Märkte & Unternehmen

Rechtliche Hürden in M&A-Transaktionen

Carve-outs in der chemischen Industrie sind komplex und erfordern gründliche Vorausplanung

22.02.2022 - Der Umbau der chemischen Industrie in Richtung CO2-Neutralität hat Fahrt aufgenommen.

ESG-Faktoren führen zu Marktveränderungen. Carve-­Out-Transaktionen spielen hierbei eine wesentliche Rolle. Im Markt sind zahlreiche Akteure vertreten: Private-Equity-Fonds ebenso wie strategische Investoren. Vor allem das Interesse an Spezialchemieunternehmen ist groß. Doch Carve-out-Transaktionen sind äußerst komplex, besonders in der Chemiebranche, denn so vielfältig die verschiedenen Carve-out-Konstellationen sein können, so vielfältig sind auch die jeweiligen rechtlichen Anforderungen und Besonderheiten.

Die M&A-Aktivität in der Chemieindustrie ist hoch. Auf die Schockstarre vom Frühjahr 2020 folgte ein Nachholeffekt, der bis heute anhält. Die Chemiewirtschaft ist in besonderem Maße den Herausforderungen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandels ausgesetzt. Die Transformation der Energieversorgung und Kriterien in den Bereichen Umwelt (Environment), Soziales (Social) und verantwortungsvolle Unternehmensführung (Governance) – sog. ESG-Faktoren – haben zu Anpassungen bestehender und der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle geführt. Aktives Portfoliomanagement und die zunehmenden Verkäufe von Non-core-Aktivitäten führen zu hohem M&A-Aufkommen – vermehrt in Form von Carve-­out-Transaktionen.

 

„Die Chemiewirtschaft spürt
gesellschaftlichen Wandel besonders stark.“



Die günstigen Marktbedingungen mit einer hohen Anzahl von Interessenten und viel Liquidität (insbesondere bei Private-Equity-Investoren) im Markt beschleunigen den Trend. Auch in der Coronakrise und der anschließenden Phase der wirtschaftlichen Erholung beschleunigte sich dieser Trend, weil Unternehmen nun verstärkt über Strategien nachdenken, um ihre Arbeits- und Produktionsprozesse neu zu strukturieren sowie ihr Portfolio nachhaltig und robust aufzustellen.

Carve-outs sind komplexe M&A-Transaktionen
Die generelle Komplexität von Carve-­out-Transaktionen ergibt sich aus der Vielzahl der Themenfelder und der Notwendigkeit, verschiedene Stakeholder einzubinden, vor allem Management, Mitarbeiter, Lieferanten und Kunden des Carve-out-Geschäfts. Hinzu kommt, dass das jeweilige Carve-out-Geschäft regelmäßig sehr „Asset-lastig“ ist, sodass eine Vielzahl von Betriebsanlagen und Grundstücke betroffen sind, die es herauszulösen oder aufzuteilen gilt.

Zudem sind die Geschäftsbereiche oftmals über einen langen Zeitraum organisch gewachsen, sodass die Abhängigkeiten zu und Verflechtungen mit anderen Geschäftsbereichen entsprechend groß sind: Genehmigungen wurden für mehrere Anlagen en bloc erteilt oder es gibt gegenseitige Liefer- und Abnahmebeziehungen, sodass ein Stand-­alone-Betrieb nicht leicht herzustellen ist. Schließlich müssen historische Umweltverbindlichkeiten und Altlasten beachtet werden. Zu diesem Zweck werden sog. Transitional Service Agreements (TSAs) vereinbart. Danach muss das Mutter­unternehmen für einen bestimmten Zeitraum noch Leistungen für das Carve-out erbringen.

Carve-out-Varianten: Vielfalt ist Standard
Bei den Carve-out-Konstellationen sieht man unterschiedliche Varianten wie den Public Carve-out, die Veräußerung an Private-Equity-Investoren oder Carve-outs als Asset Deal (bspw. die Veräußerung von Chemieparks).

1. Public Carve-out: Mit Public Carve-out ist die Veräußerung eines oder mehrerer Geschäftsbereiche gemeint, die oft im Rahmen einer Neuemission an der Börse stattfindet (IPO). Der zu verkaufende Geschäftsbereich wird zunächst ausgegliedert. Zu diesem Zeitpunkt hält das Mutterunternehmen noch die gesamten Anteile. Im nächsten Schritt wird der Börsengang des durch Ausgliederung neu entstandenen Unternehmens durchgeführt. In den Anfangsjahren nach dem IPO behält die Muttergesellschaft weiterhin eine maßgebliche Beteiligung – oftmals zum einen aus steuerlichen Gründen und zum anderen, um eine gewisse Stabilität des Carve-­out-Geschäfts zu gewährleisten (wie z.B. die Carve-outs von Lanxess und Covestro aus dem Bayer-Konzern).

 

„Die meisten Carve-out-Unternehmen
übertreffen in ihrer Performance vergleichbare Indizes.“

 


Das Ziel, durch die Gründung eines unabhängigen Unternehmens mit eigenen, vom Mutterkonzern unabhängigen Zielen den Shareholder Value zu maximieren, scheint in vielen Fällen erreichbar zu sein. Die meisten Carve-out-Unternehmen übertreffen in ihrer Performance vergleichbare Indizes. Insoweit bewertet der Kapitalmarkt die Einzelunternehmen oftmals höher als die Summe dieser Einheiten in einem Konglomerat. Neben den allgemeinen Carve-out-Themen, die eine rechtliche Verselbständigung erfordern, erhöht sich bei Public Carve-outs die Komplexität durch die kapitalmarktrechtlichen Anforderungen des IPOs (inkl. Erstellung eines entsprechenden Prospekts).

2. Veräußerung an Private-Equity-Investoren: Private-Equity-Investoren spielten in den vergangenen Jahren bei M&A-Transaktionen in der Chemieindustrie (die häufig als ­Carve-out-Transaktionen durchgeführt wurden) eine herausragende Rolle. Insbesondere Zielunternehmen aus der Spezialchemie standen dabei aufgrund der hohen Margen im Fokus. Aktives Portfoliomanagement von Strategen führte zum ­Carve-out von Geschäftsbereichen, die zwar profitabel waren, sich aber als kapitalintensive Geschäftsbereiche in einem Konzern mit einem anderen Fokus nicht mehr so gut weiterentwickeln konnten.

 

Private-Equity-Investoren spielen bei
M&A-Transaktionen in der Chemieindustrie
eine herausragende Rolle.“

 

Vorteilhaft aus Transaktionssicht ist bei der Veräußerung an Private-Equity-Käufer, dass kartellrechtliche Freigabeverfahren (merger control) häufig – wenn auch nicht immer – deutlich einfacher und schneller durchzuführen sind als bei strategischen Wettbewerbern und damit Transaktionssicherheit und -geschwindigkeit ggf. höher sind.

Auf Verkäuferseite ist zu beachten, dass Private-Equity-Gesellschaften typischerweise bestrebt sind, den erhaltenen Kaufpreis kurzfristig an ihre Investoren auszuschütten und eine spätere Haftung aus der Transaktion zu vermeiden, sodass in der Regel kaum Garantien oder Freistellungen abgegeben werden. Die Gewährleistungsversicherung (Warranty & Indemnity, kurz: W&I) kommt in diesen Unternehmensverkäufen regelmäßig zur Anwendung. Versichert sind dabei insbesondere Garantien und Freistellungen aus dem Kaufvertrag, sodass die Risiken von Garantieverletzungen/Freistellungen auf den Versicherer verlagert werden.

3. Carve-outs als Asset Deal: Lässt der verfügbare Zeitrahmen der Transaktion dies zu, kann im Vorfeld eine interne Separierung des Carve-­out-Geschäfts erfolgen. Hierfür kommt die Einzelrechtsnachfolge in Betracht (Asset Deal) oder eine Ausgliederung/Abspaltung nach dem Umwandlungsrecht (Gesamtrechtsnachfolge). Insbesondere bei einem Asset Deal ist der Bestimmtheitsgrundsatz zu beachten, welcher erfordert, dass die jeweiligen Assets eindeutig erfasst und aufgeführt werden. Auch die jeweiligen Verträge müssen übergeleitet werden, was grundsätzlich die Zustimmung des jeweiligen Vertragspartners erfordert. Insoweit erfordert der Carve-out im Rahmen eines Asset Deals eine besonders detaillierte Dokumentation.

Bei einer umwandlungsrechtlichen Spaltung können die Assets in allgemeinerer, bestimmbarer Form beschrieben werden. Auch sind Zustimmungen der Vertragspartner nicht erforderlich, da die Verträge kraft Gesetzes übergehen. Allerdings ist bei der Spaltung zu beachten, dass hier eine fünfjährige Nachhaftung für die Verbindlichkeiten des Carve-out-Geschäfts besteht (bzw. zehn Jahre, soweit es sich um Verbindlichkeiten aus betrieblicher Altersversorgung handelt). Sofern sich das Carve-out-Geschäft auf einen Standort beschränkt, überwiegen oftmals die Vorteile, den Carve-out als Asset Deal zu strukturieren, wie bspw. bei dem Carve-out eines Chemieparks.

Fazit: Sorgfältige Vorbereitung unerlässlich
Bereits vor Beginn der Covid-19-Pandemie konnte ein starker Anstieg von Carve-out-Transaktionen beobachtet werden. Im Rahmen der an die Coronakrise anschließenden wirtschaftlichen Erholung versuchen Unternehmen verstärkt, ihre Portfolios zu optimieren. Carve-outs erfordern eine gründliche Vorausplanung. Die rechtlichen und faktischen Anforderungen sind komplex. Potenzielle Investoren benötigen aussagekräftige Finanzinformationen.

Gleichzeitig existiert der herauszulösende Unternehmensbereich (noch) nicht. Die rechtliche Situation muss im Hinblick auf Genehmigungen, Mitarbeiter, Verträge, Grundstücke und Assets gut analysiert und der Carve-out entsprechend sorgfältig strukturiert werden. Zudem gilt es, die erforderlichen TSAs rechtzeitig vorzubereiten.

Autor: Carlos Robles y Zepf, Partner, Mayer Brown, Frankfurt am Main

ZUR PERSON
Carlos Robles y Zepf ist Partner im Bereich Corporate im Frankfurter Büro der internationalen Anwaltskanzlei Mayer Brown. Er verfügt über umfassende Industriekenntnisse, insbesondere in der Chemie- und Energiebranche, sowie über Erfahrung in den Bereichen M&A, Joint Ventures und gesellschaftsrechtliche Umstrukturierungen. Robles y Zepf ist seit 2021 bei Mayer Brown und war zuvor Global Co-Chair der Industrie­gruppe Chemicals bei der Kanzlei DLA Piper. Von 2013 bis 2015 arbeitete er als Senior M&A Counsel in der Rechtsabteilung des BASF-Konzerns.

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