Forschung & Innovation

Medikamente auf Basis der RNA-Interferenz

Wie Pharmaunternehmen diese vielversprechende neue Plattform nutzen

08.02.2010 -

Von der Pharma- und Biotech-Industrie wurden in den letzten Jahren etliche Mrd. € in die neue Technologie der RNA-Interferenz (RNAi) investiert [1]. Dies zeigt, dass die Erwartungen an die RNAi als neue Plattform für die Entwicklung von Medikamenten außerordentlich hoch sind. Als neues biologisches Prinzip erst 1998 entdeckt, hat sich die RNAi für die biologische Forschung inzwischen weltweit als ideales Hilfsmittel zur Unterdrückung der Genexpression etabliert, insbesondere bei der Identifizierung und Validierung neuer, therapeutisch interessanter Targets. Die Verleihung des Nobelpreises für Physiologie und Medizin im Jahre 2006 an die beiden Entdecker der RNAi, Andrew Fire und Craig Mello, unterstreicht die große wissenschaftliche Bedeutung der RNAi. Doch ihr Nutzen für die Forschung spiegelt nur einen kleinen Teil des gesamten Potenzials dieser Technologie wider. So sieht man in ihr die Basis für eine vollkommen neue Medikamentenplattform, die breite Anwendungsmöglichkeiten für die Behandlung vieler verschiedener Krankheiten bieten könnte [2]. Auch Roche hat in die RNAi investiert, um in Zukunft die Pipeline mit einer Vielzahl neuer Medikamente zu füllen.

Vorteile der RNAi als Therapeutika-Plattform

Das Potenzial der RNAi-Plattform ist durchaus vergleichbar mit dem monoklonaler Antikörper, verspricht aber darüber hinaus eine Reihe von signifikanten Vorteilen gegenüber anderen Medikamentenplattformen. So lässt sich mit Hilfe der RNAi im Prinzip jedes Target adressieren. Es gibt viele Targets, die für Wirkstoffe aus der Gruppe der kleinen Moleküle nicht erreichbar sind, da die entsprechenden Zielproteine aufgrund ihrer biologischen Funktion oder Topologie für jene nicht zugänglich sind. Medikamente aus der Gruppe der therapeutischen Antikörper hingegen können nur extrazelluläre oder membrangebundene Zielproteine erreichen. Während eine große Zahl von therapeutisch interessanten Targets für die bisherigen Medikamentengruppen unerreichbar bleibt, bietet die RNAi die Möglichkeit, auch sogenannte „undruggable" Targets anzugehen. Mit Hilfe von synthetisch hergestellten kurzen doppelsträngigen RNAs, den siRNAs, wird nämlich im Zellinneren ein enzymatischer Mechanismus angestoßen, der zum spezifischen Abbau jeder gewünschten mRNA führt, nämlich derjenigen, die zum Leitstrang der siRNA komplementäre Sequenzbereiche aufweist. Die RNAi greift also bereits auf der Ebene der mRNA in die Genexpression ein. Etwaige krankheitsverursachende Proteine werden gar nicht erst gebildet - ein weiterer Vorteil der RNAi-Technologie. Darüber hinaus sind die Zeiträume, die zur Identifizierung der Leitstruktur („Lead"-Molekül) benötigt werden, bei der RNAi mit 3 - 4 Monaten wesentlich kürzer als bei anderen Medikamentengruppen, wo diese oft mehrere Jahre betragen können. Die RNAi-Technologie eignet sich prinzipiell auch gut für die individuelle Medizin („personalized healthcare"). So könnten in Zukunft einmal siRNAs in Kombination mit der entsprechenden Diagnostik individuell zum Einsatz kommen.

Center of Excellence für RNA-Therapeutika

Um einen schnellen und umfassenden Einstieg in die RNAi-Technologie zu finden, hat Roche 2007 ein Lizenz- und Kooperationsabkommen mit der auf dem Gebiet der RNAi-Therapeutika führenden Biotech-Firma Alnylam Pharmaceuticals geschlossen. Bestandteil dieser Allianz war auch die Übernahme von Alnylam's deutscher Einheit (ehemals Ribopharma, später Alnylam Europe, heute Roche Kulmbach) mit ihrem gesamten wissenschaftlichen Team, das seit 2000 als weltweit erstes Team auf diesem Gebiet tätig ist. Viele der anfänglichen Probleme mit der neuen RNAi-Technologie konnten inzwischen gelöst werden. Mit dem Know-How der Wissenschaftler in Roche's Center of Excellence für RNA-Therapeutika in Kulmbach können sehr potente und spezifische siRNA-Lead-Moleküle für nahezu beliebige Zielgene gefunden werden. Die siRNAs erhalten durch chemische Modifikationen hinreichend Stabilität im Blut und werden so modifiziert, dass sie keine unerwünschten immunstimulatorischen Eigenschaften haben. Auch die Produktion von Kilogramm-Mengen von siRNAs ist etabliert und kann bei Vertrags-Herstellern unter GMP-Bedingungen in Auftrag gegeben werden.

Erste RNAi-Medikamente in der klinischen Prüfung

Inzwischen befinden sich schon einige Medikamente auf siRNA-Basis in der klinischen Prüfung (Tab. 1), zahlreiche präklinische Studien laufen weltweit. Darüber hinaus - und nicht zu verwechseln mit den genannten Ansätzen auf Basis von synthetischen siRNAs - gibt es auch Versuche, die RNAi gentherapeutisch zur Behandlung von Krankheiten einzusetzen [1]. Hierbei wird die genetische Information für Vorstufen von siRNAs mit Hilfe von Vektoren (z. B. Adenoviren) in Zellen eingeschleust, was ex vivo oder in vivo erfolgen kann. Wir konzentrieren uns bei Roche jedoch ausschließlich auf synthetische siRNAs.

siRNA-Delivery

Die größte Herausforderung für den Erfolg der RNAi-Technologie ist das Einschleusen („Delivery") der hochwirksamen siRNA-Lead-Moleküle in das Zytoplasma der Zielzellen, denn dies ist der Ort, an dem die enzymatische RNAi-Maschinerie zu finden ist. Derzeit konzentrieren sich Roche's Aktivitäten darauf, Delivery-Systeme zu identifizieren, die nicht nur gut funktionieren sondern auch nebenwirkungsarm und somit sicher sind. Es gibt inzwischen zahlreiche Arbeiten, die ein effizientes Delivery in verschiedene Zelltypen in vivo belegen [3]. Wir bemühen uns derzeit bei verschiedenen Delivery-Technologien das therapeutische Fenster zu vergrößern, das heißt den Abstand zwischen einer therapeutisch wirksamen Dosis und der Dosis, bei der erste durch das Vehikel verursachte Nebenwirkungen auftreten.

Ansätze zur Verbesserung des siRNA Delivery's

In einer globalen Aktion, die neben den eigenen Forschungsprogrammen auch die Evaluierung und gegebenenfalls den Zukauf von vielversprechenden externen Delivery-Technologien einschließt, verfolgen wir bei Roche insbesondere zwei Ansätze. Zum einen versuchen wir durch Anknüpfung geeigneter chemischer (z. B. lipophiler) Gruppen an die siRNA deren Aufnahme in die Zelle zu verbessern. Im Rahmen einer modularen Strategie konjugieren wir eine Reihe von verschiedenen Liganden mit der siRNA, darunter kleine Moleküle und Antikörper. Zum anderen werden siRNAs in Vehikel verpackt oder mit Transporthilfen komplexiert. Besonders aussichtsreich und vielseitig ist die Delivery-Technologie der jüngst von Roche akquirierten Firma Mirus (jetzt Roche Madison), die modular aufgebaute Polymerbausteine, sogenannte Dynamische Polykonjugate (DPCs), für das siRNA-Delivery entwickelt [4]. Das polymere Rückgrat kann neben der siRNA verschiedene Rezeptorliganden binden und so die Rezeptor-vermittelte endosomale Aufnahme in bestimmte Zielzell-Typen bewirken (Abb. 1). Auch die Freisetzung der siRNA aus dem Endosom wird mit den DPCs auf elegante Weise erreicht.

Bei einem anderen Ansatz zur Internalisierung von siRNAs ins Zytoplasma werden Aptamere an siRNAs gekoppelt [5]. Solche Aptamere sind RNA-Moleküle, die auf spezifische Bindung an Proteine der Zelloberfläche hin selektiert wurden. In ähnlicher Weise versuchen wir auch monoklonale Antikörper für die Aufnahme der siRNAs ins Zytoplasma einzuspannen.

Des weiteren hat sich Roche über ein Lizenz- und Kooperationsabkommen Zugang zu der auf Liposomen basierenden Delivery-Technologie von Tekmira verschafft. Die von Tekmira entwickelten SNALPs ermöglichen ein äußerst effizientes Delivery von siRNA in die Leber von Mäusen, Ratten und Cynomolgus-Affen [6]. Ziel unserer Anstrengungen zusammen mit Tekmira ist die Weiterentwicklung dieser Liposomentechnologie für andere Organe sowie die Erweiterung des therapeutischen Fensters.

Es wird wahrscheinlich keine universelle Lösung des siRNA-Delivery-Pro-blems geben. Wir gehen vielmehr davon aus, dass wir eine Reihe unterschiedlicher Delivery-Systeme brauchen, um die Zielzelltypen in den verschiedenen Organen oder Geweben zu erreichen. Die derzeitigen Ansätze lassen jedoch erkennen, dass es Lösungen gibt, die es in Zukunft ermöglichen sollten, das große Potenzial der RNAi als neue Medikamentenplattform auszuschöpfen.

Referenzen
[1] Haussecker: Hum. Gene Ther. 19, 451-462 (2008)
[2] de Fougerolles et al.: Nat. Rev. Drug Discov. 6, 443-453 (2007)
[3] Aigner J.: Biomed. Biotechnol. 2006, 71659 (2006)
[4] Wolff et al.: Mol. Ther. 16, 8-15 (2008)
[5] McNamara et al.: Nat. Biotechnol. 24, 1005-1015 (2006)
[6] Zimmermann et al.: Nature 441, 111-114 (2006)

Kontakt

Roche Kulmbach GmbH

Fritz-Hornschuh-Str. 9
95326 Kulmbach
Deutschland

+49 9221 782762 8111