Nachhaltigkeit als Innovationstreiber
Seit 155 Jahren produziert das Familienunternehmen Brüggemann hochreine Alkohole und Spezialchemikalien am Standort Heilbronn
Nachhaltiges Handeln erfordert langfristiges Denken. Beides zählt zur DNA des Familienunternehmens Brüggemann. Seit 155 Jahren produziert das Unternehmen hochreine Alkohole aus nachwachsenden Rohstoffen und Produktionsabfällen. Auch bei der Energieversorgung setzt der Mittelständler seit 2023 auf Biomasse und Abfallstoffe aus der Region.
Spezialchemikalien, wie schwefelbasierte Reduktionsmittel, sorgen für Energieeinsparungen und umweltfreundlichere Prozesse. Und mit innovativen Recyclingadditiven unterstützt das Heilbronner Unternehmen Kunststoffrecycler aus aller Welt bei der Herstellung hochwertiger Rezyklate. Andrea Gruß sprach mit Stefan Lätsch, Geschäftsführer von Brüggemann, über die Innovations- und Wachstumsstrategie des Spezialitätenherstellers.
CHEManager: Herr Lätsch, worauf gehen die Wurzeln von Brüggemann zurück? Wie ist Ihr Geschäft heute aufgestellt?
Stefan Lätsch: Die Wurzeln des Unternehmens gehen in der Tat sehr weit zurück. Die Firma Brüggemann wurde 1868 in Heilbronn gegründet und produzierte Alkohol aus Rückständen der umliegenden Zuckerfabriken und Maische aus dem Weinbau. Alkohole für pharmazeutische, kosmetische und technische Anwendungen sind noch heute ein wichtiges Standbein unseres Geschäfts. In den 1920er Jahren kam der Bereich Industriechemikalien hinzu, mit Zinkderivaten und schwefelbasierten Reduktionsmitteln, die vor allem in Polymerdispersionen für Coatings und Lacke Anwendung finden. Seit den 1970er Jahren produzieren wir Kunststoffadditive, insbesondere für die Modifizierung von Polyamiden. Mit diesen drei Geschäftsfeldern erzielten wir im Jahr 2023 weltweit einen Umsatz von rund 200 Mio. EUR und beschäftigten 300 Mitarbeiter.
Was macht die Herstellung von Ethanol attraktiv und profitabel für ein mittelständisches Chemieunternehmen?
S. Lätsch: Wir sind spezialisiert auf Nischen.Wir liefern zum Beispiel Ethanol, das koscher ist, für die Lebensmittelindustrie oder GMP-zertifizierte Alkohole für die Arzneimittelherstellung an die Pharmaindustrie. Im Zuge unserer Nachhaltigkeitsstrategie „Going Green“ setzen wir ausschließlich GMO-freie Rohalkohole aus nachwachsenden Rohstoffen ein. Diese beziehen wir regional oder aus nahegelegenen EU-Ländern – bevorzugt über die Schiene oder per Schiff, um CO2-Emissionen zu vermeiden.
Einen weiteren Schwerpunkt setzen wir beim Recycling von Alkoholen. Es gibt sehr viele Märkte, in denen Restalkohole als Abfallströme anfallen, zum Beispiel bei der Herstellung alkoholfreien Biers. Dieses Ethanol reinigen und werten wir auf und verkaufen es wieder als hochwertiges Produkt. Beim Recycling ist der Energieeinsatz über den gesamten Produktlebenszyklus deutlich geringer. Insgesamt führt das zu 70 % weniger Treibhausgasemissionen im Vergleich zu konventionell hergestelltem Ethanol.
Aktuell arbeiten wir an einer Low-Emission-Linie für Bioethanol der zweiten Generation aus recycelten Abfall- und Reststoffen für verschiedene Anwendungen, auch um der Teller-Tank-Problematik entgegenzuwirken.
Welche Nische bedienen Sie mit Ihrem Geschäftsbereich Industriechemikalien?
S. Lätsch: Die Reduktionsmittel von Brüggemann, insbesondere die schwefelbasierten, formaldehydfreien Additive, finden Einsatz in wasserbasierten Polymerdispersionen für Coatings und Lacke. Für die Baubranche stellen wir Reduktionsmittel für die Herstellung von Fließverbesserern her. Nicht nur in Europa, sondern weltweit sehen wir auf diesen Märkten aktuell Einbrüche, können uns aber aufgrund unseres Nischen- und Nachhaltigkeitsansatzes gut behaupten. Ein Beispiel: Schwefelbasierte Reduktionsmittel werden meist am Ende eines Polymerisationsprozesses, bei der Nachpolymerisation, eingesetzt. Wir haben Reduktionsmittel entwickelt, die man auch im Hauptteil der Polymerisation vorteilhaft einsetzen kann. Hier übernimmt Brüggemann eine Vorreiterrolle. Mit unseren Additiven können die Polymerisationen bei niedrigeren Temperaturen umgesetzt werden, ohne dass sich die Produkteigenschaften verändern, was zu beträchtlichen Energieeinsparungen und Kostenvorteilen für die Hersteller von Polymerdispersionen führt.
Wo liegt der Fokus des Brüggemann-Portfolios an Kunststoffadditiven?
S. Lätsch: Bei den Kunststoffadditiven fokussieren wir uns auf technische Kunststoffe, und hier vorrangig auf Polyamide und Polyester. Unsere breite Palette reicht von elektrisch neutralen Thermostabilisatoren für Polyamide in Elektro- und Elektronikanwendungen, zum Beispiel für die E-Mobilität, über Hochleistungsstabilisatoren für mittlere bis sehr hohe Temperaturbelastungen bis hin zu Additiven zur Stabilisierung von Polyolefinrezyklaten. Auch effizienzsteigernde Fließverbesserer stehen im Fokus, die kürzere Zykluszeiten und geringe Wanddicken bei Bauteilen aus Polyamiden und Polybutylenterephthalat ermöglichen. Diese Additive erleichtern damit unter anderem den Ersatz von Metall- durch Kunststoffbauteile zum Beispiel in der Automobilindustrie. Dadurch werden die Autos leichter und verbrauchen in der Folge weniger Kraftstoff.
Welche Lösungen bieten Sie für das Kunststoffrecycling?
S. Lätsch: Das werkstoffliche Recycling von Polyamiden unterstützen wir bereits seit vielen Jahren mit maßgeschneiderten Additivpaketen. Seit Kurzem bieten wir auch Produkte für das Recycling von Polyolefinen an. Eine speziell entwickelte Technologie repariert Fehlstellen in den Molekülketten, die durch die Verarbeitung und den Gebrauch der Polyolefine entstehen und die Qualität beeinträchtigen. So lassen sich Rezyklate mit verbesserten mechanischen Eigenschaften ohne Beimischung von Neuware herstellen. Unsere Produkte ermöglichen Rezyklate hoher Qualität, die mit herkömmlicher Re-Stabilisierung selbst bei hohen Dosierungen nicht erreicht werden kann.
Weiterhin beinhaltet unser Portfolio sogenannte Kompatibilisatoren, auch Verträglichkeitsmacher genannt, die ein mechanisches Recycling von Abfallströmen aus nicht miteinander mischbaren Polymeren ermöglichen. Mit ihrer Hilfe werden sowohl die Verarbeitbarkeit als auch die mechanischen Eigenschaften der hergestellten Polyolefin-Rezyklate deutlich verbessert.
Brüggemann setzt nicht nur bei der Rohstoffversorgung auf Biomasse, sondern betreibt seit 2023 auch ein Biomasseheizwerk. Wann entstand der Entschluss für diese Investition?
S. Lätsch: Im Jahr 2020 zeichnete sich ab, dass wir mit unseren explodierenden Energiekosten schlichtweg nicht mehr wettbewerbsfähig bleiben würden. Deshalb entschieden wir, in ein Biomasseheizwerk zu investieren und im Zuge unserer Nachhaltigkeitsstrategie „Going Green“ unsere Energieversorgung von fossilen auf regenerative Energieträger umzustellen. Durch die Investition von 13 Mio. EUR haben wir uns weitgehend unabhängig von den großen Energieversorgern gemacht und unsere jährlichen CO2-Emissionen für die Dampfproduktion um 80 % gesenkt.
Trotz der Krisenjahre konnte Brüggemann seinen Umsatz ausgehend vom Jubiläumsjahr 2018 um über 50 % steigern. Welche Trends trugen zum Wachstum bei?
S. Lätsch: Ja, das Unternehmen ist trotz schwieriger Marktlage gut gewachsen. Bei unseren Produkten für die Baubranche und Textilindustrie haben wir einen Nachfragerückgang von bis zu 20 % beobachtet. Dagegen konnten wir bei Kunststoffadditiven zulegen, hauptsächlich mit Anwendungen für die Automobilindustrie, den Ausbau der E-Mobilität und den Werkzeugbau. Nachhaltigkeit ist dabei ein wesentlicher Treiber für Innovation und somit für das Wachstum bei Brüggemann. Das Thema beflügelt uns genauso wie unsere Kunden. Gemeinsam mit ihnen haben wir gezielt neue Produkte für beispielsweise die Bereiche Elektromobilität und Kunststoffrecycling entwickelt. Diese Produktentwicklung betreiben wir nicht ausschließlich mit eigenen Ressourcen für Forschung, Entwicklung und Anwendungstechnik, sondern gemeinsam mit Forschungspartnern, die jedoch nur einen Teilaspekt des Projekts bearbeiten. Die Führung der Projekte erfolgt aus Heilbronn.
Zudem sind wir in den vergangenen Jahren regional noch näher an unsere Kunden in den USA und China herangerückt. So konnten wir Innovationszyklen stark beschleunigen. Diese sind im Übrigen sehr unterschiedlich: Während der Innovationszyklus der deutschen Automobilindustrie zwischen vier und fünf Jahren liegt, sind es in China 1,3 Jahre und im Bereich der Elektromobilität sogar unter einem Jahr.
Aber Schnelligkeit ist nur ein Teil unseres Erfolgsrezepts. Als Familienunternehmen denken wir langfristig. Wir können es uns leisten, ein Projekt auch mal länger laufen zu lassen, ohne dass es nach wenigen Monaten einen Ergebnisbeitrag leisten muss. Offenheit für innovative Lösungen, Ausdauer und die Fähigkeit, out of the box zu denken, das macht uns erfolgreich.
Welche Rolle spielt anorganisches Wachstum in Ihrer Strategie?
S. Lätsch: Im Jahr 2022 gelang uns durch die Übernahme von Auserpolimeri, einem Hersteller von funktionalisierten Polymeren mit Sitz in Italien, der Einstieg in die Herstellung von Pfropfpolymeren. Diese Polymerklasse bietet vielfältige Anwendungsfelder bei technischen Kunststoffen, insbesondere im Rahmen der Schlagzähmodifizierung von Polyamiden, und spielt darüber hinaus eine entscheidende Rolle bei der Aufarbeitung von Rezyklaten. Auch in Zukunft wollen wir unser Wachstum durch gezielte Investitionen und den Zukauf von Know-how steuern. So denken wir aktuell über den Aufbau einer vierten Säule für unser Spezialitätengeschäft nach, mit dem Fokus auf Antioxidantien. Darüber hinaus wollen wir regional insbesondere in China und den USA weiter expandieren, um von den Chancen dieser Märkte stärker profitieren zu können.
Inwieweit beeinflusst die aktuelle Konjunkturentwicklung Ihre Wachstumspläne?
S. Lätsch: Brüggemann hat trotz des aktuellen Marktumfelds weiter das Ziel zu wachsen. Wir konnten in den letzten Jahren über 60 Mio. EUR für strategische Investitionen und kapazitive Erweiterungen einsetzen und haben mit Blick nach vorne eine hervorragende finanzielle Ausstattung, die weitere Schritte ermöglicht. Die Eigentümerfamilie steht hinter dem Wachstumskurs des Unternehmens und hat auch mit entsprechender Erhöhung des Eigenkapitals den Wachstumskurs möglich gemacht.
2024 wird noch ein schwieriges Jahr, ähnlich wie das zurückliegende Geschäftsjahr, das unter der negativen Entwicklung der Baubranche und Textilindustrie litt. Doch unsere aktuelle Projektpipeline stimmt uns positiv. Wir sehen Licht am Ende des Tunnels und erwarten deutliche Verbesserungen bis Anfang 2025.
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