Strategie & Management

DLR: Wertschöpfung durch Werkstoffe

Werkstoffforscher öffnen neue Horizonte für die Energieversorgung von morgen

13.10.2014 -

Der globale Bedarf an Energie und Rohstoffen steigt rasant. Die dafür notwendigen natürlichen Ressourcen sind jedoch begrenzt. Neue Werkstoffe können maßgeblich dazu beitragen, dieser Herausforderung zu begegnen. Dr. Andrea Gruß sprach mit Prof. Heinz Voggenreiter, Direktor des Instituts für Werkstoff-Forschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), über Beiträge der Werkstoffforschung zur Energiewende und zur Wertschöpfung in Deutschland.

CHEManager: Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt hat ein breites Aufgabenspektrum. Welche Themen werden erforscht?

Prof. H. Voggenreiter: Das DLR ist die größte Forschungseinrichtung für Luft- und Raumfahrt in Europa. Etwa 8.000 Mitarbeiter forschen an 16 Standorten und 32 Instituten schwerpunktmäßig an Themen aus Luftfahrt und Raumfahrt, angefangen bei der Aerodynamik und -elastik bis hin zu Raumfahrt- und Luftstrahlantrieben.

Das DLR betreibt Großforschungsanlagen für eigene Projekte und als Dienstleister für Partner in der Wirtschaft. Wir stellen Wissen für den Erhalt der Umwelt zur Verfügung und entwickelt Technologien für Energieversorgung, Mobilität, Kommunikation und Sicherheit. Dabei reicht unser Portfolio von der Grundlagenforschung bis zur Entwicklung von Produkten. Darüber hinaus ist das DLR im Auftrag der Bundesregierung für die Planung und Umsetzung der deutschen Raumfahrtaktivitäten zuständig.

Welche Rolle spielt die Werkstoffforschung dabei?

Prof. H. Voggenreiter: Laut einer Studie geht die Hälfte aller Innovationen auf neue Werkstoffe und deren Produktionsverfahren zurück. Ich nenne Ihnen ein Beispiel abseits der Luft- und Raumfahrt: Die Basistechnologien für ein Smartphone waren bereits alle verfügbar. Dennoch wäre es nicht gelungen, das iPhone ohne das bruchsichere und kratzfeste Gorilla-Glas des US-Herstellers Corning auf den Markt zu bringen, das als Abdeckung für Displays mit Touchscreen dient.

Etwa 40 - 60 % der Produktionskosten von Innovationen sind mit dem Material verbunden. Das zeigt, wie wichtig es ist, an Werkstoffen zu forschen, um neue Produkte kostengünstig auf den Markt zu bringen. Im Zuge der eingangs genannten Forschungsschwerpunkte arbeitet das DLR daher auch intensiv an Fragen der Werkstofftechnologie, und zwar an den Instituten für Werkstoff-Forschung in Köln, für Bauweisen und Strukturtechnologie in Stuttgart und für Faserverbundleichtbau und Adaptronik in Braunschweig sowie den Zentren für Leichtbauproduktionstechnologie in Stade und Augsburg.

Welche Beiträge können neue Werkstoffe zur Bewältigung der Energiewandels leisten?

Prof. H. Voggenreiter: Hier gibt es verschiedene Ansatzpunkte. Zum Beispiel bieten Aerogele ein enormes Potenzial für die thermische Isolation in der Gebäudetechnik. Unsere Kollegen der EMPA aus der Schweiz haben einen Aufputz aus Aerogel entwickelt, der zu über 96 % aus Luft besteht und somit eine sehr geringe Wärmeleitfähigkeit aufweist. Am DLR arbeiten wir an einem Aerogel-Beton für die Gebäudeisolation ohne Aufputz. Dieser bietet im Vergleich zu einer Isolation mit Aufputz oder auch mit Styroporplatten den Vorteil, dass der Architekt die Designfreiheit, die der Beton bietet, ohne Einschränkungen nutzen kann.

In den letzten Jahren wurden sehr viele Varianten an Aerogelen entwickelt, aus verschiedensten Materialien, von Silikaten bis hin zu kohlenstoffbasierten Werkstoffen, die sich über entsprechend modifizierte Prozesstechniken in die Aerogel-Form bringen lassen. Die Materialien lassen sich nicht nur großtechnisch als Fliesen oder Beton herstellen,  sondern auch funktionalisieren, so dass Werkstoffe mit besonderen magnetischen, ferroelektrischen oder optischen Eigenschaften für neue Anwendungen entstehen. So könnten beispielsweise Kohlenstoff-Aerogele, die mit metallischen Ionen modifizieren wurden, zukünftig als Batteriespeicher dienen.

Darüber hinaus arbeiten wir am DLR an speziellen Hochtemperatur-Aerogelen auf Silikatbasis für Temperaturbereiche über 800°C. Mit ihnen lassen sich Brennkammern von Gasturbinen isolieren.

Und somit der Wirkungsgrad der Gasturbinen steigern?

Prof. H. Voggenreiter: Genau. Hierzu tragen insbesondere auch moderne Faserkeramiken bei. Sie zeichnen sich durch extrem hohe Temperaturbeständigkeit und geringe thermische Wärmeleitung aus. Während „normale" monolithischen Keramiken spröde sind und zerspringen, wenn sie mit einem Hammer bearbeitet oder punktuell mit einer Flamme erhitzt werden, bleiben Faserkeramiken unter diesen Bedingungen intakt.

Wir unterscheiden hier im Wesentlichen zwei Werkstoffklassen: schwarze Faserkeramiken auf Basis von Siliziumcarbid, die mit Siliziumcarbid- oder Kohlefasern verstärkt werden und weiße Faserkeramiken auf Basis von Aluminium- und Siliziumoxid in der Matrix und den Fasern.

Wo liegen die Anwendungsbereiche dieser Werkstoffe?

Prof. H. Voggenreiter: Schwarze Faserkeramik hat im Vergleich zur weißen eine höhere Festigkeit, oxidiert aber leichter. Weiße können Sie dagegen bis zu Temperaturen von 1200°C ohne Oxidationsprobleme einsetzen, zum Beispiel in Brennkammern stationärer Gasturbinen. Diese müssen weniger gekühlt werden, so entsteht eine gleichförmige Temperaturverteilung und die Verbrennung läuft homogener. Das führt zu einer deutlichen Reduktion der Emissionen um 50 - 80 %.

Weitere Materialien mit Potenzial für den Einsatz bei hohen Temperaturen und in korrosivem Umfeld, wie zum Beispiel in Hochtemperaturwärmetauschern, sind biogene Keramiken.

Auf welchen Rohstoffen basieren biogene Keramiken?

Prof. H. Voggenreiter: Sie werden aus einer Mischung von feinen Holzpartikeln, Phenolharz und zum Beispiel Pechfasern hergestellt, die zu einem Pressholzrohling der gewünschten Geometrie verpresst werden. Je nachdem welche Eigenschaften der Werkstoff bekommen soll wird das Pressholz in einen Ofen unter Stickstoff bei Temperaturen zwischen 1.400°C und 2.000°C pyrolisiert. Dabei wird der Wasserstoff abgespalten und zurück bleibt ein poröses Material aus Kohlenstoff und den Fasern. Dieses wird mit flüssigem Silizium versetzt, das sich über Kapillarkräfte in die Poren und Ritzen des Materials verteilt und zur SiC-Keramik reagiert. Anwendungen dieser Keramiken sind klassische Wärmetauscher oder auch Flansche für Verbindungen von Gas- und Flüssigkeitsleitungen, die hohen Temperaturen standhalten müssen.

Sie erwähnten die DLR-Zentren für Leichtbauproduktionstechnologie, arbeiten Sie auch dort an energierelevanten Themen?

Prof. H. Voggenreiter: Ja, in Stade entwickeln meine Kollegen zum Beispiel Produktionstechnologien für die Windkraft. Die Rotoren von Windrädern werden immer länger und sind heute bereits bis zu 60 m lang. Am liebsten würden Ingenieure Rotorblätter von 90 m einsetzen, was zum einen zu Transportproblemen, aber auch zu Gewichtsproblemen führt, wenn die Rotoren aus Glasfasermaterialien hergestellt werden. Carbonfaserverstärkte Kunststoffe, kurz CFK, können hier Abhilfe schaffen. Doch CFK-Rotoren werden bislang mit hohem manuellem Aufwand gefertigt. Techniker laufen durch die riesigen Rotorenformen und legen die vorab zugeschnittenen Kohlenstofffaser-Halbzeuge, die aussehen wie schwarze Tischtücher, in die Form. Das wird nur teilweise automatisiert gemacht, zum großen Teil erfolgt es manuell und ist deshalb mit Kosten auf der einen Seite, aber auch mit entsprechenden Qualitätsproblemen auf der anderen Seite verbunden.

Wir arbeiten daher an einem höheren Automatisierungsgrad dieses Prozesses. In Stade legen Roboter Caronfaser-Tapes in die Form. In Augsburg haben wir eine Roboteranlage mit der Firma Kuka entwickelt, bei der die Roboter von oben herunterhängen, in die Formen hineingreifen und die Halbzeuge ablegen. Wir erreichen dabei eine Ablagegenauigkeit von 0,4 mm auf einer Arbeitsfläche von 15 x 30 m.

Die Anlage ist weltweit einmalig. Es erfordert ein besonderes Know-how, die Roboter so aufzuhängen, dass Schwingungen und Druckbiegungen bei diesem Produktionsprozess kompensiert werden. Uns gelang das übrigens mit einem System, das aus der Raumfahrt kommt.

Ich möchte in diesem Zusammenhang betonen, dass wir in Deutschland verstärkt parallel zur von Werkstoffen an den Produktionstechnologien arbeiten müssen. Denn erst wenn die Produktionstechnik steht, kann ein Produkt kostengünstig auf den Markt gebracht werden. Wir müssen vermeiden, dass zum Beispiel Wettbewerber aus China die Produktionstechnik fertig entwickeln, während wir uns allein aufs Engineering konzentrieren.

Es wird häufig kritisiert, dass in Deutschland zwar viele Innovationen entwickelt werden, die Wertschöpfung aber nicht hierzulande erzielt wird. Ist diese Kritik aus Ihrer Sicht berechtigt?

Prof. H. Voggenreiter: Wenn Sie innerhalb Europas den Anteil des verarbeitenden Gewerbes an der Bruttowertschöpfung vergleichen, dann liegen wir mit 22 % an zweiter Stelle und sind gut aufgestellt. Ein Großteil davon wird übrigens von mittelständischen Unternehmen erwirtschaftet. Der Anteil von 22 % ist über die vergangenen Jahre stabil geblieben und ich denke, wir sollten aufhören zu jammern, dass zu wenig Wertschöpfung hierzulande  stattfindet. Schließlich leben wir auch von Sekundäreffekten. Wenn wir in Deutschland einen Airbus zusammenbauen, dann kommen dafür auch Bauteile aus Frankreich. Diese dienen der Wertschöpfung hier in Deutschland.

Damit diese stabil bleibt, müssen wir darauf schauen, dass die Rahmenbedingungen in Deutschland in Bezug auf Energiekosten und Regularien attraktiv bleiben. Aber genauso gilt es sicherzustellen, dass die Ergebnisse aus der Forschung, auch der nicht industriellen Forschung, schneller in die Umsetzung gebracht werden. Denn einen Großteil des Gewinns erzielen wir in den ersten Jahren, in denen ein Produkt auf dem Markt ist, bevor es aufgrund des Kostendrucks in Niedriglohnländern produziert wird.

Wie lässt sich der Weg zum Markt verkürzen?

Prof. H. Voggenreiter: Wir müssen einen intensiveren Dialog gerade zwischen universitärer Forschung, Großforschungseinrichtungen und kleinen und mittelständischen Unternehmen suchen. Diese können sich in der Regel keine teure Forschung einkaufen und haben zudem auch Angst, dass über eine Kooperation Know-how abfließt. Dies müssen wir akzeptieren und ein anderes Miteinander finden zwischen Forschungseinrichtungen, Universitäten und KMU.

Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit des DLR mit externen Partnern? Von wem geht die Initiative aus?

Prof. H. Voggenreiter: Das ist unterschiedlich. Zum Teil initiieren wir die Zusammenarbeit. Aber es gibt auch viele Industriepartner, die mit neuen Werkstoffen auf uns zukommen und deren Anwendung für ein bestimmtes Bauteil in einem Flugzeug oder Raumfahrtsystem testen möchten. Speziell die Chemieindustrie ist hier ein wichtiger Partner für uns, denn sie arbeitet an Basiswerkstoffen. Wir selbst stellen keine Harze her, wir entwickeln keine Kunststoffe oder Ausgangsmaterialien für Aerogele. Hier sind wir auf Partner aus universitärer oder industrieller Forschung angewiesen, insbesondere aus der Chemie.

Welchen Beitrag kann die Anfang September veröffentlichte Hightech-Strategie der Bundesregierung zu mehr Wertschöpfung in Deutschland leisten? Und welche Rolle spielt die Werkstoffforschung dabei?

Prof. H. Voggenreiter: In der Hightech-Strategie ist die Werkstoffforschung nicht explizit als eigenständiges Thema aufgeführt. Aber das ist auch nicht verwunderlich. Im Vordergrund stehen zunächst einmal Bauteile und Systeme, die dazu führen, dass wir energieeffizienter werden, die Elektromobilität voranbringen oder unsere Rohstoffversorgung sichern. Das sind übergeordnete Themen. Doch unter alle diesen Oberbegriffen finden Sie letztlich Aspekte der Werkstoffe und der Werkstofftechnologie.

Bei der Energiespeicherung ist es zum Beispiel ein zentrales Thema, Materialien zu entwickeln, die über Reaktionen mit Solarenergie bei akzeptablen Temperaturen, also im Bereich von 1.200 °C, Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff spalten. Bei der Energieeffizienz liegt ein Fokus auf dem Thema Materialien für Isolierungen, über das wir bereits gesprochen haben. Und im Bereich der Elektromobilität sind vor allem Speichertechnologien gesucht - ein klassisches Werkstoffthema. Bei der Sicherung unserer Rohstoffversorgung ist es wichtig, dass bestimmte Rohstoffe, wie zum Beispiel Seltene Erden, künftig durch neue Werkstoffe ersetzt werden können.

Die Hightech-Strategie bietet daher für die Werkstoffforschung des DLR eine gute Förderplattform, mit der wir unsere Werkstoffen in die Anwendung bringen und so zur Wertschöpfung in Deutschland beitragen können.

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