Grüne Logistik: Auf dem Weg zum neuen Industriestandard
06.11.2022 - Logistiker in der Chemie- und Pharmaindustrie stehen mehr denn je unter Druck: Zum einen erschweren die Störungen in den Lieferketten, die Energiekrise und der Ukraine-Krieg die täglichen Abläufe im operativen Geschäft. Doch auch im strategischen Bereich warten Herausforderungen, insbesondere die Nachhaltigkeit betreffend.
Zu den neuen Herausforderungen gehören zum einen das Lieferketten-Sorgfaltspflichtengesetz (LKSG), zum anderen der CO₂-Fußabdruck und die Notwendigkeit, klimaneutral zu transportieren und zu lagern, denn die Klimakrise muss jetzt mit allen Mitteln gelöst werden. Wie es um die Nachhaltigkeit in der Logistik steht, dafür war der Deutsche Logistik-Kongress (DLK) vom 19. bis 21. Oktober 2022 in Berlin ein guter Gradmesser. Der wichtigste Logistik-Branchentreff machte Mut, denn er zeigte, dass vieles in Bewegung ist: von der Legislative über technischen Innovationen bis zu konkreten Projekten, welche die Nachhaltigkeit voranbringen. Die Botschaft war: die grüne Logistik ist keine Zukunftsmusik, sondern der neue Industrie-Standard von morgen.
Logistik zukunftssicher machen
Auf der zentralen Pressekonferenz des Deutschen Logistik Kongresses gab der Kongressausrichter, die Bundesvereinigung Logistik (BVL), aktuelle Zahlen bekannt, die unterstreichen, welchen Stellenwert die Logistik hat.
Pünktlich zum Deutschen Logistik-Kongress hat die Arbeitsgruppe für Supply Chain Services des Fraunhofer-Instituts für Integrierte Schaltungen IIS wieder ein Update zu den Top 100 der Logistik veröffentlicht. Danach ist die deutsche Logistikwirtschaft 2021 um 5,0 % auf 294 Mrd. EUR gewachsen (nach +2,5 % in 2019 und -1,8 % in 2020). Mit 3,36 Mio. Erwerbstätigen im Wirtschaftsbereich waren über 100.000 Personen mehr mit operativen und administrativen Logistikaufgaben beschäftigt als im Vorjahr.
Aufgrund dieser herausragenden wirtschaftlichen Stellung der Logistik sind die Akteure mehr denn je gefordert, die Logistik zukunftssicher zu machen. Der Vorstandsvorsitzende der BVL, Thomas Wimmer, erklärt: „So, wie es vor den derzeitigen Störungen in den Lieferketten war, wird es nicht mehr werden. Wenn wir die derzeitigen Krisen bewältigt haben, werden andere in den Vordergrund treten und neue Herausforderungen bringen. Resilientere Lieferketten erfordern in vielen Prozessen radikales Umdenken – nicht zuletzt vom bisherigen Primat der Kosten hin zu den neuen Prioritäten Verlässlichkeit und Nachhaltigkeit.“
Ein zentraler Baustein ist die Nachhaltigkeit der Logistikprozesse in der ökologischen, ökonomischen und sozialen Dimension. In der modernen Definition der Nachhaltigkeit sind dabei alle drei Einzelaspekte gleichwertig und müssen in entsprechenden Strategien berücksichtigt werden.
Soziale Nachhaltigkeit: Lieferkettengesetz im Fokus
Was den sozialen Aspekt der Nachhaltigkeit betrifft, gab einer der zentralen Slots des BVL-Kongresses einen guten Einblick: Unter dem Motto „Gute Lieferketten – (wie) hilft die Gesetzgebung zu den Lieferkettensorgfaltspflichten?“ tauschten sich Rechts- und Sustainability-Experten zum komplexen Thema aus, moderiert vom Evertracker-CEO Marc Schmitt.
Im ersten Statement umriss Andrea Goeman, VP Global Sustainability bei DB Schenker, die Ziele des Lieferkettengesetzes, insbesondere „die Menschenrechte entlang der Lieferkette zu stärken“ und hierfür „Risikomechanismen inklusive Meldestrukturen zu implementieren“. Das Gesetz sei „eine Chance, Menschenrechte und Arbeitsbedingungen zu verbessern“ – und das weltweit, denn die Lieferketten seien global.
Rechtanwalt Lothar Harings von der Kanzlei Graf von Westphalen betonte, dass es dabei um „materielle Schutzgüter“ wie Menschenrechte, Umweltschutz und das Diskriminierungsverbot gehe. „Risikoanalyse ist das Herzstück des LKSG“, so der Rechtsexperte, der an betroffene Unternehmen appellierte, die Dokumentationspflichten sehr ernst zu nehmen, denn die staatlichen Prüfungen durch das zuständige Bundesamt BAFA seien auch Jahre später noch möglich.
Jochen Baier, Senior Legal Counsel beim Edeka Verband empfahl betroffenen Unternehmen, sich insbesondere auf allgemein bekannte Risiken in den Lieferketten zu konzentrieren und nannte als Beispiel den Kaffee- oder Kakaoanbau in der Lebensmittelindustrie. Auch die ökologische Nachhaltigkeit spiele hier hinein, auch wenn das LKSG dies noch nicht ausreichend widerspiegele - darin war sich die Runde einig.
Andrea Goemann von DB Schenker erläuterte, dass Kunden bereits aktiv nachhaltige Transporte nachfragen, jedoch oft Kostenparität zu herkömmlichen Transportern forderten. Dies sei noch nicht möglich, weshalb den Kunden die Kenntnisse über die Mehrkosten der Nachhaltigkeit unbedingt vermittelt werden müssten.
Ökologie und Ökonomie bei Reduktion von Emissionen in Einklang bringen
Der ökologisch-ökonomische Aspekt betrifft vor allem die Minimierung der Treibhausgase innerhalb der Lieferketten, besonders beim Transport, aber auch bei der Lagerung – Stichwort CO₂-Footprint. Der gewerbliche Güterverkehr steht als Hauptemittent von CO₂ im Fokus. Hier bieten mittlerweile alle namhaften Lkw-Hersteller Lastwagen mit Elektroantrieb an, die serienreif sind oder auch schon in Serie produziert werden. Deutsche OEM haben in diesem Jahr sogar die ersten Modelle von batterieelektrischen Lkw für den Fernverkehr vorgestellt.
Daimler stellte den E-Actros LongHaul vor - mit einer elektrischen Reichweite von 500 km. MAN geht noch einen Schritt weiter und spricht von „Tagesreichweiten“ von 600 bis 800 km, unter der Voraussetzung eines Zwischenladevorganges. Beide Hersteller unterstützen heute schon das sogenannte Megawatt-Laden mit dem neuen Schnellade-Standard MCS (Megawatt-Charging-System). Mit maximal 3,75 MW an einer DC-Schnellade-Säule sei damit ein Aufladen bis 80% in bestenfalls 45 Minuten möglich – das entspricht exakt der gesetzlichen Pause eines Fernverkehrsfahrers.
Wasserstoff-Lkw jetzt schon verfügbar
Doch auch Wasserstoff-Lkw sind mittlerweile verfügbar, so der Hyundai Excient oder in Entwicklung – Daimler präsentierte in diesem Herbst seinen GenH2-Truck auf Basis von Flüssig-Wasserstoff.
Die eigentliche Herausforderung sind jedoch nicht die Fahrzeuge, sondern die Infrastruktur und die Einbettung der alternativen Antriebe in Business Cases, die eine mit der Diesel-Welt wettbewerbsfähige Gesamtkostenrechnung ermöglichen. Um diese so genannte Total Cost of Ownership (TCO) langfristig zu vergleichbaren Konditionen zu erreichen, sind heute noch Fördergelder notwendig, die es auch gibt: Das Programm „Klimaschonende Nutzfahrzeuge“ (KSNI) der Bundesregierung fördert aktuell 80% des Mehrpreises in den Anschaffungskosten von E- und Wasserstoff-Lkw im Vergleich zu Diesel-Lkw.
Alternativ zum Kauf ermöglichen Firmen wie Colonia – einer der Austeller auf dem BVL-Kongress – die Langzeitmiete von Lkw mit alternativen Antrieben. Was die Betriebskosten betrifft, sind Logistiker gut beraten, möglichst in eigene Infrastruktur zu investieren, um Energieautarkie und somit mehr Kostenkontrolle zu haben. Elektro-Schnelladesäulen für Lkw oder Kompakt-Elektrolyseure für Wasserstoff sind heute schon Stand der Technik – mit angeschlossenen Energiespeichern sowie Tank- und Ladeparks.
Es lohnt sich für Unternehmen, in Firmen-Konsortien in Gewerbegebieten zusammenzuarbeiten und z.B. über Fotovoltaik Grünen Strom oder Grünen Wasserstoff in „Shared Services“ gemeinsam zu produzieren, zu konsumieren und sogar an Dritte zu vermarkten. Mit diesen lokal produzierten und konsumierten Erneuerbaren Energiequellen lässt sich die ökologische Nachhaltigkeit im Transport und perspektivisch auch im Warehousing langfristig gut abbilden.
Bruno Lukas, Gründer und Inhaber der Berliner Logistik-Beratungsfirma Green Logistics Enabler
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Nachhaltigkeit in der Transportlogistik – Wasserstoff bevorzugt
In einer gemeinsamen Befragung haben die Bundesvereinigung Logistik (BVL), DHL und das Standortdaten- und Technologieunternehmen Here Technologies unter gut 100 Unternehmen aus Industrie, Handel und Logistikdienstleistung ermittelt, welche Maßnahmen sie zur CO₂-Reduzierung priorisieren und welche Rolle alternative Antriebe bei der Flottenentwicklung spielen. Die Bewertungsskala reichte dabei von 1 (sehr geringe Nutzung) bis 7 (sehr intensive Nutzung). Nach den bevorzugten Antriebstechnologien der kommenden Jahre für ihre Lkw-Flotten befragt, präferierten die meisten Unternehmen Wasserstoff (5,09), gefolgt von der Elektro-Mobilität (4,77) und dem herkömmlichen Dieselantrieb (4,40). Erst danach folgen LNG oder CNG (3,82 bzw. 3,09). Einig sind sich die Befragten, dass die Nutzung von Dieselantrieben stark zurückgehen wird. Eine Umstellung scheitert aber derzeit vor allem noch an der Verfügbarkeit sowohl der alternativen Antriebe als auch der Lade- bzw. Tankpunkte.
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