profitabilität steigern können. Im nächsten Schritt sind deshalb Aktionen und Investitionen in folgenden Bereichen erforderlich:
- Rekrutierung und Bindung fähiger Mitarbeiter: Potenzielle Mitarbeiter richten ihre Bewerbungen unter Umständen bevorzugt an Unternehmen, die auf kreative und innovative Weise von Social Media Gebrauch machen.
- Crowdsourcing: Ein Beispiel hierfür ist die Kooperation von Boehringer Ingelheim mit Kaggle. Diese Plattform löst auf dem Weg spielerischer Wettbewerbe komplexe wissenschaftliche Probleme.
- Branchenübergreifende Kooperation: Tools in der Art von Cognizant 2.0 ermöglichen Mitarbeitern die Echtzeit-Interaktion, was positive Auswirkungen auf die Effizienz und Produktivität hat.
- Schaffung von Online-Communities: Kunden können darin miteinander interagieren, um ihre Erfahrungen mit Arzneimittelmarken auszutauschen. Ebenso besteht die Möglichkeit zum Dialog mit dem Hersteller - in Echtzeit und ohne aufwändige E-Mails oder Kundendienstanfragen. Im Gegenzug können Organisationen besser verstehen, welche Vorlieben ihre Kunden haben und wer diese Vorlieben im Internet beeinflusst.
Werkzeuge mit Potential
Pharmazeutische Unternehmen haben bereits die nötige Erfahrung bezüglich Datenerfassung und -analyse und wie man daraus geschäftlichen Nutzen generiert. Neue flexible Prozesse wie das adaptive Design ergeben Grundstrukturen, die sich auf andere geschäftliche Bereiche übertragen lassen und die Voraussetzungen für kosteneffizientere, entscheidungsorientiertere Verfahren schaffen.
Ebenso wie andere neue Technologien müssen auch Social Media-Tools auf geordnete Weise in die Praxis integriert werden. Nur durch eine sorgfältige Einführung und unter Einhaltung sämtlicher relevanter Regeln und Vorgaben lässt sich ihr Innovationspotenzial richtig freisetzen. Die Mitarbeiter des neuen Jahrtausends verkörpern eine neue Generation, für die der Umgang mit sozialen Netzwerken etwas Alltägliches ist. Eine Organisation, die dieser Generation des digitalen Zeitalters die passenden Werkzeuge in die Hand gibt, kann ihre allgemeine Leistungsfähigkeit wirksam verbessern.