Corporate Venturing setzt Innovationskraft frei
Erfolgreiches Corporate Venturing erfordert Ressourcen, Zeit und die richtigen Talente
Corporate Venturing wird innerhalb eines Konzerns oftmals als Spielplatz für Intrapreneure belächelt. Strategisches Corporate Venturing kann allerdings entscheidend zum Unternehmenserfolg beitragen. Insbesondere in der Chemieindustrie birgt der Ansatz viele Chancen.
413 Corporate-Venture-Investments haben Großkonzerne 2011 getätigt. Wenngleich klassische Venture-Kapital-Gesellschaften fast das Zehnfache an Deals abgewickelt haben, ist Corporate Venturing mittlerweile als wichtiger Zweig des Venture Capitals etabliert und gewinnt weiter an Bedeutung. Viele Unternehmen - gerade in der Chemie-Industrie - steigen aktuell ins Geschäft ein: Sabic z. B. hat seine Venture-Einheit 2011 gestartet. Evoniks Corporate-Venturing-Zweig ist seit 2012 aktiv.
Wozu Corporate Venturing?
Chemieunternehmen bedienen viele Geschäftsfelder. Und das bestehende Geschäft zu steuern, bindet oft so viele Ressourcen, dass die Entwicklung von Innovationen in den Hintergrund tritt. Corporate Venturing bietet hier eine Lösung: Aufgestellt als Geschäftseinheit im Unternehmen (wie z. B. bei Akzo Nobel) oder Tochter-GmbH (wie z. B. bei der BASF) konzentrieren sich schlanke Corporate-Venturing-Units auf Ideen und Lösungen außerhalb des bestehenden Portfolios. Corporate Venturing setzt Innovationskraft im Unternehmen frei.
Neue Ideen können für Unternehmen eine Chance, aber auch ein Risiko sein: Gerade in der chemischen Industrie versprechen viele Technologien, das ‚business as usual‘ umzukrempeln. Die Entwicklung von Bio-Kunststoffen etwa stellt das Geschäftsmodell klassischer Kunststoffhersteller in Frage. Und Fortschritte in der Nanotechnologie versprechen auch Verbesserungen zahlreicher chemischer Produkte, etwa Farben und Lacke. In solche Innovationen frühzeitig zu investieren und an ihrer Entwicklung zu partizipieren, sind Grundvoraussetzungen für das langfristige Bestehen jedes Unternehmens.
Vorteile von Corporate Venturing
Im Idealfall ist Corporate Venturing eine Win-Win-Situation für Start-ups und Konzerne.
Denn im Schnitt sind Corporate-Venture-Investoren weniger interessiert an schnellen Gewinnen als die klassischen Venture-Capital-Gesellschaften. Im Mittelpunkt steht für Corporate-Venture-Investoren die Technologie des Start-ups. Sie sehen das junge Unternehmen als strategische Beteiligung und geben ihm mehr Zeit und das nötige Kapital, um sich zu entwickeln. Die Chancen für einen jungen Unternehmer, mit einer Geschäftsidee erfolgreich zu sein, können also steigen, wenn ein Corporate-Venture-Investor einsteigt.
Die großen Nachteile von Corporate-Venture-Investoren aus Sich der Start-ups: Die Investition kann an die Bedingung gebunden sein, dass keine weiteren Geldgeber in das junge Unternehmen einsteigen dürfen. Wenn die Corporate-Venturing-Unit dann im Zuge der Start-up-Entwicklung nicht genügend Kapital zur Verfügung stellt, kann das zum Problem werden. Außerdem muss das Start-up aufpassen, dass es alle Rechte an den entwickelten Technologien beibehält. Ansonsten droht, dass der Corporate-Venture-Investor aussteigt, sobald er die interessanten Patente übernommen hat.
Herausforderungen des Corporate Venturings
Die drei zentralen Herausforderungen für Corporate Venturing Units sind, auch in Krisen vom Mutterkonzern die nötigen Ressourcen zu erhalten, die richtigen Talente zu rekrutieren und eine enge Bindung zur Start-up-Szene zu entwickeln.
- Krisen überdauern: Die Ursprünge des Corporate Venturings liegen in den frühen 1960er Jahren. Bereits in den 1970er Jahren unterhielten rund ein Viertel der größten amerikanischen Unternehmen eine Corporate Venturing Unit. Nichtsdestotrotz sind 55 % der Fortune-500 Corporate-Venturing-Units heute weniger als zehn Jahre alt, denn Corporate Venturing ist ein stark zyklisches Business: In einer Unternehmenskrise sind Corporate-Venturing-Einheiten - als scheinbarer „Spielplatz für neue Ideen" - oft unter den ersten Geschäftsfeldern, die ausgegliedert oder geschlossen werden. Ideen zu entwickeln und zu kommerzialisieren dauert aber oft länger als nur ein einziger Wirtschaftszyklus.
- Talente rekrutieren und binden: Jede Corporate-Venturing-Unit kann nur so erfolgreich sein wie ihre Mitarbeiter. Den idealen Mitarbeiter einer Corporate-Venturing-Unit macht ein Set von Eigenschaften aus, das selten zu finden ist: Er hat ein Gespür für vielversprechende Investments, eine enge Anbindung an die Start-up-Szene und außerdem ein Verständnis für die Strukturen eines Großkonzerns. Wer ein solches Profil (Intrapreneur) rekrutieren will, steht im direkten Wettbewerb nicht nur zu anderen Corporate-Venturing-Einheiten, sondern auch zu Venture-Kapital-Gesellschaften, die ein viel höheres Gehalt bieten, und Start-ups, die mit ihren schlanken Strukturen ebenfalls ein attraktiver Arbeitgeber sind.
- Enge Bindung an die Start-up-Szene: Konzerne und Start-ups haben wenig gemeinsam: Der Konzern fokussiert auf das bestehende Geschäft, während das Start-up Grenzen verschieben und Neues erschaffen will. Viele Jungunternehmer haben sich bewusst gegen eine Konzernlaufbahn entschieden. Einen Großkonzern dann als Kapitalgeber zu akzeptieren, der ihnen möglicherweise noch neue Geschäftsmodelle vorschreibt, fällt ihnen deshalb schwer. Die Vorurteile gegenüber Corporate-Venturing-Einheiten in der Start-up-Szene sind groß. Diese Vorurteile abzubauen und eine enge Bindung an die Start-up-Szene zu entwickeln ist eine zentrale Herausforderung von Corporate-Venturing-Einheiten.
Diesen Herausforderungen zu begegnen bedeutet, die Erfolgswahrscheinlichkeit der Corporate Venturing Unit deutlich zu steigern. Die Loyalität des Mutterunternehmens zum Corporate-Venturing-Zweig kann gesteigert werden, indem Konzern und Einheit eng miteinander verzahnt werden. Eine Möglichkeit ist z.B., dass der Corporate Venturing Zweig direkt gegenüber Corporate Development Rechenschaft ablegt. Talente können nicht nur über attraktive benefit packages gewonnen werden, sondern vor allen Dingen, indem die Corporate-Venturing-Einheit schlank gehalten wird, und so den Charme eines Start-ups bewahrt. Vorurteile der Start-up-Szene können zum einen über solche schlanken Units abgebaut werden, und auch, indem Corporate-Venture-Einheiten nicht zu großen Einfluss auf das Geschäftsmodell des jungen Unternehmens nehmen. Corporate-Venture-Einheiten sollten sich als Berater, nicht als Unternehmer verstehen.
Erfolgsfaktoren für Corporate Venturing
Wer eine erfolgreiche Corporate-Venturing-Unit aufbauen will, muss in seiner Investmentstrategie drei Fragen beantworten: Auf welche Technologien will ich mich konzentrieren? Mit welchen Gewinnerwartungen betreibe ich meine Einheit? Und: An welchen Punkten meines Investments treffe ich anhand vorab festgelegter Kriterien die Entscheidung, meine Beteiligung fortzusetzen oder aufzulösen?
- Klarer Fokus auf ausgewählte Technologien: Corporate Venturing kann sich entweder auf wenig entwickelte disruptive technologies - Technologien mit dem Potential, das business-as-usual umzukehren - konzentrieren, oder aber auf Investments, die gezielt das bestehende Portfolio erweitern und deutlich größere Kommerzialisierungschancen haben. Diese Entscheidung definiert die Erwartungshaltung, die der Konzern an die Einheit stellt: Entweder nur in langen Zeitabständen einen großen Wurf präsentieren oder aber regelmäßig kleinere Erfolge vermelden. Mit Blick auf die schnellen Entwicklungen in der Chemiebranche neigen chemische Corporate-Venturing-Units heute eher dazu, auf disruptive technologies setzen. Als disruptive technologies gelten neben der Nanotechnologie vor allen Dingen die Entwicklung neuer Materialien und bio-basierte Chemikalien. Klassische Ergänzungen des Portfolios sind aktuell in der Batterietechnologie und im Energiesektor angesiedelt.
- Gewinnerwartungen an Corporate Venturing: Die Gewinnerwartungen an Corporate-Venturing-Units orientieren sich an der strategischen Ausrichtung der Investments. Wer auf Portfolio-Ergänzungen setzt, muss sichtbare Gewinne erwirtschaften. Wer auf disruptive technologies fokussiert, leistet einen strategischen Beitrag zum Unternehmen und wird nur beim Investment in den großen Wurf auch signifikante Umsätze erwirtschaften. Eine solche Corporate-Venturing-Einheit darf sich trotzdem nicht zum schwarzen Loch der Unternehmensrentabilität entwickeln, um nicht die Loyalität des Konzerns zur Einheit aufs Spiel zu setzen.
- Erfolg mit dem Stage-Gate-Modell: Jede Corporate-Venturing-Einheit investiert in Start-ups mit ungewissem Erfolg. Um Risiken und finanzielle Ausfälle zu minimieren, empfiehlt sich, jedes Investment anhand eines Stage-Gate-Modells zu führen und zu bewerten. Ganz zu Beginn des Investments sollten die technische Machbarkeit, Gewinnerwartungen, der Markt und der strategic fit zum Konzern ausformuliert und bewertet werden. Immer, wenn das Start-up eine neue Entwicklungsphase erreicht, müssen diese Erwartungen neu überprüft werden. Zeigt sich etwa, dass die technische Machbarkeit nur mit größtem Aufwand zu erreichen ist oder aber, dass sich der Markt zu Ungunsten des Start-ups verschiebt, muss ein Exit als Option in Betracht gezogen werden.
Fazit
Innovationszyklen werden kürzer: Neue Ideen werden immer schneller auf den Markt gebracht und fordern bestehende Geschäftsansätze heraus. Über strategisches Corporate Venturing können Konzerne auf diese Schnelllebigkeit reagieren und sie zu ihrem Vorteil nutzen. Corporate Venturing kann das Innovationspotential chemischer Unternehmen entscheidend erweitern, denn es erlaubt, neue Ideen in das eigene Portfolio zu integrieren und Technologieumbrüche mitzugestalten.
Wenngleich Corporate Venturing innerhalb eines Konzerns oftmals noch immer als Spielplatz für Intrapreneure belächelt wird, unterhalten acht der zehn führenden Chemiekonzerne weltweit mittlerweile Corporate-Venturing-Einheiten. Und das Geschäftsfeld wächst weiter: 60 % der Corporate-Venturing-Einheiten wollen 2012 mehr Geld investieren als 2011.
Die strategische Ausrichtung dieser zusätzlichen Investitionen ist entscheidend, um dieses Wachstum zum Vorteil der Unternehmen zu gestalten. Strategisches Corporate Venturing ist langfristig ausgerichtet, arbeitet aus einer schlanken Struktur heraus und mit enger Anbindung an die Start-up-Szene. Es fokussiert auf ausgewählte Technologien, hat klare Gewinnerwartungen und Checkpoints für mögliche Exits definiert - und kann so entscheidend zum Unternehmenserfolg beitragen. Unternehmen in der chemischen Industrie sollten sich der Herausforderung des Corporate Venturings annehmen.