Anlagenbau & Prozesstechnik

Chemieanlagenbau-Bilanz 2021 und Ausblick

Bilanz des Großanlagenbaus 2021 positiv, aber Aussichten für laufendes Jahr unsicher

20.04.2022 - Der Auftragseingang im Chemieanlagenbau ist 2021 sprunghaft gestiegen und hat mit 7,3 Mrd. EUR (2020: 2,1 Mrd. EUR) einen Rekordwert erreicht.

Der Auftragseingang im Chemieanlagenbau ist 2021 sprunghaft gestiegen und hat mit 7,3 Mrd. EUR (2020: 2,1 Mrd. EUR) einen Rekordwert erreicht. Diesem äußerst positiven Rückblick auf das vergangene Jahr steht aber derzeit ein unsicherer Ausblick auf das laufende Jahr gegenüber, denn der Krieg Russlands gegen die Ukraine beeinflusst das Projektgeschäft des Großanlagenbaus in Russland, der Ukraine und auch in Belarus schon jetzt erheblich. Die mittel- bis langfristigen Folgen des Krieges sind für die Mitglieder des VDMA-Großanlagenbaus noch nicht seriös abzusehen.

Die vom Angriff Russlands auf die Ukraine ausgelösten gegenseitigen Wirtschaftssanktionen führen bereits zu Unterbrechungen bei laufenden Projekten in Russland und der Ukraine sowie zum Ausfall wichtiger Lieferanten aus der Region sowie aus Drittstaaten. Das dämpft die Erwartungen nicht nur hinsichtlich des wichtigen Russlandgeschäfts, sondern auch in Bezug auf den Gesamtauftragseingang im Großanlagenbau, zu dem neben Chemieanlagen noch Kraftwerke sowie Hütten- und Walzwerke zählen. Denn Russland war 2021 wichtigster Auslandsmarkt für die Branche mit Bestellungen in Höhe von 6,3 Mrd. EUR – knapp ein Drittel des verbuchten Auftragsvolumens aller Anlagenarten – und spielt für den Chemieanlagenbau eine wesentliche Rolle. Nun steht die Abwicklung der in Auftrag gegebenen Projekte unter erheblichen Vorbehalten.

Wachstumstreiber Asien
2021 hatte die nach der Coronakrise einsetzende konjunkturelle Erholung industrieübergreifend zu einer starken Nachfrage nach Chemikalien geführt, wobei die Investitionsausgaben in der chemischen Industrie in etwa im Gleichschritt mit der Produktion wuchsen. Der größte Teil des Investitionswachstums fand im vergangenen Jahr in Asien statt. Während das Inlandsgeschäft der im VDMA organisierten Chemieanlagenbauer im vergangenen Jahr auf niedrigem Niveau stagnierte, wuchsen die Bestellungen aus dem Ausland von 1,9 Mrd. EUR im Jahr 2020 auf 7,1 Mrd. EUR im vergangenen Jahr. Dies entspricht einem Zuwachs um mehr als 270 %, jedoch von einem relativ niedrigen Vorjahresniveau, da im Coronajahr 2020 viele Investitionen in Neuanlagen verschoben wurden. Die positive Entwicklung beruhte daher im Wesentlichen auf pandemiebedingten Nachholeffekten, aber auch auf einzelnen Großaufträgen. 
Marktbeobachter gehen davon aus, dass im Jahr 2030 rund zwei Drittel des weltweiten Umsatzes der Chemieindustrie in Asien erzielt wird. China ist mit einem Anteil von 40 % am weltweiten Umsatz schon heute der mit Abstand wichtigste Hersteller von Chemikalien und wird diese dominierende Marktstellung bis 2030 wohl weiter ausbauen können. In den ersten 10 Monaten des Jahres 2021 erwirtschaftete Chinas Chemiesektor einen Gewinn von über 100 Mrd. USD, das ist mehr als doppelt so viel wie im gleichen Zeitraum des Jahres 2020 und bietet eine solide Basis für zukünftige Investitionen. Aktuelle Prognosen gehen davon aus, dass sich dieser positive Markttrend auch 2022 fortsetzen wird. 
Eine besondere Herausforderung für die chinesische Chemieindustrie ist die Reduzierung der Kohlenstoff­emissionen in den eigenen Werken. Die Branche konnte hierbei in den vergangenen Jahren bereits Fortschritte erzielen, schließlich zählt die Volksrepublik zu den weltweit größten Investoren in regenerative Energiequellen. Weitere Maßnahmen sind jedoch erforderlich, wenn die Regierung beim Umbau auf ein nachhaltigeres Wachstumsmodell rasch vorankommen will. Als Technologiegeber ist der VDMA-Großanlagenbau hierbei ein gefragter Partner, etwa bei der Lieferung von Anlagen zur Herstellung von grünem Wasserstoff oder von Technologien zur ressourcenschonenden Herstellung von Basischemikalien.

Entwicklungen in anderen Marktregionen
In vielen Schwellenländern in Lateinamerika, Osteuropa und Asien wird die chemische Industrie in den kommenden Jahren voraussichtlich schneller wachsen als in den Industrieländern. Indien ist aufgrund seines Bevölkerungsreichtums dabei einer der größten Wachstumsmärkte: Im vergangenen Jahr ist die Produktion von chemischen Erzeugnissen dort um 4,8 % gegenüber 2020 gestiegen. Die aktuelle Marktgröße beträgt rund 175 Mrd. USD. Bis 2025 soll die Nachfrage nach Chemikalien um durchschnittlich 9 % jährlich zulegen, sodass die indische Chemieindustrie dann bereits 300 Mrd. USD zum Bruttoinlands­produkt beitragen wird. 
Im Zuge dieser Marktverschiebungen wird Europa Anstrengungen unternehmen müssen, um seine Position als zweitgrößter Standort der globalen Chemieindustrie und als Innovationszentrum zu verteidigen. Für den Großanlagenbau ergeben sich in Europa vor allem Chancen im Zuge von Modernisierungs- und Erweiterungsprojekten an bestehenden Standorten sowie durch das Angebot von Serviceleistungen, die dazu beitragen, die Verfügbarkeit von Anlagen zu verbessern und deren CO2-Fußabdruck zu reduzieren.

Verpflichtung zu mehr Nachhaltigkeit
Neben der Stahl- und der Zementindustrie gehört die Chemiebranche zu den großen industriellen CO2-Emittenten. Im Jahr 2020 beliefen sich die CO2-Emissionen der Branche auf rund 920 Mio. t, das sind 2,3 % weniger als 2019. Der wesentliche Grund für diesen Rückgang war die nachlassende Wirtschaftsaktivität im Zuge der Coronapandemie.
Die in den vergangenen Jahren von der EU-Kommission erlassenen Regeln und Gesetze zur Vermeidung von Treibhausgasemissionen erfordern von der europäischen Chemie­industrie erhebliche Anstrengungen, um die im European Green Deal verankerten Ziele einer Emissionsreduktion um 55 % bis 2030 und kompletter Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen. 
Etwa 40 % der langfristigen Emissionsziele der chemischen Industrie können durch Investitionen in Effizienzsteigerungen konventioneller Anlagen, die Verwendung biologischer oder abfallbasierter Rohstoffe und die Kreislaufführung von Materialien erreicht werden. Um die verbleibenden 60 % an Emissions­einsparungen zu erzielen, müssen in deutlich stärkerem Maße als bislang klimaneutrale Technologien und innovative Anlagen zum Einsatz kommen. Schließlich haben Industrieanlagen eine Lebensdauer von bis zu 70 Jahren; das bedeutet, dass Investitionen in rein konventionelle Anlagen bereits heute nicht mehr kompatibel mit dem langfristigen Ziel der Klimaneutralität sind.

Wasserstoff – das Erdöl von Morgen?
Grüner Wasserstoff gilt als Schlüssel zur Dekarbonisierung der chemischen Industrie, da er die klimaneutrale Herstellung der neun wichtigsten chemischen Bausteine (Ammoniak, Benzol, Chlor, Ethylen, Harnstoff, Methanol, Propylen, Toluol und Xylol) ermöglicht, deren Produktion bislang noch mehr als die Hälfte der CO2-Emissionen der chemischen Industrie ausmacht.
Wasserstoff gilt als das Erdöl von morgen. Er kann eine wichtige Rolle bei der Substitution fossiler Brennstoffe spielen und helfen, Vorgaben zur Dekarbonisierung zu erfüllen. Diese Ambition spiegelt sich in einer Reihe von staatlichen Programmen wider, in denen konkrete Ausbauziele auf Industrieebene formuliert werden. Ein Beispiel hierfür ist die Nationale Wasserstoffstrategie Deutschlands mit den drei Wasserstoffleitprojekten H2GIGA (Serienfertigung von Elektrolyseuren), H2MARE (Wasserstoffproduktion auf hoher See) und TRANSHYDE (Entwicklung eine Infrastruktur für den Wasserstofftransport). Als Ausbauziel nennt die Strategie eine Produktionskapazität von 5 GW Elektrolyseleistung für grünen Wasserstoff, die bis 2030 aufgebaut werden soll.
Weltweit wird bis 2050 ein Bedarf von rund 9.000 TW grünem Wasserstoff erwartet. Eine aktuelle Analyse der 56 größten Volkswirtschaften zeigt, dass bereits mehr als 20 Länder, die für fast die Hälfte der globalen Wirtschaftsleistung stehen, eine nationale Wasserstoffstrategie verabschiedet haben und weitere Staaten in den kommenden Jahren mit ähnlichen Plänen folgen werden. 
Andere Länder investieren in die Erzeugung von blauem Wasserstoff, dessen Erzeugung mit einem CO2-Abscheidungs- und -Speicherungsverfahren gekoppelt wird. Das bei der Wasserstoffproduktion erzeugte Kohlendioxid gelangt so nicht in die Atmosphäre und die Wasserstoffproduktion kann bilanziell als CO2-neutral betrachtet werden. Neben Japan ist vor allem Südkorea derzeit führend in diesem Marktsegment, nicht zuletzt aufgrund einer massiven staatlichen Förderung. Die im Oktober 2021 bekannt gegebene Wasserstoffvision postuliert bei der inländischen Nachfrage nach Wasserstoff nunmehr ein Ziel von 3,9 Mio. t im Jahr 2030, doppelt so viel wie noch in einer Roadmap von Anfang 2019. Addiert man die aktuell geplanten Vorhaben, ergibt sich in Südkorea bis 2030 ein Investitionsvolumen von 9 Mrd. USD allein für blauen Wasserstoff. Darüber hinaus besteht die Absicht, Werke zur Herstellung von flüssigem und auch von grünem Wasserstoff zu errichten. Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau sind bei einer Reihe dieser Projekte als Kooperationspartner und Technologiegeber involviert.
Sollte der Ausbau der Wasserstoffwirtschaft wie geplant voranschreiten, ist in Südkorea ein Selbstversorgungsgrad mit Wasserstoff von maximal 60 % möglich. Um den restlichen Bedarf abzudecken, gibt es – ähnlich wie in Deutschland – zahlreiche Vorhaben zum Import von Wasserstoff. Bei diesen Projekten sollen südkoreanische Engineer­ing-Unternehmen gemeinsam mit ausländischen Partnern Anlagen zur Herstellung von blauem und grünem Ammoniak, grünem Me­thanol und grünem Wasserstoff errichten und gleichzeitig Strategien zum Transport von Wasserstoff aus dem Ausland entwickeln. Die Standorte der geplanten Anlagen liegen in Südostasien, dem Mittleren Osten und Australien. 

Der Großanlagenbau liefert Technologie zur Dekarbonisierung
Der VDMA-Großanlagenbau wird als globaler Partner bei der Gestaltung der Energiewende in der chemischen Industrie immer wichtiger. Das Portfolio der Unternehmen umfasst effiziente Verfahren und innovative, nachhaltige Anlagen und kombiniert diese Lösungen mit der Fähigkeit, Technologien vom Labormaßstab in ein industrielles Format zu skalieren. Zu den Angeboten des VDMA-Großanlagenbaus zählen bspw. Anlagen zur Wasserelektrolyse und zur Wasserstoffverflüssigung sowie Verfahren zur Abscheidung, Nutzung und Sequestrierung von Kohlendioxid (CCUS). Mit Hilfe dieser Technologien soll die chemische Industrie schrittweise dekarbonisiert werden. 
Im vergangenen Jahr wurde eine Vielzahl von Projekten zum Bau von Anlagen zur Erzeugung von Wasserstoff angekündigt. Schätzungen zufolge werden allein die bislang geplanten Investitionsvorhaben zu einem Aufbau von weltweiten Elektrolysekapazitäten in einer Größenordnung von 17 GW bis 2026 führen. In der EU stehen dabei Projekte zur Herstellung von grünem Wasserstoff im Fokus. Ähnliche Entwicklungen zeichnen sich in Australien, dem Nahen Osten und Südamerika ab, die sich zu wichtigen Drehscheiben für den Export, aber auch für die Herstellung von grünem Wasserstoff entwickeln könnten. Im Zuge dieses Markthochlaufs erwarten Beobachter, dass der Preis für 1 kg grünen Wasserstoffs von derzeit ca. 10 USD auf ca. 1 USD im Jahr 2030 sinken könnte. (mr)

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