Chinas unersättliche Petrochemie
27.03.2013 -
Chinas unersättliche Petrochemie – Von: Dr. Marcus Hübel, Accenture, Düsseldorf
Chinas Wirtschaft boomt nach wie vor. Für 2007 prognostiziert die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ein Wachstum des Bruttoinlandsproduktes von 10,3 %.
Rosig sind auch die Prognosen für die petrochemische Industrie. Das Kunststoff-Segment soll bis 2012 um jährlich 8-10 % wachsen.
Durch den starken Ausbau von Produktionskapazitäten werden sich Chinas Ethylenproduktionskapazitäten bis 2010 gegenüber 2006 von 9 auf 16 Mio. t fast verdoppeln.
Für 2020 werden Kapazitäten um 26 Mio. t erwartet. Auslastung und Margen bleiben bis Mitte 2008 sicher auf hohem Niveau.
Ab 2009 könnte der Petrochemiezyklus in China durch die Inbetriebnahme einer Reihe neuer Produktionsanlagen im Nahen Osten etwas abflauen.
Aufgrund der Kostenvorteile, die China bietet, werden Inlandsnachfrage, Investitionen und Handelsströme jedoch auch weiterhin steigen.
Nachfrage übersteigt Angebot
Mit dem Wachstum steigt in China die Nachfrage nach Rohstoffen und petrochemischen Grundstoffen, um die Inlandsnachfrage zu befriedigen und das Exportwachstum zu steigern.
Da auch die angrenzenden asiatischen Regionen stark wachsen, rechnen Experten bis 2015 mit einem beträchtlichen Angebotsdefizit an Polymeren in diesem Wirtschaftsraum.
Dies wird noch verschärft, weil eine effiziente Entwicklung der Polymerindustrie vielerorts durch staatliche Planung, ein unsicheres Investitionsklima, mangelnden Schutz von geistigem Eigentum, komplizierte Steuersysteme, hohe Zölle sowie einer schlechten Infrastruktur behindert wird.
Schon heute werden viele notwendige Investitionen verzögert.
Einer Modellrechnung nach, die die angekündigten Kapazitätserweiterungen dem erwarteten Nachfragewachstum gegenüberstellt, werden für Polystyrol, HDPE, LLDPE, PVC und Polypropylen jeweils Produktionskapazitäten von 2-3i Mio. t fehlen.
Begrenzte Autarkie bei Petrochemie und Rohöl
Die Inlandsnachfrage nach den petrochemischen Grundstoffen Ethylen und Propylen kann China bereits heute weitgehend unabhängig befriedigen. Für PVC könnte China die Selbstversorgung bis 2010 verwirklichen - dank des starken Ausbaus der Produktionskapazitäten, die allein zwischen 2003 und 2006 um 30 % erweitert wurden.
Anders sieht das bei Basispolymeren wie Polypropylen und Polystyrol und vor allem technologisch höher entwickelten Polyethylenen aus. Hier wird das Land auch langfristig noch stark von Importen abhängig sein. Ebenso importabhängig ist und bleibt China bei der Beschaffung der Rohstoffe für die petrochemische Produktion.
China ist nach den USA und Japan drittgrößter Importeur von Rohöl und nach den USA der zweitgrößte Erdölkonsument weltweit. Zwar verfügt der asiatische Riese selbst über bedeutende Ölreserven, doch reichen diese bei weitem nicht aus, den heimischen Bedarf zu decken.
Daher investieren staatseigenen Ölkonzerne zunehmend in die Erkundung von Erdölvorkommen und die Entwicklung von Produktionsstätten im Ausland, z. B. Russland und Südamerika. Außerdem baut China konsequent entsprechende Handelsbeziehungen mit Afrika aus.
Bereits heute bezieht China ein Drittel des Rohöls aus Afrika. Dabei ist Angola noch vor Saudi Arabien der größte Lieferant. In Nigeria will China seine Aktivitäten ausbauen.
Bereits im April 2006 hatte die Chinese National Off-Shore Oil Company (CNOOC) für 2,7 Mrd. US- $ 45 % der Anteile an einem Ölfeld erworben. Außerdem darf die CNOOC vor der Küste Kenias ein Gebiet von mehr als 115.000 km2 nach Rohstoffen durchsuchen.
Dem Erdgas und Mineralölkonzern Sinopec wurde während eines Gipfeltreffens zwischen der Volksrepublik China und knapp 50 afrikanischen Staaten erlaubt, Öl- und Gasfelder in Liberia zu erschließen.
Und im Sudan ist die Chinese National Petroleum Corp. (CNPC) der größte ausländische Investor. 85 % der Ölexporte des Sudans gehen nach China und decken damit ein Zehntel des heutigen chinesischen Ölkonsums.
Kohleverflüssigung vorerst gebremst
Im Gegensatz zu den Rohölreserven sind die Kohlevorkommen Chinas groß genug, den Eigenbedarf des Landes auf Jahrzehnte zu befriedigen. Die förderwürdigen Kohlevorkommen werden auf 126,2 Mrd. amerikanische Short Tons (1 short ton = 907.184,74 kg) geschätzt.
Damit birgt China nach den USA und Russland die drittgrößten Kohlereserven weltweit. Entsprechend hoch ist der Anteil von Kohle im chinesischen Energiemix: 69 % des Primärenergieverbrauchs werden mit Kohle bestritten.
Zum Vergleich: In Deutschland liegt der Kohleanteil am Energiemix bei 25 % und damit genau im globalen Durchschnitt. Um die zunehmende Abhängigkeit vom Import von Rohöl, Rohölprodukten und petrochemischen Grundstoffen zu kompensieren, hat die Chinesische Regierung im Rahmen des 11.
Fünfjahresplans massiv Technologien zur Kohlekonversion gefördert. Hierbei unterscheidet man nach Kohleverflüssigungsanlagen zur Gewinnung von Rohölprodukten wie Benzin und Diesel („coal-to-liquids", CTL) und Anlagen zur Gewinnung von petrochemischen Grundstoffen („coal-to-olefins" oder „coal-to-chemical", CTO).
Ein Ziel war beispielsweise, bis zum Jahr 2020 etwa 10 % des Ethylens kohlebasiert zu produzieren. Überraschend scheint die chinesische Regierung kürzlich von ihrem Kurs abgerückt zu sein. Aufgrund des immensen Wasserverbrauches der Kohleverflüssigungsanlagen, die sich zudem oft in wasserarmen Gebieten befinden, wurden die ursprünglichen Pläne revidiert.
Sicher ist nunmehr die Fertigstellung einer Kohleverflüssigungsanlage der Shenhua Group in der Inneren Mongolei, deren Inbetriebnahme für 2008 geplant ist. Für alle anderen Projekte ist der weitere Verlauf vorerst ungewiss.
Möglicherweise haben die schwierigen Bedingungen im chinesischen Bergbau sowie internationaler Druck zu Klimaschutz und Einschränkung der Kohlenutzung zu dieser Entwicklung geführt.
Ein Ende August veröffentlichter Bericht der China Coal Trade & Development Association (CCTDA) prognostiziert eine signifikante Unterversorgung mit heimischer Kohle am Ende dieses Jahrzehnts infolge massiver Schließungen kleinerer Zechen zur Erhöhung der notorisch geringen Arbeitssicherheit im Bergbau Chinas.
Chinas unersättliche Petrochemie stellt das Land vor viele Herausforderungen. Mit der hohen und schnell wachsenden Nachfrage nach Rohstoffen und petrochemischen Produkten bekommen Lösungen für nachhaltiges Wirtschaften und Arbeitsschutz auch hier entscheidende Bedeutung.
Bereits Ende 2007 wird China die USA als stärksten Emittenten von Treibhausgasen von Platz 1 verdrängen.
Der hohe Anteil an Kohle in der Energieerzeugung fordert besondere Anstrengungen in der Gestaltung effizienter Prozesse sowie der Entwicklung effektiver Reinigungstechnologien, um CO2-Emissionen zu reduzieren.
Umwelt- und Anlagensicherheit im Fokus
Nach Angaben der State Environmental Protection Administration ging 2006 von 45 % der chemischen und petrochemischen Anlagen in China eine ernsthafte Umweltgefährdung aus.
Es wird geschätzt, dass sich mindestens 2000 chemische Anlagen in China in unmittelbarer Nähe zu Wohn- oder Trinkwassergebieten befinden. Viele davon bergen nicht nur für die Umwelt, sondern auch für die Beschäftigten erhebliche Risiken.
Erste Maßnahmen zur Verbesserung der Anlagensicherheit wurden bereits beschlossen. Die Planung zukünftiger Standorte muss erweiterte Umweltverträglichkeitsprüfungen beinhalten und sich internationalen Arbeitssicherheitsstandards nähern.
Und sie muss mit der Planung logistischer Infrastruktur für den sicheren Transport der Rohstoffe und Produkte koordiniert werden. Aufgrund der hohen Nachfrage nach Massenkunststoffe wie LDPE, LLDPE oder Polystyrol ist mit der Errichtung neuer Produktionskapazitäten zu rechnen.
In dem Maße steigen, wie in den Küstenregionen eine gewisse Sättigung eintritt, wird die Bedeutung von Produktionsstätten im Hinterland (z. B. in Henan, Hebei, Sichuan und Liaoning) und mit ihnen der Warentransport über die Straße erheblich zunehmen.
Das wird eine Anpassung der bisherigen Infrastrukturplanung erfordern, die noch hohe Investitionen in Hafenkapazität und weniger im Straßenbau vorsieht.
Kontakt:
Dr. Marcus Hübel
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