Katalysator(en) für die Energiewende
Power-to-X: Wie aus Treibhausgasen wertvolle Chemikalien, Kraftstoffe und speicherbare Energie entstehen
Jeden Tag steigt ein stetiger Strom von Treibhausgasen in die Atmosphäre. Das meiste davon ist Kohlendioxid (CO2), das hauptsächlich durch Energieerzeugung, Verkehr und Industrieproduktion ausgestoßen wird. Die Folgen dieser Emissionen werden immer deutlicher: Die Erdtemperatur liegt bereits 0,5 °C über dem Langzeitmittel. Die UN-Klimakonferenz von Paris 2015 strebte deshalb bis 2050 Kohlenstoffneutralität an, um die globale Erwärmung bis 2100 unter 2 °C zu halten. Wie lassen sich diese Ziele erreichen, wenn die Menschheit gleichzeitig immer mehr Energie und Rohstoffe benötigt?
Ein starkes Konzept zur Lösung dieses Dilemmas ist Power-to-X – die Umwandlung von erneuerbarem Strom in wertvolle Chemikalien, Kraftstoffe und Energieträger.
Das Konzept Power-to-X
Bei Power-to-X-Verfahren wird zunächst erneuerbare Energie, die aus Wasser, Sonne oder Wind erzeugt wird, zur Elektrolyse von Wasser eingesetzt, um grünen Wasserstoff zu produzieren. Dabei kann der Wasserstoff selbst das Endprodukt sein, um Energie zu speichern und zu transportieren. Oder er wird in katalytischer Reaktion mit Kohlenmonoxid oder Kohlendioxid aus Industrieabgasen bzw. mit Stickstoff aus der Luft genutzt, um Chemikalien wie Methanol, Methan und Ammoniak zu gewinnen. Auf diese Weise wandelt Power-to-X CO2-Emissionen in nützliche Rohstoffe um und hilft, schädliche Treibhausgase aus der Umwelt zu entfernen.
Das Power-to-X-Konzept eignet sich für vielfältige Anwendungen. Aufgrund seiner technischen Komplexität, flexiblen Einsetzbarkeit und relativen Neuartigkeit erfordert Power-to-X jedoch die Zusammenarbeit von Spezialisten aus unterschiedlichen Bereichen, um optimale Prozess- und Kosteneffizienz zu erreichen. Die Technologie stützt sich häufig auf katalytische Reaktionen. Clariant kann sich hier mit seinem breiten Know-how und dem umfangreichen Katalysatoren-Portfolio – insbesondere für Synthesegasanwendungen – vielseitig einbringen. Die folgenden vier Fallstudien beschreiben einige der gemeinsam mit Partnern durchgeführten Projekte, die das Power-to-X-Konzept weiterentwickeln.
Power-to-Gas: Synthetisches Erdgas als Autokraftstoff
Eine der frühesten Power-to-X-Anwendungen dient der Umwandlung von Wasserstoff aus erneuerbarem Strom und CO2 in synthetisches Erdgas. Das 2013 gemeinsam von Clariant und Etogas gestartete Projekt ist auf Methanisierung in der damals neuen Power-to-Gas-Anlage von Audi in Werlte (Niedersachsen) ausgerichtet.
Die sog. „E-Gas-Anlage“ wurde auf die Erzeugung von durchschnittlich 1,4 Mio. m3 erneuerbarem synthetischen Methan pro Jahr ausgelegt, um so ca. 2.800 t CO2 chemisch zu binden und 1.500 Audi A3 Sportback g-tron-Fahrzeuge für eine Reichweite von 15.000 kohlenstoffneutralen Kilometern zu versorgen. Die von Etogas geplante und gebaute Anlage arbeitet mit einem von Clariant speziell für die Methanisierungsanlage entwickelten Katalysator. Die Technologie wird auch eingesetzt, um überschüssige Energie im Gasnetz zu speichern und so das Energieangebot gegenüber der Nachfrage auszugleichen.
Carbon2Chem:Methanol aus Abgasen der Stahlproduktion
Das 2016 gestartete Carbon2Chem-Projekt ist eine vom deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte, branchenübergreifende Initiative zur Reduzierung von CO2-Emissionen aus der Stahlproduktion. Ziel ist die Umwandlung von Abgasen der Stahlindustrie zu wertvollen Chemikalien, wie Methanol. Bislang werden diese Stoffe in Stahlwerken nur als Energieträger zur Stromerzeugung eingesetzt.
Als Partner im Carbon2Chem-Projekt liefert Clariant leistungsfähige Methanol-Katalysatoren und das erforderliche Anwendungswissen. Das Unternehmen trägt auch zur vorgelagerten Abgasbehandlung bei, da sich Methanol nur aus gereinigten Abgasen gewinnen lässt. Für die Gasaufbereitungsstufen stellt Clariant Adsorptionsmittel sowie fachliche Unterstützung für deren Einsatz bereit. Das auf diese Weise erzeugte Methanol wird vielseitig in der chemischen Industrie genutzt und eignet sich auch als emissionsarmer Kraftstoff.
Gasverflüssigung in modularen Kompaktanlagen
Ineratec ist auf modulare chemische Reaktortechnologie zur Produktion von nachhaltigen Kraftstoffen und Chemikalien spezialisiert. Bemerkenswert an der Lösung des deutschen Unternehmens ist, dass der gesamte Prozess in transportierbaren Containereinheiten realisiert wird. Die Gasverflüssigung verbindet Wasserstoff aus erneuerbarem Strom mit Treibhausgasen, wie CO2, um klimaneutrale synthetische Kohlenwasserstoffe und Kraftstoffe zu erhalten.
Im Juni 2020 ist Clariant eine Partnerschaft mit Ineratec eingegangen und unterstützt diese Technologie mit seiner Erfahrung und dem breitem Portfolio an Katalysatoren für die Aufbereitung von Synthesegas: Der Katalysator HyProGen R-70 hilft, erneuerbares Syngas durch eine umgekehrte Wassergas-Shift-Reaktion zu gewinnen – ein grundlegender Schritt in der Umwandlung von grünem Wasserstoff zu nachhaltigen Kraftstoffen. Der Katalysator MegaMax wird genutzt, um erneuerbares Methanol zu erzeugen, das als Kraftstoffzusatz, Lösemittel oder Rohmaterial für nachhaltige Chemikalien, wie grünes Polypropylen, verwendet werden kann. Bei der Produktion von erneuerbarem synthetischem Erdgas trägt der Katalysator Meth 134 zur effizienten Hydrierung von CO2 zu Methan bei.
Der Mikrostrukturkern der modularen Ineratec-Reaktoren bietet eine große Oberfläche für den Wärme- und Massentransport. Hochexothermische Reaktionen, wie die Methanolsynthese oder CO2-Hydrierung, lassen sich in kompakten Containeranlagen effizient und sicher betreiben. Das ermöglicht eine große Reaktorproduktivität mit hoher Umwandlung pro Reaktordurchlauf. Diese neue Technologie für erneuer- und transportierbare Energie hat ein bedeutendes Potenzial im dezentralisierten Kraftstoffmarkt.
Wasserstoff sicher speichern und transportieren
Wasserstoff aus erneuerbaren Energiequellen ist ein effizienter und umweltverträglicher Kraftstoff. Gespeicherter Wasserstoff kann eine stabile Energieversorgung sicherstellen. Seine niedrige Dichte, hohe Entflammbarkeit und Flüchtigkeit stellen jedoch erhebliche Herausforderungen dar: Herkömmliche Wasserstoff-Speicherung und -Transport erfordern entweder starken Druck (200 bis 700 bar) oder extreme Kühlung (bis -253 °C). Beides ist energieintensiv und mit Sicherheitsrisiken verbunden.
Hydrogenious LOHC Technologies hat eine Lösung für dieses Problem entwickelt: die chemische Bindung der H2-Moleküle in flüssigen organischen Wasserstoffträgern (Liquid Organic Hydrogen Carriers, kurz: LOHC). 2018 ging das Unternehmen eine Partnerschaft mit Clariant ein, um maßgeschneiderte Katalysatoren für diese Technologie zu erhalten. Die Hydrierung von flüssigem organischem Wasserstoffdibenzyltoluol mit dem Katalysator EleMax H
ermöglicht in diesem Prozess das „Speichern“ von Wasserstoff, während die Dehydrierung mit EleMax D den Wasserstoff bei Bedarf wieder „freisetzt“. Die Katalysatoren wurden gezielt auf hohe Selektivität im Binden und Freisetzen des Wasserstoffs hin entwickelt, um die Lebensdauer und Effizienz der LOHC optimieren zu können.
Diese nicht-explosive, nicht-toxische und nicht-entflammbare, dieselähnliche Verbindung bleibt bei Umgebungsdruck in einem weiten Temperaturbereich von -39°C bis +390°C flüssig. Dies sorgt für hohe Sicherheit und Effizienz beim Lagern und Transport größerer Mengen grünen Wasserstoffs und leistet einen wichtigen Beitrag zu emissionsfreier Mobilität und für sauberere industrielle Verfahren.
Fazit: Kooperation ist dringend gefragt
Der Klimawandel ist eine der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Durch nachhaltige Chemieproduktion, effektive Energiespeicherung und Reduzierung von Emissionen können Power-to-X-Technologien hier eine wesentliche Rolle spielen. Wie die beschriebenen Projekte zeigen, ist die Technologie in unterschiedlichen Branchen und Anwendungen umsetzbar. Als komplexe Schwellentechnologie erfordert Power-to-X jedoch noch erhebliche Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen. Dringend gefragt ist deshalb die Zusammenarbeit von Experten aus verschiedenen Bereichen, um das Potenzial der Technologie auszuschöpfen, sie wirtschaftlich noch attraktiver zu machen und handfeste Umweltvorteile zu erzielen.