Covestro setzt auf Kohlenstoffdioxid und Kreativität als Rohstoff
Experimentierfreude schafft die Grundlage für Innovation beim Leverkusener Kunststoffproduzenten
Innovationen in der Chemieindustrie und die richtigen Rahmenbedingungen dafür standen auf der Agenda der Handelsblatt-Jahrestagung Chemie 2016 in Frankfurt. Dr. Andrea Gruß sprach mit Referent Dr. Markus Steilemann, Vorstandsmitglied bei Covestro, über externe Innovationsfaktoren, vielversprechende Innovationen und die Innovationskultur des Leverkusener Kunststoffproduzenten, ehemals Bayer MaterialScience. Das Unternehmen beschäftigt weltweit rund 1.000 Mitarbeiter in Forschung und Entwicklung und erhöhte im Jahr 2015 sein Forschungsbudget um gut ein Fünftel auf knapp 260 Mio. EUR.
CHEManager: Welche externen Faktoren beeinflussen die Innovationskraft von Covestro?
Dr. M. Steilemann: Das externe Innovationsumfeld – insbesondere die Akzeptanz von Innovationen in Politik und Gesellschaft – ist sehr wichtig. Diese lässt sich durch Investitionen in frühe Bildung fördern, die bereits bei jungen Menschen Lust auf Naturwissenschaften weckt und die das Bedürfnis nach und die Offenheit für neue Technologien schafft. Wir brauchen einen qualifizierten Nachwuchs, junge Forscherinnen und Forscher, die diese neuen Technologien entwickeln, die mutig und neugierig sind und eingefahrene Gleise verlassen wollen. Je früher wir Menschen dafür begeistern können, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen, umso einfacher wird es für Unternehmen, geeignete Mitarbeiter zu finden und Innovationen zu schaffen.
Welche weiteren politischen Rahmenbedingungen sind relevant?
Dr. M. Steilemann: Das regulatorische Umfeld hat einen großen Einfluss. Wenn die richtigen Impulse gesetzt werden, kann Regulierung sehr förderlich für Innovationen sein. Auf der anderen Seite kann eine unangebrachte Anwendung des sogenannten Vorsorgeprinzips Innovationen verlangsamen oder stoppen. Häufig werden Projekte ja auf den bloßen Verdacht hin abgeblockt, dass sie vielleicht mit Risiken behaftet sind – auch wenn dies gar nicht erwiesen ist. Analysen, die allein auf diesem Prinzip basieren, sind aus unserer Sicht innovationsfeindlich. Ein ausgewogener wissenschaftsbasierter Ansatz mit einer vernünftigen Risikoabschätzung bei der Bewertung neuer Technologien und Produkte fördert dagegen Innovation.
In diesem Zusammenhang ist auch die Akzeptanz der Industrie ein wichtiges Thema. Es kann nicht sein, dass innovative Investitionsprojekte aus Unkenntnis oder einem gewissen generellen Unwillen in der Öffentlichkeit nicht zum Tragen kommen. Gerade Großunternehmen stehen schnell unter dem Generalverdacht, dass ihr Interesse an neuen Technologien und Produkten rein wirtschaftlich motiviert ist. Wir müssen daher verstärkt den gesellschaftlichen Dialog führen, um klar zu machen, wie sinnvoll Innovationen sind und zum Wohle der Menschen eingesetzt werden können.
Für ein wichtiges Innovationsprojekt – die sogenannte Dream Production, bei der Kohlenstoffdioxid als Rohstoff für die Polyurethanherstellung genutzt wird – hat Ihr Unternehmen während der Forschungs- und Entwicklungsphase eine staatliche Förderung über rund 5 Mio. EUR durch das Bundesforschungsministerium erhalten. Welche Rolle spielt solch eine finanzielle Förderung für einen Konzern?
Dr. M. Steilemann: Wenn es an die kommerzielle Umsetzung geht, müssen sich Projekte wie dieses natürlich grundsätzlich ohne staatliche Förderung rechnen. Dennoch glauben wir, dass Technologiesprünge wie die Nutzung von Kohlendioxid als Rohstoff einfacher in einem staatlich geförderten Forschungsprojekt und gemeinsam mit Partnern umzusetzen sind, als wenn sie von einem Unternehmen im stillen Kämmerlein entwickelt werden. Die so entwickelten Technologien erzielen in der Regel auch einen höheren Verbreitungsgrad. Staatliche Forschungsförderung ist unserer Meinung nach ein wichtiger Beitrag zu guten Rahmenbedingungen am Forschungs- und Innovationsstandort Deutschland.
Trotz dieser Förderung wird Ihr Vorhaben, das reaktionsträge Kohlenstoffdioxid als Rohstoff einzusetzen, auch „als energetischer Irrsinn“ kritisiert. Was entgegnen Sie Ihren Kritikern?
Dr. M. Steilemann: Sicherlich ist Kohlenstoffdioxid per se ein Molekül mit niedrigem Energieniveau – das heißt, man benötigt Energie, um es zur Reaktion zu bringen. Aber wir haben hier eine ökologisch und ökonomisch sinnvolle Lösung gefunden. So haben unsere Forscher gemeinsam mit Partnern in aufwändigen Screenings ein neues Katalysatorkonzept entwickelt, das die Aktivierungsenergie der Reaktion herabsetzt und sie so überhaupt erst möglich macht. Bei der Umsetzung mischen wir 20 % Kohlendioxid mit 80 % Propylenoxid. Letzteres ist selbst schon so energiereich, dass es die Energie liefert, um das Kohlendioxid zu aktivieren. Es muss keine Energie von außen zugeführt werden.
Um es auf den Punkt zu bringen: Das neue Verfahren benötigt deutlich weniger fossile Rohstoffe und auch weniger Energie als das herkömmliche Verfahren und leistet damit einen Beitrag zur Ressourcenschonung und zu einer erweiterten Rohstoffbasis für die chemische Industrie. Der Klimaschutzbeitrag des Verfahrens ist überschaubar; die Hauptintention der Entwicklung war und ist aber Ressourceneffizienz. Gemeinsam mit dem CAT Catalytic Center Aachen haben wir das Verfahren zu einem kommerziellen Produktionsprozess weiterentwickelt. Die Produktion wird Mitte Juni 2016 in Dormagen an den Start gehen.
Wir haben eingangs über externe Innovationsfaktoren gesprochen. Welche Voraussetzungen müssen innerhalb eines Chemieunternehmens wie Covestro erfüllt sein, damit Innovation gelingt?
Dr. M. Steilemann: Zum einen benötigen Sie die richtigen Mitarbeiter, Menschen die sich trauen, neue Wege zu gehen. Wir beschäftigen weltweit rund 1.000 Mitarbeiter in Forschung und Entwicklung in drei Innovationszentren in Europa, Amerika und Asien. Damit diese viele Ideen entwickeln können, die mit möglichst hoher Wahrscheinlichkeit zum kommerziellen Erfolg führen, braucht es zudem eine Unternehmenskultur, die Experimentierfreude weckt, Freiräume schafft, den Dialog mit anderen fördert und sich durch eine hohe Fehlertoleranz auszeichnet.
Wie lassen sich diese Freiräume schaffen?
Dr. M. Steilemann: Durch die richtigen Prozesse. Wir fördern die Ideengenerierung, indem wir Mitarbeiter auffordern, ihre Ideen ohne Scheu einzubringen und vorzustellen, und diese Ideen dann intensiv und wohlwollend diskutieren. Danach entscheiden wir jedoch sehr früh und deutlich, welche Projekte weiterverfolgt werden und welche nicht. Indem wir einerseits unsere Mitarbeiter animieren, andererseits deren Input kanalisieren und fokussieren und dabei auch mal „nein“ sagen, erhöhen wir den Output aus unserem Innovationsprozess und behalten zugleich die Kosten im Griff.
Welche Rolle spielt Führungskultur in diesem Kontext?
Dr. M. Steilemann: Der kulturelle Aspekt ist besonders wichtig. Er lässt sich nicht systematisch messen, sondern zeigt sich im täglichen Arbeitsleben. Vorgesetzte müssen akzeptieren, dass Mitarbeiter, beim Beschreiten neuer Wege mitunter in eine Sackgasse geraten, also im klassischen Sinn Zeit verschwendet haben. Eine hohe Fehlertoleranz in solchen Situationen motiviert die Beschäftigten nicht nur, sondern fördert auch Kreativität. Und ich bin überzeugt: Kreativität ist der Rohstoff des 21. Jahrhunderts.