Modul für Modul weg vom Erdgas
Thermische Speicher stehen für sichere, grüne und bezahlbare Prozesswärme
Mit thermischen Batterien kann die Prozessindustrie ihre Wärmeversorgung zügig in die eigenen Hände nehmen und ihre wärmebasierten Produktionsprozesse bis zu 400 °C auch unter deutlich verringertem Einsatz von Erdgas aufrechterhalten. Das ist der ökonomisch und ökologisch sinnvollste Hebel hin zu einer nachhaltigen Energieversorgung der Industrie – mit positiven Auswirkungen auf Geschäfts- und Klimabilanz gleichermaßen.
Freiwillige Drosselungen des Erdgasbezugs, erzwungene Abschaltungen für bestimmte Industriezweige, Produktionsstopps mit teils irreparablen Schäden für Anlagen. Zwang, Verzicht und Verlust sind aktuell die vorherrschenden Motive, wenn es um die Energiekrise in der deutschen Industrie infolge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine geht. Viel seltener geht es hingegen um die Lösungen, die Unternehmen selbst in der Hand haben. Das muss sich dringend ändern.
„Grüner Wasserstoff bleibt absehbar zu kostbar, um ihn in Grundlast zu verbrennen.“
Klar ist: Das energiewirtschaftliche Zieldreieck gelangt nicht durch Abwarten wieder ins Lot – Versorgungssicherheit, Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit der industriellen Energieversorgung werden nur durch aktives Handeln in Politik und Wirtschaft erreicht. Und lösungsorientiertes Handeln braucht es vor allem dort, wo die Abhängigkeit von fossilen Energien besonders hoch ist: bei der Prozesswärme.
Die Chemieindustrie ist Deutschlands größter Prozesswärmeverbraucher. Über alle Industrien hinweg stammen 80 % des Endenergieverbrauchs für Prozesswärme noch aus fossilen Energiequellen, knapp ein Viertel der deutschen CO2-Emissionen entstehen hier. Und auch beim Energie-Output ist sprichwörtlich noch Luft nach oben: 200 TWh Abwärme verpuffen jährlich ungenutzt durch die Schornsteine der deutschen Industrie, hat der Bundesverband Energiespeicher Systeme (BVES) errechnet. Das Thema Kreislaufwirtschaft ist in der Chemiebranche das Stichwort der Stunde, denn in nahezu jedem Bereich des täglichen Lebens finden sich Produkte aus der Chemiewirtschaft. Sämtliche Produkte mit Netto-Null-Emissionen zu produzieren, ob B2C oder B2B, wird in Zukunft die Wettbewerbsfähigkeit der Chemieindustrie bestimmen. Denn: Entlang der gesamten Lieferkette steigt die Notwendigkeit, nachweisbar nachhaltig zu agieren und klimaneutrale Vorprodukte zu beschaffen.
Elektrifizierung schlägt Wasserstoff bei der klimaneutralen Prozesswärme
Im Chemiesektor gibt es wie in vielen weiteren Bereichen künftig kaum eine Alternative zur strombasierten Wärmeerzeugung. Dies hat verschiedene Gründe: Biomasse ist endlich und Geothermie nur in kleinen Teilen Europas wirtschaftlich verfügbar. Befürworter von Wasserstoffanwendungen im Wärmemarkt haben neben Wärme für Privathaushalte längst auch die Prozesswärme für sich entdeckt. Doch wenn man Wasserstoff aus Strom produziert und für Wärme wieder verbrennt, sinkt der Wirkungsgrad auf bestenfalls 50 %. Grüner Wasserstoff wird zudem vermutlich zu spät flächendeckend verfügbar sein und bleibt absehbar zu kostbar, um ihn in Grundlast zu verbrennen. Der Weg über Wasserstoff sollte daher nur in Betracht gezogen werden, wenn eine direkte Elektrifizierung nicht möglich ist. Große Wärmepumpen, wie BASF sie gerade gemeinsam mit MAN Energy Solutions erprobt, können ein Teil der Lösung sein, sind für viele Prozesse aber technisch noch ungeeignet und nehmen zu viel Platz ein, um sie passgenau in viele verschiedene Bestandsprozesse integrieren zu können.
Besonders dort, wo die Prozesswärme in Form von Dampf bereitgestellt werden muss, sind vielmehr thermische Speicher das Mittel der Wahl. Die Speicher ermöglichen den Wechsel von fossilen Brennstoffen zu erneuerbaren Energien. Dampf, der vorher noch fossil erzeugt wurde, wird durch grünen Strom ersetzt, der als Wärme in den Speicher eingespeist und als Dampf in die Prozesse abgegeben wird. In diesem Elektrifizierungsverfahren liegt der energetische Wirkungsgrad bei über 95 % – vom Hochspannungsstrom bis zum Prozessdampf, der an den Endverbraucher geliefert wird.
„Die deutsche Industrie muss Energiebezug vom Leidens- zum Lösungsthema machen.“
Flexibilisierung des Energiebezugs zahlt sich aus
Die Elektrifizierung mittels thermischer Batterien kann den Bedarf an fossilen Energien für Teilprozesse gänzlich eliminieren. Des Weiteren erlauben Speicher dem Beschaffungswesen, große Mengen regenerativer Energien günstig einzukaufen, wenn gerade viel Wind weht und die Sonne scheint, und sie so lange einzuspeichern, bis sie gebraucht werden. Das macht Wärmespeicher nicht nur zu Nachhaltigkeitsprojekten, sondern zu einem echten Business Case.
Neben der Elektrifizierung können thermische Speicher auch die bisher ungenutzten Potenziale bei der Abwärme heben. Die Rückgewinnung von Überschusswärme und ihre Speicherung für die spätere erneute Nutzung als Primärenergie in einer Art Prozesswärme-Recycling verringert ebenfalls die Abhängigkeit von fossilen Energiequellen, spart Energiekosten und Emissionen. In einer Zeit, wo Energieeffizienz eine tragende Säule der bundesweiten Energiesparkampagne ist, können beide Anwendungsfälle einen bedeutsamen Unterschied für die Energiesicherheit in der Chemieindustrie ausmachen.
Thermische Speicher sind kein Forschungsthema mehr
Die beschriebenen Funktionsweisen sind Anwendungsbeispiele, die bereits heute von EnergyNest, Hersteller von thermischen Batterien mit Standorten in Hamburg, Oslo und Sevilla, umgesetzt werden. Beim weltgrößten Düngemittelhersteller Yara im norwegischen Porsgrunn zeigt EnergyNest, wie die Technologie in der Praxis funktioniert. Nach Bestehen mehrerer Testphasen kann der Speicher nun ab Herbst die Energieeffizienz des laufenden Prozessbetriebs im größten Industriekomplex Norwegens verbessern. Die dampfbasierten thermischen Batterien – die ersten ihrer Art im industriellen Einsatz – ermöglichen Yara, bislang verschwendete Energie in Form von Dampf zurückzugewinnen und je nach Einsatzbedarf für verschiedene Prozesse der Anlagen wieder in das Dampfnetz einzuspeisen. Diese Form des sog. Steam Grid Balancing sorgt dafür, dass weniger fossile Brennstoffe für die Erzeugung zusätzlichen Dampfs eingesetzt werden müssen und Fluktuationen in Produktion und Energieeinspeisung ausgeglichen werden können.
„Thermische Speicher können ein Kernbestandteil klimaneutraler Produktionsprozesse werden“
Die Beispiele zeigen: Thermische Speicher sind kommerziell reif. In der aktuellen Krisenlage geht es auch um Schnelligkeit. Speicherprojekte können in weniger als zwölf Monaten vom Erstgespräch bis zur Kommissionierung an den Start gebracht werden. Die Speicher können dann 30 Jahre ohne Leistungsverluste in Betrieb sein, teils sogar länger. Der Bedarf an diesen und vergleichbaren Speichertechnologien ist auf dem Weg zur klimaneutralen Industrie gigantisch. Es handelt sich um einen Milliardenmarkt, groß genug für mehrere Hersteller und Speichertypen. Mehrere Anbieter werden sich im Markt mit passenden Technologien für eine große Bandbreite von Anwendungen erfolgreich platzieren – auch hier in Deutschland.
Speicher sind aktives Krisenmanagement
Für viele Anwendungsfelder thermischer Speicher braucht es heute schon keine neuen politischen Maßnahmen oder besondere Förderungen mehr – schon gar nicht bei den aktuell hohen Energiepreisen und perspektivisch weiter steigenden CO2-Preisen. Der Handlungsdruck für die Industrie ist enorm: Schnelle Implementierung und Skalierung von klimafreundlichen Technologien sind nun entscheidend. Die deutsche Industrie muss dafür ihre Zurückhaltung aufgeben, sie muss Energiebezug vom Leidens- zum Lösungsthema machen und verschiedene Technologien zu einem nachhaltigen Versorgungsportfolio kombinieren.
Jetzt zu handeln bedeutet, den Krisen aktiv, statt passiv zu begegnen. Thermische Speicher können eine zentrale Rolle einnehmen, um die industrielle Wärmeversorgung in der aktuellen Energiekrise zu sichern, und sie können zugleich ein Kernbestandteil klimaneutraler Produktionsprozesse werden. Sie sind nachhaltig und wirtschaftlich zugleich, schnell implementiert und skalierbar. Das macht thermische Speicher zu unverzichtbaren Bausteinen für die energiepolitische Souveränität der Chemie- und Prozessindustrie.
Christian Thiel, CEO, EnergyNest AS, Hamburg
Christian Thiel ist seit 2014 CEO von EnergyNest und seit über 20 Jahren an der Schnittstelle von Industrie, Innovation und Energie tätig. Er bekleidete Führungspositionen bei Senvion (ehemals REpower), McKinsey und der UBS Investment Bank und arbeitete als Projektmanager bei der BMW Group. Der Diplombetriebswirt hält einen Doktortitel in Marketing und war im Rahmen seiner Dissertation Gastwissenschaftler an der Harvard Business School und der Kellogg School of Management.
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