China auf dem Weg an die Pharmaspitze
09.02.2016 -
Gemessen am Umsatz ist China aktuell der weltweit zweitgrößte Pharmamarkt nach den USA. Um diese Position weiter auszubauen, will die Regierung in Peking nun regulatorische Verfahren vereinfachen und beschleunigen. Damit könnte Peking bereits in wenigen Jahren an die Spitze der globalen Pharmabranche aufsteigen.
China belegt in vielen Disziplinen vorderste Plätze: Es ist mit 1,35 Mrd. Menschen das bevölkerungsreichste Land der Welt, seine Industrieproduktion wächst in Riesenschritten, und es zählt zu den größten Luftverschmutzern der Erde. Nun strebt das Riesenreich auch in der Pharmabranche ganz nach oben. Gemessen am Pharmaumsatz liegt das Land mit zirka 107 Mrd. USD aktuell noch auf Platz zwei hinter den USA. Doch spätestens im Jahr 2020, so haben die Statistiker von IMS Health errechnet, wird sich der asiatische Staat an die Spitze gesetzt haben. Oder früher. “2020 ist zu konservativ”, meint Greg B. Scott, Gründer und Inhaber des Pharmaconsulting-Unternehmens China Bio Group. “Aus meiner Sicht wird China schon vorher die Nummer Eins werden.”
Die Chancen stehen nicht schlecht, die Wachstumsraten sind hoch. Laut IMS Health legten die Pharmaumsätze in China von 2007 bis 2010 um jährlich 25,9 % zu, von 2010 bis 2015 um rund 15,5 %. Auch die Beratungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte stellt in ihrem Healthcare-Ausblick 2016 fest, dass der chinesische Pharmamarkt aufgrund seiner schieren Größe, seiner alternden Bevölkerung, den sich verändernden Krankheiten und dem schnell steigenden Lebensstandard enorme Geschäftspotenziale bietet.
Das Ziel der chinesischen Regierung, den Zugang der Bürger zu medizinischen Leistungen zu verbessern, schaffe Millionen neuer Pharmakunden. Hatten im Jahr 2006 nur 160 Mio. Chinesen eine Krankenversicherung, so stieg die Zahl nach Angaben des nationalen Statistikbüros bis 2013 auf 573 Mio. Auch die Gesundheitsausgaben haben stark zugelegt: Von wenigen Milliarden Dollar um die Jahrtausendwende kletterten sie auf 147,3 Mrd. USD im Jahr 2013. Für 2020 prognostiziert die chinesische Statistikbehörde Ausgaben von mehr als 900 Mrd. USD.
Diese Entwicklung spiegelt sich auch in der Zahl neu zugelassener Medikamente wider: 2014 erhielten in China 8.880 neue Medikamente das Okay der nationalen Arzneimittelbehörde, der höchste in einem Jahr gemessene Wert. Auch das Volumen der Übernahmen und Fusionen in der chinesischen Pharmabranche lag 2014 mit 18 Mrd. USD auf Rekordniveau. 2015, so die Prognosen, wird es ebenso kräftig ausgefallen sein.
Nach wie vor zahlreiche Herausforderungen
Doch trotz dieser Zuwachsraten gibt es in der chinesischen Pharmabranche Einiges zu tun. So weist Deloitte darauf hin, dass der Gesundheitssektor in China nach zehn Jahren mit einem Superwachstum nun einen Wendepunkt erreicht habe. Durch die wirtschaftliche Abschwächung und die Abwertung der lokalen Währung Yuan stiegen die operativen Herausforderungen für Pharmaunternehmen. Hinzu komme, dass die chinesische Regierung versuche, die Kosten im Gesundheitswesen und bei Pharmazeutika im Zaum zu halten. Dadurch gerieten die Profite multinationaler Pharmakonzerne, die Originalprodukte herstellen, unter Druck.
Zudem hat China Nachholbedarf, was den Vergleich mit internationalen Compliance-Richtlinien angeht. Auch im administrativen Bereich hapert es noch. Pharmaconsultant Scott, der als Amerikaner seit Jahren im chinesischen Pharmabusiness aktiv ist, sagt, dass die Behörden mit der Bearbeitung der zahlreichen Zulassungsanträge kaum hinterherkämen. Zahllose Arzneimittelkandidaten befänden sich in einer teils jahrelangen Warteschleife.
Schließlich ist auch die patentrechtliche Lage noch nicht zufriedenstellend. “Glauben Sie nicht, dass sie in China ein innovatives Pharmaunternehmen sind”, mahnt Patentspezialist James J. Zhu von der Pekinger Kanzlei Jun He Law Offices mehrdeutig.
Regierung plant umfassende Änderungen
Immerhin, die Verantwortlichen haben die Probleme erkannt. So haben die Behörden begonnen, mehr Fachleute für die Zulassungen einzustellen. Und sie haben ein elektronisches System eingeführt, um die Medikamentenentwicklung besser verfolgen zu können.
Darüber hinaus hat die Regierung viel vor. “Wir stehen vor den vielleicht tiefgreifendsten Änderungen in der chinesischen Pharmaindustrie”, sagt Dan Zhang, Gründer und Chef von Fountain Medical, einem Unternehmen, das in China im Auftrag anderer klinische Tests durchführt. Er weist darauf hin, dass Staatsrat und Nationalkongress im Zulassungsbereich zahlreiche Änderungen planen, darunter eine neue Klassifizierung von Arzneimitteln. Bislang werden diese entweder als neue Medikamente oder als Generika eingestuft. Künftig soll zwischen innovativen Medikamenten und der Weiterentwicklung von existierenden Arzneien unterschieden werden. Neue Medikamente, die einen dringenden medizinischen Bedarf abdecken, sollen zudem schneller zugelassen werden können. Geplant ist auch, dass Arzneimittel, die außerhalb Chinas bereits vermarktet werden, in dem Land sofort als Generika anerkannt werden können.
Änderungen soll es auch bei klinischen Tests geben. So können Pharmaunternehmen klinische Untersuchungen künftig parallel sowohl in China als auch außerhalb davon durchführen – bisher war dies nur eingeschränkt möglich. Zudem sollen höhere Standards für klinische Versuche eingeführt werden. In der Onkologie will China gar US-Standards übernehmen.
Wenngleich diese Änderungen nicht über Nacht verabschiedet und umgesetzt werden, sieht Dan Zhang China auf dem richtigen Weg: „Das ist ein wichtiger Anstoß. Einige Prozesse werden an das Vorgehen der US-Arzneimittelbehörde FDA angeglichen, es wird mehr schnelle Zulassungsverfahren - sogenannte „Fast Tracks“ - geben, und die Prozesse dürften transparenter und flexibler werden.“
Wachstum bei Biosimilars
Auch im Bereich der biopharmazeutischen Arzneimittel bewegt sich China. Aktuell, so Dan Zhang, fließe viel Geld in diesen Bereich. Innerhalb von drei Jahren habe sich die Zahl der Biosimilar-Unternehmen auf 120 versechsfacht. Allerdings gebe es in China noch keinen regulatorischen Zulassungsweg für Biosimilars. Daher werden diese Medikamente bislang meist als neue Arzneimittel zugelassen.
Auch auf finanzieller Seite ist der chinesische Pharmamarkt in Bewegung. Ich habe im Bereich Pharma niemals einen so heißen Venture Capital-Markt gesehen wir derzeit, sagt Jimmy Wei von der Venture-Capital-Gesellschaft KPCB China. Nach seiner Beobachtung steckt die chinesische Regierung aktuell auch viel Energie in pharmazeutische Innovationen. Um diese zu finanzieren, gebe es zahlreiche Börsengänge – mit steigender Tendenz.
Unter dem Strich, resümiert Pharmakenner Greg Scott, sei die chinesische Pharmabranche in den vergangenen Jahren erwachsener geworden. Das mache es für in- wie ausländische Unternehmen und Investoren einfacher. Ein sichtbares Zeichen dieser Entwicklung: Sämtliche Pharmaunternehmen hätten mittlerweile Patentanwälte, um die rechtliche Situation ihrer Projekte und Produkte abzuklären, so Patentanwalt Zhu.
Steigender Wettbewerb
Angesichts dieser Entwicklungen dürfte der Wettbewerb in der chinesischen Pharmaindustrie deutlich zunehmen und die Innovationskluft zwischen China und anderen Ländern kleiner werden. Sprich: Chinesische Pharmafirmen werden künftig verstärkt neue, innovative Arzneimittel auf den Markt bringen.
Das Beratungsunternehmen Bain & Company hat ausgerechnet, dass in diesem Szenario viele bisherige Geschäftsmodelle innerhalb von fünf bis sieben Jahren unrentabel werden. Um weiterhin erfolgreich zu sein und mit den zunehmend starken einheimischen Herstellern konkurrieren zu können, müssten multinationale Pharmaunternehmen ihre Geschäftsmodelle daher neu ausrichten. Innovative Produkte müssten sich stärker am Bedarf des chinesischen Marktes orientieren, begleitet von einer Ausweitung des Portfolios mit etablierten Arzneimitteln, die den medizinischen Grundbedarf abdecken. Viele Unternehmen müssten außerdem ihren Vertrieb und das Marketing neu aufstellen und die Beziehungen zu Kostenträgern und Patienten verbessern. Nicht zuletzt sollten globale Pharmaunternehmen auch in China zunehmend digitale Technologien einsetzen.
Trotz aller Herausforderungen und Risiken, so urteilen Marktkenner, würden unter dem Strich die Chancen für internationale Investoren und Pharmaunternehmen auf dem chinesischen Pharmamarkt überwiegen. Venture-Capital-Spezialist Jimmy Wei bringt es – nicht ganz uneigennützig – auf den Punkt: „Kommen sie so früh wie möglich.“
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