Samson – Viel mehr als nur Heavy Metal
Digitalisierung in der Prozessindustrie, Ventilintelligenz, Start-ups und der Fertigungsstandort Deutschland
Überall, wo Öle, Gase, Dämpfe, chemischen Substanzen im Fluss sind, sind Stellventile im Einsatz. Und so definiert auch die Samson Group mit Hauptsitz in Frankfurt ihren Markt, die sich heute vor allem auch auf die Digitalisierung der Prozessindustrie spezialisiert. CHEManager sprach mit Andreas Widl, CEO von Samson, über Trends in der Prozessautomatisierung, Firmenstrategien und den Produktionsstandort Deutschland. Das Gespräch führte Volker Oestreich.
CHEManager: Herr Widl, können Sie zum Einstieg Samson in drei Sätzen vorstellen?
Andreas Widl: Stellventile waren lange unser vorrangiges Kerngeschäft – heute stellen wir an 17 Produktionsstandorten in neun Ländern Ventile, Antriebe, Anbaugeräte, Signalumformer, Regler und Automationssysteme, Sensoren und Thermostate sowie digitale Lösungen her. Im Mittelpunkt stehen dabei die Sicherheit und Zuverlässigkeit von industriellen Prozessanlagen sowie die Zukunftsthemen Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Energiewende. Innerhalb unseres Unternehmens forcieren wir technische, betriebswirtschaftliche und organisatorische Innovationen und kultivieren eine personelle, organisatorische und technische Wandlungsbereitschaft, um Märkte heute und in Zukunft dauerhaft erfolgreich mitgestalten zu können.
Da greife ich gerne als erstes das Thema Digitalisierung bis in die Feldebene der Prozessfertigung auf: Wie beurteilen Sie das Potenzial von Ethernet APL, dem Advanced Physical Layer, für die Prozessindustrie?
A. Widl: Die halbe Welt ist durchgehend vernetzt, nur die Feldebene der Prozessindustrie scheint weitgehend resistent gegen diesen Trend zu sein. Ethernet APL hat jetzt das Potenzial, die überfällige Digitalisierung der Feldebene einzuläuten. Die Technologie ermöglicht es, mit überschaubarem Aufwand und auf Grundlage der vertrauten Zweidrahtleitung die durchgängige Kommunikation zwischen Feldebene und Leitsystem sowie Cloud-Anwendungen zu implementieren.
Wir haben mit Trovis 3797 den ersten Stellungsregler auf den Markt gebracht, der diese Technologie für Ventile und andere Regelarmaturen erschließt. Die Liste der damit verbundenen Vorteile ist lang – beispielsweise lässt sich die Diagnose beim Partial-Stroke-Test auf eine neue Stufe heben.
„Wir kultivieren eine personelle, organisatorische und technische Wandlungsbereitschaft.“
Mehr Intelligenz ins Feld bringen Sie ja auch mit Ihrem Smart Meter Valve Focus-1, das von Focus-On, einem gemeinsamen Joint Venture von Samson und Krohne, entwickelt wurde. Wie ist da die Akzeptanz am Markt?
A. Widl: Ja, Focus-1 ist ein vollintegriertes Multiparameter-Durchflussmess- und -regelgerät, das Sensorik mit Aktorik und Regelung kombiniert und die Anlagensteuerung ins Feld verlagert. Damit vereinfachen wir die Automatisierung, die diskrete Digitalisierung lässt sich einfacher umsetzen und auch im Brownfield nachrüsten. Wir können mit Focus-1 sehr frühzeitig erkennen, ob es Unregelmäßigkeiten oder Kavitation gibt und ob die Anlage noch im optimalen Bereich fährt. Ein besonderes Geheimnis für die Regelqualität von Focus-1 ist die ausgeklügelte Position des Ultraschallsensors, der normalerweise eine größere Einlaufstrecke für ein exaktes Messergebnis benötigt. Bereits eingesetzt wird Focus-1 zum Beispiel in Anlagen der BASF in Deutschland und den Niederlanden, bei Lanxess in Krefeld oder von Samsung in Asien.
Kommen wir zum Thema Heavy Metal: Auf der Achema 2024 haben Sie ein neues modulares Ventilkonzept vorgestellt, mit dem Sie neue Maßstäbe in Effizienz, Modularität und Nachhaltigkeit für die Prozessindustrie setzen wollen. Was genau steckt dahinter?
A. Widl: Mit SMS, dem Shared Modular System, und dem ersten Modell 251GR adressieren wir eine einzigartige Anwendungsbreite in der Prozessindustrie bei gleichzeitig massiver Reduktion von Bauteilen, Komplexität und Zeitaufwand in der eigenen Wertschöpfung. Die innovative modulare Produktplattform vereinfacht Installation, Wartung und Nutzung von Ventilen und setzt neue Standards in der Branche. Die Ventile werden für alle Flüssigkeiten, Gase und Dämpfe unter anspruchsvollen Betriebsbedingungen bis einschließlich 160 bar und 600 °C zur Verfügung stehen. Die Auswahl der Innengarnituren im letzten Montageschritt richtet sich nach der Applikation und den Prozessbedingungen. Dabei kommen modernste Fertigungsmethoden wie 3D-Druck zum Einsatz, um auch individuellen Kundenanforderungen nachzukommen. Generell bleiben die grundlegenden Komponenten des Ventils wie Gehäuse oder Oberteil unverändert, während der mögliche Einsatzbereich durch untergeordnete Komponenten gesteuert wird.
Dadurch wird der Aufwand bei Montage, Inbetriebnahme und Instandhaltung reduziert. Außerdem erleichtert die Lösung die Einhaltung komplexer Vorschriften und Zertifizierungen. Begleitend hierzu ermöglicht eine einheitliche IT-Struktur die Verwaltung von Produktions- und Arbeitsabläufen global aufgestellter Lieferanten.
„Momentan wächst das zweite Gebäude in die Höhe für unsere Schweißerei, Galvanik und Lackiererei.“
Also „HighTec“ auch bei Heavy Metal. Das baut mir die Brücke zu ML und KI, dem Machine Learning und der künstlichen Intelligenz. Wie engagiert sich Samson bei dieser Thematik?
A. Widl: Ein ganz praktisches Beispiel ist ein wegweisendes Forschungsprojekt auf Basis von ML, das eine verbesserte Nutzung erneuerbarer Energiequellen ermöglicht und einen Beitrag zur Energiewende in Deutschland leistet. Hier geht es um die Entwicklung eines selbstlernenden Algorithmus, der Netzeinspeise- und Übergabestationen, insbesondere für Solarthermieanlagen, optimieren soll. Samson koordiniert das Projekt „saM_soL“ in Zusammenarbeit mit dem Forschungsinstitut Solites aus dem Steinbeis-Verbund und unserer Energietochter KT-Elektronik. Solites entwickelt unter anderem die notwendigen Algorithmen für ML, wir bringen unsere Expertise in der Regeltechnik sowie die langjährige Erfahrung in der Entwicklung moderner Steuerungssysteme ein. Der Projektträger ist das Forschungszentrum Jülich. Dieses Pilotprojekt ist ein entscheidender Schritt in Richtung eines intelligenten Energiemanagements, das nicht nur die Effizienz steigert, sondern auch die Integration erneuerbarer Energien nahezu optimal ermöglicht.
Nach Abschluss des Projekts wird die entwickelte Lösung in unser Produkt SAM District Energy intergiert, ein digitales Portal für die Wärmeverteilung, das von vielen Stadtwerken in Deutschland für die Verwaltung, Bedienung und Optimierung ihrer Systeme genutzt wird.
Entwicklung und Einsatz moderner und flexibler Methoden werden oft durch die Zusammenarbeit etablierter Unternehmen mit Start-ups gefördert.
A. Widl: Ja, wir beteiligen uns zum Beispiel an 3D Signals, das eine geräuschbasierte KI entwickelt hat, die Abweichungen vom normalen Betrieb periodischer Signale erkennen kann, insbesondere bei rotierenden Systemen. Zuerst haben wir uns überlegt, diese Technologie zu nutzen, um die Geräusche bei dem Durchfluss in den Ventilen zu erfassen und mit einer trainierten KI frühzeitig die Bildung von Mikrobläschen und Kavitationen zu erkennen. Das klappte auch, war aber in der Umsetzung zu teuer. Deshalb haben wir beschlossen, die Lösung für die eigenen Produktionsmaschinen im Werk zu nutzen, um deren Auslastung zu verbessern. So wurden an mehr als 100 Maschinen bei Samson Frankfurt die Geräte und Sensoren von 3D Signals installiert. Diese Sensoren erfassen Schall- und Stromverbrauchsdaten in Echtzeit und ermöglichen eine Analyse der Maschinenleistung. Dies hat zu einer Produktivitätssteigerung von 30 % geführt. Außerdem wird auch der Energieverbrauch der Maschinen überwacht und optimiert, was zu erheblichen Kosteneinsparungen und einer Reduzierung des CO2-Fußabdrucks führt. Am Ende trägt die Technologie dazu bei, jährliche Produktionskosten um mehr als 1 Mio. EUR zu senken. Wir arbeiten auch mit weiteren Start-ups sehr erfolgreich zusammen.
Samson ist Sponsor unseres ‚CHEManager Innovation Pitch‘. Warum sollten Ihrer Meinung nach Mittelstand und Start-ups mehr zusammenarbeiten und welche Tipps können Sie jungen Unternehmen für den Weg zum nachhaltigen Erfolg geben?
A. Widl: Wir können den Status quo nicht einfach verwalten, sondern müssen uns kontinuierlich weiterentwickeln. Start-ups sind furchtlos, lehren Agilität und Out-of-the-Box-Denken. Sie finden Problemlösungen, an die größere Unternehmen, inklusive einer eigenen F&E-Abteilung, noch nie gedacht haben, kurzum: Sie sind in der Lage, unseren Elefanten zum Tanzen zu bringen. Der Mittelstand auf der anderen Seite lehrt die Realität, hilft bei der Fokussierung, Priorisierung und gibt unverblümte Ratschläge, wie man ein Minimum Viable Product fertigstellt – mit echtem kommerziellem Wert. Start-ups können im Bereich Cashflow- und Net-Working-Capital-Management sowie Kundenakquise von großen Unternehmen lernen.
Verraten Sie mir Ihr Erfolgsrezept für eine erfolgreiche Zusammenarbeit?
A. Widl: Meine fünf persönlichen Säulen für den Erfolg eines Start-ups sind: das richtige Team – bestehend aus CEO, CTO, CFO und einem engagierten Verwaltungsrat; die Fähigkeit, echten kommerziellen Mehrwert für Kunden zu schaffen und damit die notwendigen Barmittel für Wachstum und Innovation zu generieren; ein einzigartiges – technisches – Alleinstellungsmerkmal; solide Umsetzungsfähigkeiten, um Ideen in die Praxis umzusetzen sowie die Fähigkeit zur Skalierbarkeit – sei es beim Produkt, im Business Case oder in der Organisation. Das Erfüllen all dieser Kriterien ist keine Garantie für Erfolg, aber fehlt auch nur eine dieser Säulen, ist das Scheitern aus meiner Erfahrung fast vorprogrammiert.
Mit Ihrem Projekt „MainChange“ zeigen Sie, dass Sie auf den Standort Deutschland setzen – aber das war wohl nicht der Grund, ein komplett neues Werk auf der anderen Main-Seite zu bauen?
A. Widl: Auf dem 13 ha großen Produktionsareal im Frankfurter Osthafen stoßen wir an operative Grenzen. Eine moderne Produktion „Made in Germany“ mit hoher Fertigungstiefe und -präzision, neuen Arbeitswelten für kommende Generationen und Umweltverträglichkeit mit dem Ziel von null Emissionen sind dort nicht realisierbar. Mit MainChange investieren wir in Offenbach, auf der anderen Seite des Mains, im dreistelligen Millionenbereich und machen uns fit für die Zukunft: Wir nutzen den Umzug, um unsere Prozesse grundlegend zu optimieren. MainChange ermöglicht uns profitables Wachstum, das die Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität unserer Arbeitsplätze über Dekaden sichern soll. Unsere drei wichtigsten Ziele sind die Umsetzung des optimalen Wertstroms in der Fertigung, ein CO2-optimiertes Bauen mit möglichst CO2-neutraler Fertigung als erster Ventilhersteller weltweit, und drittens die optimale Begegnungsstätte für unsere Mitarbeiter und Kunden. In Frankfurt am jetzigen Standort bleibt unser modernes Rolf Sandvoss Innovation Center, wo wir modernste Ventilgenerationen und regelungstechnische Lösungen für die Prozessindustrie entwickeln.
Wie ist der aktuelle Stand des Projekts?
A. Widl: Momentan wächst bereits das zweite Gebäude in die Höhe. Dort wird die so genannte Oberfläche angesiedelt sein: unsere Schweißerei, Galvanik und Lackiererei. Das erste Gebäude, auf dem bereits ein Dach installiert wurde und wo gerade der Innenausbau startet, ist die Elektronikfertigung. Dort werden dann bereits ab Oktober 2025 unsere Stellungsregler produziert.
„Die innovative modulare Produktplattform vereinfacht Installation, Wartung und Nutzung von Ventilen.“
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Zur Person
Andreas Widl ist seit dem 1. April 2015 Vorstandsvorsitzender von Samson. Bereits in den Jahren 2013 bis 2015 war der promovierte Physiker Mitglied des Vorstands und verantwortete den Bereich Vertrieb, Marketing und Strategie. Davor hatte Widl Führungspositionen bei Mannesmann und GE Capital inne. Beim Schweizer Oerlikon-Konzern verantwortete er die Restrukturierung mehrerer Geschäftsbereiche, als Asien-Präsident das regionale Wachstum der Gruppe und war über vier Jahre CEO von Leybold Vacuum.
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