Märkte & Unternehmen

Schweiz und EU profitieren von Partnerschaft

Bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU sind ein Gewinn für beide Seiten

10.07.2024 - Für die kleine, exportabhängige Schweizer Volkswirtschaft sind die geregelten Beziehungen zur EU sowie Rechts- und Planungssicherheit zentral.

Die bilateralen Abkommen zwischen der EU und dem Nicht-EU-Mitglied Schweiz feiern ihr 25-jähriges Bestehen – eine Erfolgspartnerschaft für die Chemie- und Pharmaindustrie. Gespannt wird das Verhandlungsergebnis der „Bilateralen III“ erwartet. Mit Interesse wird auch die EU-Nachhaltigkeitsagenda beobachtet – die Schweizer Industrie setzt auf Eigenverantwortung, um Nachhaltigkeit für heutige wie künftige Generationen voranzutreiben.

Die deutsche Chemiebranche kämpft aufgrund hoher Energiepreise und Regulierungsdichte mit einer schleppenden Konjunktur und strukturellen Problemen und darf noch auf keine umfassende Trendwende hoffen. Derweil beobachtet der Schweizer Wirtschaftsverband Scienceindustries die Situation für die Schweizer Chemie- und Pharmaindustrie – noch – relativ entspannt: Auch im ersten Trimester 2024 war sie mit einem Anteil von über 50 % an den Schweizer Gesamt­exporten das Rückgrat der Schweizer Wirtschaft. Die Ausfuhren stiegen im Vergleich zur Vorjahresperiode leicht an, auf 48,4 Mrd. CHF (+3,2 % zum Vorjahr). Über die Hälfte dieser Ausfuhren gelangte in die EU, während über 75 % der Importe in die Schweiz aus der EU stammten. Im Vorjahresvergleich legten die Exporte in die EU um +11 % zu.

 

„Die Entwicklung in Deutschland geht an der Schweiz nicht spurlos vorbei:“



Dennoch geht die Entwicklung in Deutschland an der Schweiz nicht spurlos vorbei: Für die Schweizer Chemie- und Pharmaunternehmen sind die Länder der Europäischen Union nicht nur wichtigster Exportmarkt, sondern auch Beschaffungsmarkt – sie sind wichtigste Zulieferer von Rohstoffen, Halbfabrikaten und Fertigprodukten. Mit den einhergehenden kurzen Lieferwegen ist die EU für die Versorgungssicherheit der Schweiz ein zentraler Player. Umso mehr sind geregelte Beziehungen zur EU sowie Rechts- und Planungssicherheit zentral für die kleine, exportabhängige Schweizer Volkswirtschaft.

Bilaterale Abkommen

Heute sind die Beziehungen zwischen der Schweiz und den Unionsländern durch 120 bilaterale Verträge – den Bilateralen I und II – geregelt. Die Bilateralen I umfassen fünf Marktöffnungsabkommen, wodurch der ungehinderte Marktzugang überhaupt erst möglich ist. Für die forschungsintensiven, exportorientierten Schweizer Unternehmen sind diese zentral. Die Bilateralen II berücksichtigen weitere wirtschaftliche Interessen und regeln die Zusammenarbeit in Bereichen wie innere Sicherheit, Asyl, Umwelt und Kultur.

Sowohl die Schweiz wie auch die EU profitieren von den bilateralen Abkommen insbesondere durch die Abschaffung von Zöllen und anderen Handelshemmnissen, weshalb sich Scienceindustries stark für deren Erhalt einsetzt. Am 21. Juni 2024 konnte das 25-jährige Bestehen der Bilateralen I gefeiert werden – im September steht das 20-jährige Jubiläum der Bilateralen II an. Akteure aus Politik, Wirtschaft, Bildung und Kultur begingen jüngst die Feierlichkeiten für diesen wichtigen Meilenstein der Vertragspartnerschaft.

Bilaterale-III-Verhandlungen mit Spannung erwartet

Das Fundament der wichtigen Partnerschaft mit den Bilateralen ist mittel- bis langfristig jedoch infrage gestellt: Einerseits im Inland durch Angriffe von Parteien von links außen und rechts außen, andererseits weil diese laufend aktualisiert werden müssen. Es droht eine Erosion der relevanten Dossiers. Betroffen sind insbesondere die für die forschungsbasierte chemisch-pharma­zeutische Industrie relevanten Domänen wie Gesundheit, Energie oder Forschung, insbesondere auch mit dem Wegfall der Vollassoziierung von Horizon Europe.

Damit ein möglichst barrierefreier Marktzugang für Chemie- und Pharmaunternehmen auch künftig gesichert ist und nicht neue Handelshemmnisse entstehen, sieht die Schweizer Industrie großen Handlungsbedarf. Nachdem die Schweizer Regierung 2021 nach jahrelangen Verhandlungen über ein Rahmenabkommen mit der EU einseitig deren Abbruch beschloss, wurde im vergangenen März ein erneuerter Anlauf gemacht: Die aktuell laufenden Verhandlungen stellen für die Branchen Chemie, Pharma und Life Sciences einen entscheidenden Schritt dar.

Administrativkosten in dreistelliger Millionenhöhe

Mit Blick auf die Verhandlungen über die Bilateralen III ist für Science­industries zentral, dass die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen (Mutual Recogni­tion Agreement, MRA) erhalten bleibt. Dies erleichtert den Marktzugang und verhindert administrativen Leerlauf und Mehrkosten von mehreren hundert Millionen Schweizer Franken. Auch resultiert für EU-Staaten ein Gewinn durch MRA bspw. bei Zulassungsverfahren von Bioziden, bei denen die Schweizer Behörde als Evaluation Member State Bewertungsaufträge für Dossiers entgegennimmt. Seit dem Brexit hat sich deren Anzahl noch weiter erhöht.

Ein weiterer zentraler Punkt ist die Personenfreizügigkeit: Als forschungsintensive Industrien sind wir auf hochqualifizierte Fachkräfte angewiesen – und diese finden sich in der Schweiz, insbesondere im MINT-Bereich, schlichtweg nicht. Zugleich profitieren Bürger aus EU-Ländern vom freien Personenverkehr und der Niederlassungsfreiheit. Das Personenfreizügigkeitsabkommen ist deshalb im Interesse beider Partien fortzuführen.
 


Offene Märkte als wichtiger Erfolgsfaktor

In Zeiten steigender geopolitischer Spannungen und industriepolitischer Maßnahmen der USA und China sowie der zunehmenden Regulierungsdichte wird nicht nur die deutsche, sondern auch die Schweizer Exportwirtschaft unter Druck gesetzt. Für eine kleine, offene Volkswirtschaft wie die Schweiz wird es zunehmend schwieriger, sich auf den globalen Märkten zu behaupten. Die chemisch-pharmazeutische Industrie der Schweiz fokussiert deshalb auf einen offenen, regelbasierten globalen Marktzugang.

Im vergangenen Jahr wurde einiges erreicht, u. a. das Inkrafttreten des Abkommens mit den USA im Bereich der guten Herstellungspraxis für Arzneimittel (Good Manufacturing Practices, GMP), der Start der Verhandlungen zur Modernisierung des Freihandels­abkommens mit dem Vereinigten Königreich sowie der erfolgreiche Abschluss des Freihandelsabkommens mit Indien. Von Bedeutung sind auch die anhaltenden Verhandlungen mit den Mercosur-Staaten.

Innovation als Schlüssel zur Nachhaltigkeit

Dem Schutz des geistigen Eigentums als Basis der Innovationskraft unserer Industrien ist hohe Priorität einzuräumen – und durch internationale und allgemeingültige Standards sind gleich lange Spieße zu schaffen. Diese stärken die Wettbewerbsfähigkeit und die Innovationskraft der Industrien Chemie, Pharma und Life Sciences, um mit ihrer Forschung, innovativen Produkten und Dienstleistungen tagtäglich einen Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung leisten zu können.

Mit einer jüngst verabschiedeten Nachhaltigkeitsstrategie haben sich die Mitglieder von Scienceindustries zum Engagement für Umwelt und Gesellschaft bekannt. Dieses orientiert sich u. a. an den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen. Damit die Mitglieder ihr Potenzial entfalten können, sind sie auf entsprechende Rahmenbedingungen angewiesen: Technologieoffenheit, Versorgungssicherheit, Regulie­rungsdichte, Chemikaliengesetzgebung, Bildung und Innovation sowie Digitalisierung stehen im Fokus.

European Green Deal mit Herausforderungen

Auch die aktuellen Entwicklungen in der EU in Sachen Nachhaltigkeit mit der Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD), der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), dem Lieferkettengesetz, dem europäischen CO2-Grenz­ausgleichssystem (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM) sowie dem Entwaldungsgesetz werden in der Schweiz mit großem Interesse verfolgt. Nachhaltiges Wirtschaften ist für unsere Industrie schon lange eine Selbstverständlichkeit – in der Schweiz wird seit den 1990er Jahren die internationale Initiative Responsible Care umgesetzt mit dem Ziel kontinuierlicher Verbesserungen in Umweltschutz, Gesundheit und Sicherheit.

 

 

„Nachhaltiges Wirtschaften ist für unsere Industrie schon lange eine Selbstverständlichkeit.“

 


Die chemisch-pharmazeutische Industrie sieht sich auch hinsichtlich der künftigen Chemikalienregulierung mit großen Herausforderungen konfrontiert. Haupttreiber sind die aktuellen Bestrebungen der EU im Rahmen des European Green Deal. Das Totalverbot von allen Per- und Polyfluoralkylsubstanzen (PFAS) sowie Ausfuhrverbote werden von Scienceindustries mit großer Sorge beobachtet – die Auswirkungen für Wirtschaft und Gesellschaft wären gravierend.
Gerade im Heilmittelbereich und in der Medizinaltechnik retten PFAS Menschenleben: Sehr viele Medikamente für Mensch und Tier enthalten

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ZUR PERSON
Stephan Mumenthaler ist seit Mai 2018 Direktor bei Scienceindustries, dem Schweizer Wirtschaftsverband Chemie Pharma Life Sciences, und für die operative, finanzielle und personelle Führung der Geschäftsstelle des Verbands verantwortlich. Mumenthaler promovierte im Bereich Außenhandel an der Universität Basel. Vor seinem Eintritt bei Science­industries arbeitete er in verschiedenen Positionen in Verwaltung, Beratung und Industrie, sowohl in der Schweiz wie im Ausland. Er war u .a. zehn Jahre lang im Business and Industry Advisory Committee der OECD und knapp acht Jahre als Leiter Economic and Swiss Public Affairs bei Novartis tätig.

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