Anlagenbau & Prozesstechnik

Nanodraht-Transistoren – Binnig and Rohrer Nanotechnology Center

20.02.2014 -

IBM und die Gemeinde Rüschlikon feiern in diesem Jahr das 50-jährige Jubiläum des Forschungszentrums in Rüschlikon, das sich durch zwei Nobelpreise und viele IT-Innovationen den Ruf einer weltweit führenden industriellen Forschungseinrichtung erworben hat. Die jüngste Erweiterung des Labors - das Binnig and Rohrer Nanotechnology Center - soll mit seinen ultramodernen Forschungsumgebungen dem Standort auch künftig einen Spitzenplatz in der IT-Forschung sichern. 

Vorbei an wogenden Maisfeldern und grasenden Pferden, mit einem prächtigen Alpenpanorama als Kulisse: Das IBM Forschungszentrum in Rüschlikon ist idyllisch und liegt an der Peripherie der Stadt Zürich. Es gehört zu den führenden europäischen Industrieforschungsinstitutionen im Bereich der Informatik, Computational Sciences, System- und Speichertechnologie, der physikalischen Grundlagenforschung sowie Mikro- und Nanotechnologie für elektronische Bauelemente.

Letzteres umfasst Mikroelektomechanische- und Nanoelectromechanischesysteme (MEMS und NEMS), Spintronik und Nanodrähte, Organischen Elektronik, Funktionale Materialien, 3D-Integration von Computerchips, optischen Datenkommunikation und Photonik, sowie neuartige Speicher- und Schaltelemente. Im Binnig and Rohrer Nanotechnology Center, das 2011 eröffnet wurde und gemeinsam mit der ETH Zürich betrieben wird, steht den Forschenden eine erstklassige Infrastruktur und spezielle Laborumgebungen zur Verfügung, um ne uartige Bauelemente auf der Nanoskala für zukünftige Computersysteme zu entwickeln.

Warum gerade in Rüschlikon? Das US-amerikanische Technologieunternehmen unterhält 12 Forschungszentren weltweit.

Das Zürcher Labor, das erste das ausserhalb der USA gegründet wurde, hat sich durch die Nähe zu führenden technischen Universitäten wie der ETH Zürich als Standort für IBM bewährt. Aber auch, weil der Raum Zürich attraktiv ist für die weltbesten Wissenschaftler und auch für einige der besten Forscher Europas, die bereits hier tätig sind. Zudem liegt die Schweiz im Herzen Europas, was den Austausch und die Zusammenarbeit mit den umliegenden europäischen Forschungseinrichtungen und Hochschulen begünstigt.

Wer arbeitet am IBM-Forschungslabor? Neben den festangestellten wissenschaftlichen Mitarbeitenden sind am IBM Forschungszentrum auch zahlreiche Studenten, Doktoranden und Postdoktoranden tätig. So auch in der Forschungsgruppe Nanoscale Electronics von Dr.Heike Riel.

Frauen in technischen Berufen bewegen die Schweiz

Heike Riel ist mit ihrem Forschungsthema Nanoscale Electronics eingebunden in das Science and Technology Department des Labors. Die Physikerin, die als Doktorandin zur IBM kam, kann bereits auf einige technisch-wissenschaftliche Leistungen zurückblicken. 2003 trug sie massgeblich zur erfolgreichen Demonstration des ersten 20-Zoll Bildschirms in Vollfarbe, basierend auf organischen Leuchtdioden angesteuert mittels einer Aktiv-Matrix von Dünnschichttransistoren aus amorphem Silizium (a-Si-TFT, AMOLED), bei - ein Meilenstein!

Die Schweizerische Vereinigung der Ingenieurinnen (SVIN) ehrte sie 2012 als Preisträgerin in der Kategorie Technische Innovationen. Im April 2013 avancierte sie zum IBM Fellow, die höchste Auszeichnung, die IBM an ihre Forschende und technischen Mitarbeiter vergibt. Sie versteht es, Innovationen basierend auf einem grundlegenden wissenschaftlichen Verständnis technisch umzusetzen. Ihr aktuelles Ziel ist die Entwicklung neuartiger Transistoren, die wesentlich energieeffizienter sind als die heutigen. Dazu verwendet sie neuartige Materialien, sogenannte halbleitende Nanodrähte.

Für die neuen Transistoren ist die Reduzierung des Energieverbrauchs ein zentrales Thema. Die Technologie in heutigen Computerprozessoren hat Strukturgrössen erreicht, bei denen Leckströme, die Energie auch im ausgeschalteten Zustand verbrauchen, nicht mehr vernachlässigbar sind. Darüber hinaus ist es schwierig geworden die Betriebsspannung der Transistoren zu reduzieren, so dass auch der aktive Energieverbrauch nicht weiter gesenkt werden kann. Daher müssen neue Technologien die Energieeffizienz der Transistoren grundlegend verbessern.

Planare Transistoren, die sogenannten MOSFETS, wurden in den letzten 40 Jahren immer kleiner. Heute jedoch stösst die Miniaturisierung an ihre Grenzen. Einer der richtungsweisenden Ansätze, die bei IBM erforscht werden, sind halbleitende Nanodrähte.

Da bei einem Nanodraht als Bauelement die Leckströme und die Betriebsspannung sehr klein gehalten werden können, hat das Element einen geringen Leistungsbedarf. Aktuell arbeiten die Wissenschaftler daran, das Bauelement mithilfe der neuen Materialien zu verbessern, indem sie ein besseres „Gate-coupling" - das heisst die Kontrolle des Stroms durch das Gate - erreichen. Zu diesem Zweck wird die Gate Elektrode komplett um einen Nanodraht herumgewickelt, um einen besseren Kontrollmechanismus auf den Stromfluss zu erreichen.

Durch das Ausnutzen eines anderen - quantenmechanischen - Effekts, des Tunneleffekts, bei dem die Ladungsträger über quantenmechanisches Tunneln innerhalb eines sehr engen Energiebands durch die Barriere in den Transistorkanal eingebracht werden, ergibt sich ein neues Schaltelement, der Tunnel-FET. Die Forscher hoffen, dass dieser Schalter einmal in Kombination mit geometrischen Innovationen - wie der Anordnung im Nanodraht als energieeffizientes Schaltelement - die Computerindustrie revolutionieren wird. Die Expertise, die die Forscher im Bereich neuer Materialien gewonnen haben, wenden sie auch auf andere Bereiche an.

Das heißt, die Nanodrähte sind zum einen Ausgangspunkt für neuartige Transistoren, aber zum anderen werden auch die Eigenschaften dieser neuen Materialien untersucht und neue Anwendungsbereiche erforscht, in denen diese Nanodrähte auch von Vorteil sein könnten. Ein Beispiel ist die Thermoelektrische Energiekonversion: dabei handelt es sich um die Umwandlung von Wärme in elektrische Energie. Das Spektrum möglicher Anwendungen dieser Technologie ist breit. Dazu gehört etwa die Autoindustrie: denn in Autos gibt es zahlreiche heiße Teile, aus deren Wärme man elektrische Energie gewinnen könnte, um damit z. B. die Klimaanlage zu betreiben.

Wenn man geeignete thermoelektrische Elemente zur Verfügung hätte, würde sich eine Wiederverwertung der Energie lohnen. Im Moment sind diese thermoelektrischen Elemente noch nicht genügend effizient und ausgereift für einen ökonomisch sinnvollen praktischen Einsatz. Um die Umwandlungseffizienz zu erhöhen, erforscht man z. B. Nanodrähte. Diese eindimensionalen Materialien könnten dabei bestimmte Vorteile haben. Der Nutzen von thermoelektrischen Elementen ist, dass sie keine beweglichen, mechanischen Teile haben. Im Prinzip ist es ja das umgekehrte Kühlschrank Prinzip, eine Energie gewinnung aufgrund der Temperaturdifferenz.

Für die verbreitete Anwendung dieser Materialien sind die Kosten noch zu hoch, weil das Verhältnis zwischen Kosteneinsparungen und Energieeffizienz nicht stimmt. Falls es jedoch gelingt, die Kosten zu senken und die Energieeffizienz zu erhöhen, dann wird es sich eben auf einmal lohnen, auf thermoelektrische Weise Energie umzuwandeln. Ein Ziel des Projektes ist es, die verwendeten Materialien darauf hin zu untersuchen, wie man die Energieeffizienz steigern kann.

Innovative Reinräume für Mikro- und Nanofabrikation

Herzstück des Binnig and Rohrer Nanotechnology Centers ist der Reinraumbereich, der sich auf einer Fläche von ca.950 m2 im Erdgeschoss des Gebäudes befindet. Das Reinraum-Areal ist in drei Teile gegliedert: neben den eigenen Sektoren verfügen die beiden Partner über einen gemeinsamen Bereich, der beiden Parteien zu Verfügung steht. Die Reinraumabteile können flexibel genutzt werden und sind so eingerichtet, dass sie den Forschenden ein grösstmögliches Spektrum an Möglichkeiten für die Herstellung von Nanostrukturen erlauben.

Der Reinraum ist nach einem Bay-Chase-Konzept aufgebaut, bei dem einzelne Raumabteile von einer Servicezone umgeben sind. Auf diese Weise erfüllen sie hohe Reinheitsstandards, mit denen die Qualität der Forschung in der Mikro- und Nanotechnologie gewährleistet wird. Der Reinraumbereich wird für die Grundlagenforschung an neuen Materialien und Bauelementen im Nanometerbereich genutzt.

Die Forscher von IBM und ETH Zürich erhoffen sich Innovationen auf verschiedenen Gebieten. Für die Forschung ist dabei eine Vielzahl an Geräten und unter Umständen auch die Weiterentwicklung von Verfahren notwendig. Dazu gehören etwa die Abscheidung dünnster Materialschichten, die Strukturierung von Oberflächen mit Hilfe von lithografischen Verfahren, ultra-hochauflösende Hochenergie-Elektronenstrahllithographie, eine Probenkammer mit Laser-Interferometertisch, Trockenätzen zur Materialabtragung, Herstellung dünner Schichten durch Sputtern oder chemisch Gasphasenabscheidung (CVD) oder die Untersuchung von Proben mit Elektronenmikroskopen.

Etwa 50 massgeschneiderte Hightech-Instrumente bieten den Forschern ideale Bedingungen bei der Entwicklung von Quantencomputern oder Sensoren aus Kohlenstoffnanoröhren, der Energieoptimierung von Transistoren, der Effizienzsteigerung von Solarzellen, und neuartigen Computerchips. Unzählige Bulk- und Spezial-Gase stehen den Mitarbeitern zur Verfügung. Die beiden Obergeschosse beinhalten Trockenlabore und Büros. Unter dem Dach befinden sich gebäudetechnische Anlagen.

Noise-free Labs

Da die Nanoforschung mit Strukturen arbeitet, die 1.000mal kleiner sind als Staubkörner, - oft bestehen sie nur aus einigen Atomlagen oder Molekülen - wird der Einfluss der Umgebung auf ein Experiment immer stärker. Wird eine Nanostruktur von einer solchen Störungsquelle getroffen, wirkt das so, wie wenn eine Fliege gegen ein Auto fliegt. Die Forschung im Nanometerbereich erfordert daher höchste Präzision und Stabilität auf der Nanometerskala, denn die Experimente und Messungen reagieren immens auf äußere Störeinflüsse.

In den neuen Noise-free-Forschungslaboren werden die empfindlichen Experimente daher gegen Vibrationen, Erschütterungen und andere Störquellen abgeschirmt, z. B. gegen elektromagnetische Felder, gegen akustischen Lärm und gegen Temperaturschwankungen. Dabei müssen konkret Störquellen, wie die Bodenvibrationen durch die Seeautobahn die in weniger als 200 m durch den Tunnel fährt oder der Hochspannungsleitungen und Handyantennen abgeschirmt werden. Spezielle bauliche Massnahmen minimieren diese äusseren Störquellen für die Nanotechnologie-Experimente.

Diese Abschirmungsmassnahmen sind äusserst anspruchsvoll im Bereich Lüftung und Temperatur. Hochentwickelte Abschirm- und Dämpfungsmassnahmen mit luftgefederten und aktiv gelagerten Betonsockeln von ca. 40 Tonnen Masse für jedes einzelne Experiment, dazu eine schwingungsentkoppelte Benutzerplattform und effektiven Schalldämmplatten, eine Zylinderlüftung mit minimalen Strömungsgeschwindigkeiten sowie lokalen Kühl- und Vorwärmelementen sorgen für eine störungsfreie Zone.

Der Benutzer steht auf einem Boden, der von dem Experiment abgekoppelt ist. Der Betonsockel, auf dem jedes Experiment gelagert ist, ist zwei Meter tief in den Boden eingelassen und schwebt gleichsam durch eine aktives Dämpfungssystem über dem Fundament. Eine laminare, nicht-verwirbelnde Klimaanlage trägt zur Temperaturstabilität von weniger als 0,1 °C und konstanter Luftfeuchtigkeit (± 5 %) bei. Interne elektromagnetische Felder werden durch Faradayelemente minimiert.

Die Labors sind dazu mit magnetischem Nickel-Eisen-Metall verkleidet. Hilfsgeräte, wie z.B. Pumpen, werden in einem separaten Geräteraum untergebracht. Eine Kühldecke und die LED-Beleuchtung tragen zur Temperaturstabilität bei. Noise-free Labore sind in dieser Komplexität und mit solch hohen Anforderungen noch nie gebaut worden. Ihre Planung bildete ein besonderes Forschungsprojekt des Planungsteams der IBM.

Die Noise-free Labs sind klar von den Reinräumen als alternative Umgebung abgegrenzt. Sie sind keine Reinräume, denn für die Charakterisierung von Nanostrukturen ist der Raum sauber genug. Ansonsten kann man - falls notwendig - ein Gehäuse um die Probe bauen. In den Noisefree Labs werden eher bildgebende Instrumente wie Elektronenmikroskope, Rastertunnelmikroskope und optische Verfahren untergebracht. Das Gebäude an sich ist sehr belüftungsintensiv. Eine zentrale Zuluft-Aufbereitung konditioniert die Aussenluft für die 950 m2 Reinraumfläche. 

Sechs Geräte wälzen pro Stunde 40.000 m3 Luft um. Diese muss angesaugt, gereinigt und auf die geeignete Temperatur und Luftfeuchte gebracht werden. Danach wird die Luft in die einzelnen Reinraumabteile geblasen. Deren HEPA-Filter übernehmen die endgültige Reinigung. Die Belüftung für die Noise-free Labs und die kontrollierte Gebäudebelüftung - man kann im Nanotech- Center kein Fenster öffnen - erfolgt über separate Belüftungssysteme.

Das Haustechnikkonzept des Nanotechnology Centers ist Minergie-konform. Mit dem Einsatz von Wärmerückgewinnung sowie einer Solaranlage auf dem Dach erfüllt das Gebäude hohe Anforderungen an die Energieeffizienz. Unter der Tiefgarage gibt es ausserdem eine Anlage mit 16.200 m tief reichenden Erdsonden. Mit diesem warmen Wasser wird sehr effizient Energie erzeugt. Gleichzeiting sind alle Geräte so verkoppelt, dass Abwärme und Kühlung recyclet werden können. Die gesamten Einsparungen durch das Minergie-Konzept betragen ca. 20 %.

Autorin
Annette v. Kieckebusch-Gück

Kontakt
Dr. Heike Riel

IBM Research, Rüschlikon
Tel.: +41 44 724 8111
emp@zurich.ibm.com